Zu wenig Pflegepersonal

Der Mangel an Pflegekräften wird von der Regierung nicht bekämpft sondern noch verstärkt.
Im Rahmen der Kampagne für die Ausfinanzierung des Sozial- und Gesundheitswesens haben wir ein Interview mit einem jungen Mann geführt, der eine Umschulung in den Bereich Pflege begonnen hatte.

Die aktuelle Lage mit Covid 19, aber auch schon vorher war klar: es gibt einen Mangel an Pflegekräften. Kannst du uns da ein bisschen mehr dazu sagen?

Durch Covid 19 hat eine Fokussierung auf die Situation in der Pflege stattgefunden. Tatsache ist, dass ist leider durch die aktuellen Herausforderungen etwas in den Hintergrund getreten, dass es nicht umsonst seit längerem den Begriff des „Pflegenotstands“ gibt. Damit ist der Mangel an Pflegepersonen gemeint, an denen aufgrund der demographischen Entwicklung ein immer höherer Bedarf besteht.

So fehlen österreichweit bis 2030 rund 75.000 Pflegekräfte. Alleine in meinem Heimatbundesland Oberösterreich werden derzeit akut bereits 2.000 Pflegekräfte zusätzlich benötigt.

Pflegeberufe sind auch auf der Liste für Mangelberufe zu finden. Aus meiner Sicht ist es nicht verwunderlich das es zu dieser Entwicklung gekommen ist. Ich möchte hier drei Punkte ansprechen.

Durch persönliche Betroffenheit in der einen oder anderen Form, erkennen zwar viele Menschen die Wichtigkeit der Pflege, würden aber selbst nie in Erwägung ziehen in einem Pflegeberuf zu arbeiten.

In theoretischen Fächern in der Ausbildung lernt man die Pflege auch historisch einzuordnen. So gab es auch in der Vergangenheit kein großes berufliches Interesse an den sogenannten „Wartberufen“. Einem Berufsbild, welches so ausgelegt wurde, dass das „Dienen“ im Vordergrund stand. In diesem Zusammenhang also den Umgang mit Tod, Krankheit und Leid ohne Rücksicht auf das eigene Wohl durchzuführen. Tatsächlich standen deshalb hier oft Zwänge im Vordergrund.
Schließlich spielen auch die Rahmenbedingungen eine nicht unwesentliche Rolle: Hohe Verantwortung bei der Arbeit an und mit Menschen, geistige und körperliche Höchstbelastung bei gleichzeitig geringem Gehalt und einer zeitlich auch stark ins Privatleben eingreifenden Dienstplanung.

 

Du kommst ursprünglich aus einem anderen Beruf, hast dich aber zu einer Umschulung entschlossen. Warum?

Ich habe ursprünglich einen technischen Beruf gewählt. Nach der Ausbildung und einigen Jahren in diesem Beruf konnte ich feststellen, dass sich diese Tätigkeit auch auf die Persönlichkeit auswirkt. Schon damals entstand bei mir die Vorstellung weniger mit Technik sondern mehr mit Menschen zu tun haben zu wollen.

Nach einer gesundheitlich schwierigen Phase, stand die Frage im Raum, in den alten Beruf zurückzukehren oder sich beruflich anders zu orientieren. Ab einem bestimmten Alter ist aber die Ausgangssituation um eine neue Berufsausbildung zu beginnen, leider erschwert.

Einige angedachte Möglichkeiten scheiterten, da sich die Rahmenbedingungen für die Finanzierung dieser Ausbildungen geändert hatten. Wenn keine anderen Möglichkeiten bestehen so steht, basierend auf meinen Erfahrungen, eine Entscheidung an entweder in der Gastronomie oder in der Pflege einen Beruf zu ergreifen. Aus verschiedenen Gründen fiel meine Entscheidung dann auf eine Ausbildung in der Altenpflege.

 

Du wolltest Altenpfleger werden - hat dich das AMS dabei unterstützt

Wie bereits angesprochen zählen Pflegeberufe zu den Mangelberufen. Es gibt also einen Anreiz Menschen mit Ausbildungen in der Pflege in Berührung zu bringen.

