Bericht vom Warnstreik bei der Eisenbahn: Lehren eines wichtigen Schrittes

Von 12:00 bis 14:00 standen gestern alle Züge still. Nach 8 erfolglosen Verhandlungsrunden seit Juli sah sich die Führung der zuständigen Gewerkschaft vida gezwungen, für Montag einen Warnstreik auszurufen. Das lächerliche Angebot (2,7%) deckte nicht einmal die tatsächliche Teuerung z.B. der Miete ab – und das, obwohl das ÖBB-Management im Frühjahr eine Umsatzsteigerung von über 5% und 160 Mio. € Gewinn verkündet hat!  Die Ankündigung fand nur eine Woche nach den Warnstreiks in der metalltechnischen Industrie statt (eine Einschätzung der Streiks und des Ergebnisses findet sich hier: https://www.slp.at/artikel/zum-abschluss-in-der-metalltechnischen-industrie-9258) Ähnlich wie bei den Metaller*innen war es zunächst die aggressive Gangart der Bosse, welche die Streiks provozierte. Doch mittlerweile ist es zu einem offensiven Kampf für höhere Löhne und bessere Bedingungen geworden. Das ist gut – denn so eine Offensive ist die beste Defensive! Den Bossen geht es nicht nur um ein jährliches Ritual, um das Feilschen um ein paar Prozentstellen hinter dem Komma. Sie spüren Rückenwind durch die Regierung, die ihnen mit 12-Stundentag, Angriffen auf Krankenkassen und nicht zuletzt der rassistischen Hetze eine Steilvorlage dafür bietet, auf betrieblicher Ebene die Rechte und sozialen Standards von Arbeiter*innen anzugreifen. Sie wollen längere Arbeitszeiten, billigere Beschäftigte und die Schwächung von Kollektivverträgen und Gewerkschaften. Das kapitalistische System steht vor der nächsten großen Krise. Daher wird versucht, die Ausbeutung unserer Arbeit zu steigern, um deren Profite zu erhöhen.

Ein wichtiges Zeichen

Deswegen war es richtig, dass auch die Eisenbahner*innen gestreikt haben. Es war ein wichtiges Zeichen: Nach dem Sozialbereich und dem Metallbereich war die Eisenbahn der dritte Sektor, der 2018 gestreikt hat. Das zeigt, wie sehr die Zeiten dabei sind, sich zu ändern. Sozialpartnerschaft war gestern. Die Auseinandersetzungen werden härter werden, und gegen den Klassenkampf von oben müssen wir uns entsprechend wehren. Der Streik der Eisenbahner*innen war auch deshalb so wichtig, um dies auf eine Weise klarzumachen, die nicht ignoriert werden konnte. Von den Streiks im Sozialbereich und auch im Metallbereich waren nur bestimmte Gruppen betroffen. Vor allem durch das Ausblenden der Kämpfe in den Medien gelang es, sie aus der öffentlichen Wahrnehmung zu drängen. Doch die streikenden Eisenbahner*innen konnte niemand mehr ignorieren. Wenn kein Zug mehr fährt, ist das das Thema des Tages und darüber hinaus: Jede*r wird gezwungen, Stellung zu beziehen. Entlarvend, wenn auch nicht überraschend, ist dies bei der FPÖ, die sich so gerne als Partei des „kleinen Mannes“ aufspielte, aber in Person von Infrastrukturminister Norbert Hofer den Bossen den Rücken stärkt und gegen die Streiks hetzt. Nicht zuletzt illustrierte der Streik eine einfache, aber wichtige Wahrheit, die alle, die dieses System verteidigen, fürchten wie der Teufel das Weihwasser: Es sind die Arbeiter*innen, die die Macht haben: im einzelnen Betrieb, in der gesamten Wirtschaft. Wir sind die wahren „Leistungsträger*innen“. Die Bosse brauchen uns. Wir brauchen sie nicht. Als der Streik begann, konnte die Unternehmensführung nichts machen – nur reagieren und den Betrieb offiziell einstellen lassen. Und um ihn wieder aufzunehmen, brauchte sie ebenfalls niemand.

