Di 01.04.1997
Der Zusammenbruch von dubiosen Finanzanlagefirmen hat in dem drei Millionen Einwohner zählenden Albanien eine Revolte ausgelöst. Wochenlange Auseinandersetzungen führten zu einer weitgehenden Auflösung der staatlichen Strukturen. Ist wieder einmal ein Balkanvolk verrückt geworden, wie uns Krone & Co. weismachen wollen, oder geht es da doch um etwas anderes?
Nach dem Bruch mit der Sowjetunion 1963 und mit China 1978 hat das bürokratische Regime unter der Führung von Enver Hoxha Albanien in die totale wirtschaftliche Isolation geführt. Das stalinistische Konzept des „Sozialismus in einem Land“ hat im kleinen Albanien noch weniger funktioniert als in der Sowjetunion.
Nachdem die Stalinisten selbst noch 1990 die ersten Marktreformen eingeführt hatten, ist 1992 - unter dem Druck des Internationalen Währungsfonds - die extrem marktwirtschaftliche „Demokratische Partei“ von Sali Berisha an die Macht gekommen. Berisha hat dem Westen in der Balkankrise gute Dienste geleistet (Operationsbasis für NATO-Truppen) und außerdem die interessantesten Teile der Wirtschaft (Öl, Mineralien) griechischen und italienischen Investoren überlassen. Trotz seiner korrupten Herrschaft wurde er vom Westen (auch und besonders von der ÖVP) hofiert.
Zwischen 1992 und 1996 wurde Albanien zu dem Land in der Region mit der stabilsten Währung, den höchsten Wachtumsraten und der größten Bedeutung der Privatwirtschaft. Die Schattenseiten waren ein drastischer Rückgang der industriellen Produktion und ein instabiles Bankensystem. Dazu kamen ein Rückgang der Reallöhne und wachsende soziale Ungleichheit. Ab 1994 wuchs die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit dem Regime Berishas immer mehr. Die Wahlen von 1996 konnte er nur mit einem großangelegten Wahlbetrug „gewinnen“. Maßgeblich unterstützt wurde er von den Außenstellen der Parteistiftungen der deutschen CDU und CSU.
Der Zusammenbruch der Finanzanlagefirmen im Jänner, durch den Hunderttausende ihr Geld verloren, führte dann zur Revolte. Ausgehend von der Hafenstadt Vlora brachten Aufständische seit Anfang März schrittweise ganz Südalbanien unter ihre Kontrolle. Sie fordern nicht nur die Rückgabe des verlorenen Geldes, sondern auch den Rücktritt Berisha, der in die halbseidenen Finanzmachenschaften verstrickt ist. Wie in vielen osteuropäischen Ländern ist auch in Albanien die neue Kapitalistenklasse eng mit der Mafia verbunden.
Die Führung der Aufständischen besteht aus lokalen Funktionären der „Sozialistischen Partei“ (SP), aus von Berisha entlassenen Militärs und aus einfachen ArbeiterInnen. Mit täglichen Volksversammlungen gibt es auch Ansätze einer direkten Demokratie der städtischen Bevölkerung. Wäh-rend in der Hauptstadt Tirana die Revolte eher chaotisch ablief und auch unpolitische Banden eine Rolle spielen, versuchen die Aufständischen im Süden ansatzweise neue politische und militärische Strukturen aufzubauen. Da viele Soldaten mit den Aufständischen sympathisieren, hat die Armee kaum Widerstand geleistet und die Aufständischen konnten große Mengen an Waffen erobern. So in die Defensive geraten hat Berisha gemeinsam mit der promarktwirtschaftlichen Führung der SP eine Übergangsregierung gebildet.
Der Ausgang der albanischen Krise wird einerseits davon abhängen, ob es Berisha gelingt, seinen riesigen Geheimdienst zu reorganisieren und die Bevölkerung Nordalbaniens, die einen anderen Dialekt spricht als die Südalbaner, gegen die Aufständischen aufzuhetzen. Andererseits wird es davon abhängen, ob die Aufständischen eine wirkliche Arbeiterdemokratie errichten und damit eine politische Perspektive entwickeln können, die über das kapitalistische System hinausweist.