Entschließt man sich dazu, passieren die ersten Schritte sehr rasch. Wichtig ist zu unterscheiden, dass es für die Finanzierung der Ausbildung im Wesentlichen drei Möglichkeiten gibt. Einerseits ein Stiftungsmodell, andererseits ein Fachkräftestipendium und schließlich die Selbstzahler. Für viele scheidet die letzte Möglichkeit aus finanziellen Gründen aus. So liegt der monatliche AMS-Bezug bei vielen meiner Klassenkolleg*innen unter 1.000 EUR und damit erheblich unter der offiziellen Armutsgefährdungsschwelle. Urlaubs- und Weihnachtsgeld gibt es trotz einer Tätigkeit von insgesamt mindestens 40 Stunden wöchentlich, also dem Stundenausmaß einer Vollzeitstelle, nicht.

Beim Fachkräftestipendium spielen die Zugangsbeschränkungen, wie Beispielsweise das Alter, eine wichtige Rolle. Persönlich blieb für mich nur die Möglichkeit der Finanzierung der Ausbildung über einer Stiftung.

Beim Stiftungsmodell wird zwischen Stiftung, dem AMS, dem/der Auszubildenden und einem Stammheim ein Vertrag geschlossen. Dieser bezieht sich von allen Beteiligten so vereinbart auf die gesamte Dauer der Ausbildung. Sehr wichtig ist dabei das Stammheim. Am Stammheimplatz hängt die Stiftungsteilnahme und damit auch die Finanzierung.

Natürlich entstehen dabei für das AMS als auch für das Stammheim Kosten während der Ausbildung. Gerade für Stammheime ist aber dieses Modell besonders attraktiv, da sie Arbeitskräfte bekommen, die mehrmals die Woche im Stammheim arbeiten, dafür aber nur ein sehr geringer Beitrag vom Stammheim an das AMS zu entrichten ist.

Sparzwänge beim AMS, insbesondere auch gefördert bei der durch Covid 19 verursachten hohen Arbeitslosenzahl, aber auch der grundsätzliche Auftrag, Menschen schnellstmöglich wieder in Beschäftigung zu bringen, können dann dazu führen, dass eine ursprünglich durchgeplante Ausbildung plötzlich einen anderen Verlauf nimmt.

So berichteten mir Kolleginnen und Kollegen während meiner praktischen Tätigkeit öfters davon, dass nach erfolgreicher Absolvierung der Pflegeassistenzprüfung die bisherige Unterstützung beendet wird. Die Pflegeassistenzprüfung stellt den ersten beruflichen Abschluss dar, der eine Basistätigkeit in einem Pflegeberuf ermöglicht. Sie ist allerdings nicht mit dem Ende der gesamten Ausbildung gleichzusetzen. Die fachspezifische Ausbildung in der Altenpflege würde Beispielsweise danach noch ein weiteres Semester dauern.

Bei mir entstand leider die Situation, dass mir bei herannahender Pflegeassistenzprüfung der Stammheimplatz entzogen wurde. Begründung dafür gab es keine. So standen von einer Woche zu nächsten plötzlich 15 Monate schulische Ausbildung, Stammheimarbeit und diverse Praktika auf dem Spiel und die Frage wie sich diese Ausbildung noch sinnvoll abschließen lässt. Eine verkürzte Ausbildung mag zwar für die Erreichung von Kennzahlen und die Verringerung von Personalkosten seinen Zweck erfüllen, sie bedeutet aber auch gravierende Konsequenzen für die so Betroffenen und die Menschen, die sie später einmal betreuen sollen.

 

Eine Ausbildung mit vielen Praktika stell ich mir während Corona schwer vor - hattest du da Unterstützung, deine Ausbildung fertig zu machen?

Das Thema Praktika ist während der Ausbildung in der Altenpflege ein zentrales und facettenreiches. Sie sind wichtig um neben der theoretischen Ausbildung in der Schule auch die praktischen Fähigkeiten zu erlernen.

Die meisten Einrichtungen sind froh darüber so eine Möglichkeit zu erhalten, ihre Beschäftigten auch entlasten zu können. Den Auszubildenden sollen Sie eine Möglichkeit bieten unterschiedliche Einrichtungen und Tätigkeitsschwerpunkte kennen zu lernen. Diese Facette fällt für Stiftungsteilnehmer*innen beinahe gänzlich weg, da sie angehalten sind, möglichst alle Praktika in ihrem Stammheim zu absolvieren.