Versuchte Einschüchterung

Umso heftiger versuchten die Bosse, die Kolleg*innen vom Streik abzuhalten. Bei der Westbahn, die einfach öffentlich verkündete, nicht am Streik teilzunehmen und alle Mitarbeiter*innen durch Mails einschüchterte – aber auch bei der ÖBB, wo an allen Dienststellen ÖBB-Chef Matthä in einer Videoschleife die Streiks mit „mutwilliger Zerstörung“ verglich und vorgab, sich um den „guten Ruf“ der Eisenbahn zu sorgen. Matthä verdient übrigens 65.333 Euro – im Monat. Liegt es da nicht eher nahe, dass er sich mehr um sein gutes Gehalt als um den guten Ruf seines Unternehmens fürchtete? Zusätzlich ließ die Unternehmensführung an allen Dienststellen Flugblätter auflegen, die Kolleg*innen davon abbringen sollten, zu streiken. Auch deswegen war der Streik wichtig – um der ÖBB-Führung die fortschrittliche Maske runterzureißen, die ihr Kern & Co verpasst haben. Der Streik hat gezeigt: Die ÖBB-Bosse agieren genauso arbeiter*innenfeindlich wie die turbokapitalistische Westbahn.

Vorbereitung im Hinterzimmer

So wichtig und richtig also der Streik war, so wichtig wäre es von Gewerkschaftsseite gewesen, diesen ordentlich, demokratisch und kämpferisch durchzuführen. Die Kolleg*innen waren streikbereit. Viele waren Feuer und Flamme für den Streik, sie wollten endlich für echte Verbesserungen kämpfen. Ein Streikposten am Wiener Hauptbahnhof meinte richtigerweise: „Wenn die Metaller streiken, warum sollen wir nicht auch streiken? Alles, was wir Arbeiter haben, haben wir uns erkämpft.“ Vor allem die jungen Kolleg*innen waren motiviert, zu streiken. Aber unter den erfahreneren Kolleg*innen gab es auch viele, die schlechte Erinnerungen an den faulen Kompromiss von 2003 hatten. So meinte etwa ein Zugbegleiter in Linz, so ein Theater wie 2003 brauche er nicht noch einmal, da hätten sie gestreikt und nachher wären sie erst recht die Dummen gewesen. Hier wäre es nötig gewesen, dass die Gewerkschaft von Anfang an in den Betrieben klar und kämpferisch auftritt, um den Kolleg*innen Mut zu machen. Eigene Gewerkschaftstreffen im Vorfeld der Streiks zu den Lehren des Streiks von 2003 hätten die berechtigten Ängste von Kolleg*innen ansprechen können und zum Erfolg der aktuellen Streiks beitragen können. Schon im Vorhinein wurde es also verabsäumt, die Kolleg*innen ordentlich vorzubereiten. Dazu kam das Hinterzimmer-Gehabe der vida-Führung bei den Verhandlungen: Es gab (und gibt noch immer!) keine konkrete Lohnforderung, nichts woran man sich orientieren könnte. Ein Kollege von der ÖBB in Salzburg meinte noch am Tag vor dem Streik: „Wir sind schon bereit, zu streiken, aber wir wüssten halt gerne, wofür, was die Forderungen sind."

