„Wir san Wir“ – österreichischer Patriotismus zum Nationalfeiertag

Albert Kropf

Am 26. Oktober ist wieder Nationalfeiertag. Dazu werden Gemeindebauten, Schulen und öffentliche Gebäude rot-weiß-rot beflaggt, am Wiener Heldenplatz gibt es eine Leistungsschau des Bundesheers. Da können Kinder Krieg spielen, in Panzer klettern, Soldaten und Kriegsgerät bewundern. Sowas passiert natürlich nicht nur bei uns, überall sehen wir eine zunehmende nationalistische Aufladung der Gesellschaft.

Konjunkturen des Nationalismus

In den 1990er Jahren erreichte der Neoliberalismus seinen ideologischen Höhepunkt. In Europa wurde versucht, die jeweiligen Nationalismen durch einen europäischen Nationalismus zu ersetzen bzw. zumindest zu erweitern. „Unser Haus Europa“ war das Projekt der Liberalen, der Sozialdemokratie und vieler Grüner. Für zahlreiche Menschen hat sich aber schnell gezeigt, dass auch der EU-Kapitalismus außer schönen Worten für sie wenig zu bieten hatte. Mit der Krise 2008 hatte das EU-Projekt schon deutliche Risse bekommen. Die EU-Verfassung wurde sang- und klanglos über Bord geworfen. Heute kräht kein Hahn (auch nicht der Johannes) mehr danach. War die Sozialdemokratie auf der Welle der EU-Euphorie mitgeschwommen, ist sie in dieser Situation mit ihr abgesoffen. Nicht zu Unrecht wurde sie von vielen Menschen verantwortlich für das neoliberale Chaos gemacht und in den meisten Staaten abgewählt. Mangels einer internationalistischen, echten Alternative zur Kürzungspolitik profitierten davon vor allem Parteien wie die FPÖ, die ihren alten Deutschnationalismus in der Schmuddelkiste verstaute und sich als “soziale Heimatpartei” präsentierte. Große Teile ihres Programms, nicht nur in Asylfragen, wurden immer mehr zum politischen Standard - die Krise der neoliberalen Globalisierung machte für die Herrschenden eine neokonservative und mit ihr eine nationalistische Wende notwendig. Begleitet wird diese Rückkehr zum Nationalstaat mit zunehmendem Nationalismus an allen Ecken und Enden.

“Wir” sitzen nicht im selben Boot

Dieselben Prozesse führten auch zur Wiederentdeckung des (National-)Staats auch in der bürgerlichen Wirtschaftstheorie. Der vorher im Neoliberalismus verdammte Staat wird so zur eierlegenden Wollmilchsau zur Sicherung der Profite der Unternehmen.

Von Wirtschafts- (2008) über Corona- (2020) bis zur jetzigen Energiekrise wurden Milliarden an Wirtschaftsförderungen in die Kassen der Unternehmen und Konzerne gespült. Der neue starke Staat wurde von vielen Gewerkschaften und manche Linken begrüßt. Dabei ist daran alleine überhaupt nichts fortschrittlich. Das Kapital benötigt in der Krise einen auf allen Ebenen gestärkten Staat: Nach außen, um die eigenen imperialistischen Interessen (für Österreich besonders am Balkan) zur Not militärisch durchzusetzen - daher die Milliarden für Aufrüstung; und nach innen, um durch Subventionierungen die Profite hoch zu halten (nichts anderes ist etwa die “Strompreisbremse”) und den für die Profitmacherei notwendigen “sozialen Frieden” sicherzustellen. Dieser wird vor allem beschworen, wenn durch Kürzungen im Sozial-, Gesundheits- und Bildungsbereich der Lebensstandard von Millionen zerstört werden soll, um das an die Reichen verteilte Geld wieder rein zu holen. Um aber die Gefahr von Protesten zu verringern, kommt der Nationalismus ins Spiel. Ein großes “Wir” als vermeintliche staatliche Gemeinschaft wird heraufbeschworen. An nationale Einheit wird appelliert, wo die herrschende Politik unwidersprochen bleiben soll. „Die Österreicher*innen“ sind aber nicht gleich von den vielen Krisen betroffen. Wer vermögend ist, kann ganz anders auf die Krisen reagieren als wir, die arbeiten müssen. Dieses österreichische „wir“ gibt also nicht - schon alleine deswegen, weil ein immer größerer Teil derer, die hier unter den Krisen leiden, vom Staat nicht als “Österreicher*innen” anerkannt werden und keine demokratischen Rechte haben.  All das zu verschleiern und von der sozialen Ungerechtigkeit abzulenken, ist die Aufgabe des Nationalismus.

 

Infobox:

Der österreichische Nationalfeiertag wurde nach dem 2. Weltkrieg eingeführt, allerdings nicht, um die Befreiung vom Faschismus zu feiern - das wäre der 8. Mai 1945; sondern um den Abzug des letzten Soldaten der Befreiungsmächte am 25. Oktober 1955 zu bejubeln - wegen der Optik legte man den “Tag der Fahne” auf den Tag danach. Erst 1965 wurde er zum offiziellen Nationalfeiertag. Es handelt sich also um keine Frage der “Tradition”, sondern um puren Geschichtsrevisionismus: Der “neue” kapitalistische Nationalstaat will von der Mitschuld seiner Herrschenden nichts mehr wissen.

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