Bei der Suche nach Praktikumsplätzen gibt es im Allgemeinen keine Unterstützung. Das beginnt leider bereits während der Orientierungsphase noch vor der eigentlichen Ausbildung, bei der ein einwöchiges Schnupperpraktikum zu absolvieren ist.

Und derzeit haben viele Pflegeeinrichtungen wegen Covid 19 Bedenken, zusätzlich Leute in den Betrieb zu integrieren. Es möchte schließlich niemand das Risiko auf sich nehmen, im schlimmsten Fall in den Medien als neuer Ansteckungscluster genannt zu werden.

Für Auszubildende ist es aber notwendig, die Praktika absolvieren zu können, um die Ausbildung zeitgerecht abschließen zu können. So können Verzögerungen den Antritt zur Pflegeassistenzsprüfung beeinträchtigen.

Meine Erfahrung ist, dass der so entstehende Druck auf die Auszubildenden weitergegeben wird, eine Lösung bei denen sich Stiftungen, Schulen und Praktikumsgeber an einen Tisch setzen gibt es meines Wissens nach nicht.

Bei mir entstand durch den Verlust des Stammheimplatzes noch zusätzlich die Schwierigkeit, in der Zeit wo ich eigentlich bereits ein weiteres Praktikum zu absolvieren hatte, mir einen neuen Stammheimplatz zu organisieren.

Auf mehrmaliges Nachfragen fand ich erst heraus, wie lange eigentlich die Zeit hierfür ist, die ich zur Verfügung gestellt erhalte. Die Situation durch Covid19 und die Nichtverfügbarkeit von Entscheidungsträger*inen führte dazu, dass die Zeit zur Suche rasch verstrich. Das Stammheimplätze während eines Semesters ohnehin vergeben sind und eine Möglichkeit dazu erst wieder in einigen Monaten bestehen würde, erschwerte die Suche nach einer Lösung zur Absolvierung der restlichen Ausbildung zusätzlich. Im Zuge der Covid19-Krise zeigte man sich in manchen Bereichen sehr kreativ beim Umgang mit Aufschüben und Neuregelungen. Um die Situation von Auszubildenden zu verbessern fehlte jedoch anscheinend der dafür notwendige Lobbydruck und die damit verbundenen finanziellen Interessen.

 

D.h. das AMS hat dir ursprünglich zugesagt, dich bei der gesamten Ausbildung zu unterstützen, nun aber mitten drin auf die kürzere, billigere, niedrigere Ausbildung umgeschwenkt die dir einen anderen und schlechter bezahlten Job bringt?

Ja, so ist es. Wie bereits erwähnt scheint dies kein zufälliger Einzelfall zu sein. Mir wurde von mehreren Kollegen und Kolleginnen ähnliches berichtet.

Von Seiten des AMS besteht so die Möglichkeit die Menschen zu einer sofortigen Suche nach einer Tätigkeit in der Pflege zu verpflichten, da es sich um einen für eine berufliche Tätigkeit qualifizierenden Abschluss handelt. Auch wenn es nicht jener ist, der von allen Seiten ursprünglich offiziell angestrebt wurde. Wichtig scheint hier nur zu sein, dass damit die Leistungen durch das AMS enden.

Meine Erfahrungen aus dem Stammheim und den Praktika zeigen, dass in der alltäglichen Arbeit jene Personen die eine niedrigere Ausbildung haben, nahezu die gleichen Aufgaben erledigen wie jene mit der höheren Ausbildung. Der „Vorteil“ für die Einrichtungen ist dann für die nahezu gleiche Arbeit ein geringeres Gehalt zu entlohnen.

Nicht den ursprünglich angestrebten Abschuss machen zu können bedeutet für mich damit aufgrund der nicht vorhandenen fachlichen Spezialisierung Folgendes: Ein geringeres Gehalt, andere berufliche Entwicklungsmöglichkeiten und auch die Verwendung in Bereichen der Pflege die so von mir persönlich nie angestrebt wurden.