Verwirrung von oben

Am Tag des Streiks selbst spitzte sich dieser Widerspruch von Motivation für den Streik und Verwirrung darüber, was passieren würde, noch mehr zu. Zu Dienstbeginn um 7:00 nahmen Kolleg*innen z.B. in Graz und in Wien erfreut unsere Flugblätter auf, in denen wir aufzeigten, wie aktive, demokratische und kämpferische Streiks aussehen können (siehe hier: https://www.slp.at/artikel/widerstand-auf-die-schiene-bringen-streiken-bis-wir-gewinnen-9262) – aber sie wussten nicht, was jetzt zu Mittag anstehen würde. Immerhin hatte die vida-Führung angekündigt, um 10:00 noch einmal zu verhandeln. Was sollte bei diesen Verhandlungen, wo wir unsere Stärke noch nicht unter Beweis gestellt hatten, anderes rauskommen als am Donnerstag? Oder am Sonntag, dem Tag zuvor? An Zeit zum Verhandeln hatte es im Vorhinein ja wahrlich nicht gemangelt! Diese last-minute Hinterzimmer-Verhandlungen haben nichts als Verwirrung gebracht. So sehr, dass um kurz vor 12:00, dem angekündigten Streikbeginn, die Kolleg*innen am Wiener Westbahnhof noch immer nicht wussten, was jetzt passieren würde. Ebenso die Kolleg*innen in Wels: dort beschweren sich die Kolleg*innen ebenso über mangelnde Informationen. Gewerkschaftliches Info-Material gibt es ebenfalls nicht. Der Frust über die Führung sitzt tief. Über ein mögliches Ergebnis der Verhandlungen meint ein Kollege: „Uns fragt ja eh niemand.“ Umso mehr freuten sich die Kolleg*innen über unser Flugblatt.

Es gab keine zentrale Verkündung des Abbruchs der Verhandlungen, kein eindeutiges: „Jetzt geht’s los!“ von Seiten der Gewerkschaftsführung. Ein Wiener Lokführer erzählte uns, er sei um 12:00 in der Station gestanden und wusste nicht, ob er jetzt weiterfahren soll oder nicht. Noch absurder am Linzer Hauptbahnhof: Dort wurden die Streikposten in der Bahnhofshalle auch nach 12:00 nicht darüber informiert, was eigentlich Sache ist. Der Streikposten war, richtigerweise, dafür gedacht, Passagier*innen zu informieren und hätte Solidarität organisieren können – aber wie, wenn die Kolleg*innen selbst keine Informationen haben? Als Folge waren die Levels an Vorbereitung, Ausrüstung und Information von Dienststelle zu Dienststelle völlig unterschiedlich. Am Wiener Hauptbahnhof gab es am Streikposten gewerkschaftliche Flyer, die über den Streik informierten. Eine sehr richtige Sache – warum gab es die in Linz nicht? Eine solche Atmosphäre der Verwirrung machte es auch nicht einfacher, Kolleg*innen von der Westbahn in den Streik zu integrieren, die mit massiver Einschüchterung zu kämpfen hatten.

Eigenaktivität und Solidarität von unten

Die Kolleg*innen wurden bis zuletzt über die konkreten Kampfmaßnahmen im Dunklen gelassen. Das ist schädlich für den Arbeitskampf. Schlussendlich war es an vielen Stellen die Eigenaktivität, die dafür sorgte, dass der Streik durchgezogen wurde: Kolleg*innen, die trotz Informationsmangels einfach selbst beschlossen haben, um 12:00 mit der Arbeit aufzuhören. Kolleg*innen wie jener aus Salzburg, der am betreffenden Tag zwar frei hatte, aber sich in die Bahnhofshalle stellte, um Passagier*innen aufzuklären und Solidarität für den Streik zu gewinnen. Diese Beispiele zeigen das enorme Potential, dass es für aktive Streiks gibt. Doch die Gewerkschaftsführung bremste dies massiv ein, indem sie, wie Kolleg*innen berichteten, nur die Order ausgab, „ruhig zu halten“.