 

Was wäre aus deiner Sicht nötig, damit die Pflegeausbildung gut abläuft

Aus meiner Sicht sollte die Pflegeausbildung in ihrer derzeitigen Form grundlegend überdacht werden. Dabei nehme ich keine Stellen, die hier bei der Ausbildung beteiligt sind aus. Damit sind sowohl die Schulen, die Pflegeeinrichtungen, das AMS, als auch die mit dem AMS kooperierenden Stiftungen gemeint. Sie alle arbeiten aber auch nur innerhalb der für sie durch die Politik vorgegeben Rahmenbedingungen und Vorgaben. Also wäre es notwendig an dieser Stelle mit einer Änderung für die Pflegeausbildung zu beginnen. Sich von Seiten der Politik einmal in einen offenen Dialog mit den Betroffenen, also den Auszubildenden, zu begeben, wäre ein längst überfälliger Schritt.

Entscheidend ist die Finanzierung. Als praktikabel hat sich für mich nur das Fachkräftestipendium gezeigt. Ein breiterer Zugang scheitert aber an den Zutrittsbedingungen dafür. Also beispielsweise an der Anzahl an Jahren die man bereits (in anderen Bereichen) beruflich tätig war um einen Anspruch aufzubauen, oder der Unzugänglichkeit für Menschen die einen höheren Bildungsabschluss haben.

Wie auch immer dieses Modell dann konkret aussehen mag, es sollte die Vereinbarkeit von theoretischer Ausbildung in der Schule und den dafür notwendigen Lernaufwand, sowie die praktische Ausbildung und das Familienleben ermöglichen.

Ein nicht unerheblicher Teil an Personen ist dazu gezwungen die Ausbildung aus einem dieser Gründe oder aus einer Kombination der genannten Gründe zu beenden. Ein weiterer Teil an Menschen beendet aufgrund ähnlicher Ursachen in den ersten beiden Jahren nach der Ausbildung die Tätigkeit in der Pflege. Das sollte Grund genug sein, die derzeitigen Ansätze zu überdenken.

Weitere wichtige Faktoren, sind ein besserer Umgang mit Auszubildenden und Menschen die sich zu einer Ausbildung in der Pflege entschließen auch eine sinnvolle Perspektive für ihre weitere berufliche Tätigkeit in der Zukunft zu eröffnen.

 

Gibt es noch etwas, dass du zum Thema Pflege und Ausbildung sagen möchtest?

Zum Thema Pflege gibt es noch sehr viel zu sagen. Wichtig scheint mir eine Grundidee für die Pflege in der Zukunft zu entwickeln. Das Thema „Pflegenotstand“ wird bleiben, auch wenn die derzeitige Covid19-Krise irgendwann endet. Es würde also gerade jetzt Sinn machen die Lehren aus dieser Zeit für eine Umgestaltung der Pflege zu nutzen. Themen wie diese eigenen sich nicht um nur über eine Legislaturperiode betrachtet zu werden.

Die von der Politik vorgebrachten Ansätze zur Entschärfung des Pflegenotstands spiegeln aber leider genau diese kurzsichtige Denkweise wider. So kann weder eine Lehrausbildung für 16-Jährige, noch ein Anwerben von Pflegekräften auf anderen Kontinenten, noch eine teure Zusatzversicherung zur persönlichen Absicherung der Pflege oder der Versuch bereits aus den Pflegeberufen geflüchtete Personen mit den derzeitigen Rahmenbedingungen wiederzugewinnen als eine nachhaltige Änderung der Situation betrachtet werden.

Auch sollte man sich nicht der Illusion hingeben nun die hohen Arbeitslosenzahlen aufgrund von Covid19 nutzen zu können um eine Rutschbahn in die Pflegeberufe schaffen zu können. Die Lösung scheint zwar auf verschiedenen Seiten bereits Anklang zu finden, sie ist aber weder fair diesen Menschen gegenüber, noch den Personen die sie irgendwann zu betreuen haben.

Die Ausgestaltung dieser Ansätze macht vor allem eines für jetzt und für die Pflege der Zukunft deutlich. Eine wirklich nachhaltige Lösung für die Pflege wird eine starke Stimme der Beschäftigten in der Pflege beinhalten müssen.