Doch statt in den Werken zu versauern, wäre es wichtig gewesen, rauszugehen – in die Bahnhofshallen, um dort die Streikposten zu verstärken, an öffentliche Plätze usw. Denn auch das Potential für Solidarität mit den Streiks war und ist enorm: Im Vorhinein sprachen sich 60% der Bevölkerung für Streiks bei der Bahn aus. Auch während dem Streik war die Solidarität an den Bahnhöfen spürbar. In Linz trafen wir eine junge Friseurin, die zwar nicht vom Streik wusste, aber es toll fand, dass gestreikt wird. Sie selbst würde selber auch streiken, meinte sie - weil die Löhne zu niedrig sind, genauso wie bei den Eisenbahner*innen. Eine Köchin meinte ebenfalls, dass es gut ist, dass gestreikt wird und das Angebot von 2,7% lächerlich ist. Sie hofft, dass die Streiks erfolgreich sind und würde ebenfalls auch gerne selbst streiken. Eine junge Pflegeschülerin meinte, sie unterstütze den Streik. Auch sie würde gerne in der Pflege streiken. Am Wiener Hauptbahnhof zeigte sich ein älteres Ehepaar mit dem Streik solidarisch: Die Eisenbahner*innen sollten „es denen da oben amal ordentlich zeigen“.

Wie weiter?

Zum aktuellen Zeitpunkt ist der weitere Verlauf der Verhandlungen ungewiss. Aber die letzte Woche hat gezeigt: es muss Schluss sein mit der Geheimnistuerei. Es gehören konkrete Forderungen auch bei den Löhnen auf den Tisch. Es ist absolut nicht ausgeschlossen, dass wieder gestreikt werden muss. Umso wichtiger ist es nun, die Lehren zu ziehen. In den Dienststellen selbst können wir die Erfahrungen vom Montag bilanzieren: was hat gut funktioniert, was weniger? Ein Streikposten am Wiener Hauptbahnhof meinte etwa, die nächsten Flugblätter sollte es auch auf Englisch geben, um mehr Leute ansprechen zu können. Das ist absolut richtig. Für viele Dienststellen wäre es schon ein Fortschritt, wenn es überhaupt einen an die Öffentlichkeit gewendeten Streikposten mit Flugblättern gibt! Wo informiert wurde, kam Solidarität zurück. Das ist eine wichtige Lektion: Wir dürfen den Unternehmen nicht die Informationshoheit lassen. Wir brauchen eigene Medien, eigenes Material, um unsere Forderungen zu präsentieren und zu erklären. Die etablierten Medien warteten gestern gierig auf einzelne wütende Passagier*innen, um sie vor die Kamera zu zerren und den Streik in einem schlechten Licht dastehen zu lassen. So etwas können wir nur durch eigene Aktivitäten und Öffentlichkeit verhindern. Das wichtigste ist aber die demokratische Einbindung der Kolleg*innen. Ein Streik, der über die Köpfe der Kolleg*innen hinweg ausgerufen und durchgeführt wird, schöpft nur einen Bruchteil seines Potentials aus – im schlechtesten Fall führt er sogar zu Frust. Wir wissen aber auch, dass wir nicht darauf warten können, bis Hebenstreit & Co auf unsere guten Argumente hin die Abläufe demokratisieren. Dafür müssen wir selbst sorgen, durch Druck von unten! Organisieren wir uns an den Dienststellen. Stellen wir eigene Forderungsvorschläge auf, um sie mit Kolleg*innen zu diskutieren. Organisieren wir öffentliche Aktionen: die Donnerstagsdemos haben sich diese Woche bereits die Solidarität mit den Eisenbahnstreiks zum Thema genommen. Nutzen wir diese Plattform mit einem eigenen Eisenbahner*innenblock! Solidarisieren wir uns mit dem Sozialbereich, der – bestärkt von den Ereignissen der letzten Wochen – nun mit sehr guten Forderungen nach +6% und einer 35-Stundenwoche in die KV-Verhandlungen gegangen ist. Forderungen nach Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn und Personalausgleich sind gerade bei der Bahn besonders wichtig: es fehlt an allen Ecken und Enden an Personal. 2018 wurden 7 Millionen Überstunden geleistet. Und bis 2020 stehen auch noch 10.000 Pensionierungen an!

Sorgen wir dafür, dass der Warnstreik am Montag nur ein holpriger Testlauf für eine echte Streikbewegung wird. Denn nichts weniger brauchen wir gegen die Offensive der Bosse und ihrer Regierung!