2003: Das Jahr, als die Streiks kamen

Die Zeiten werden härter - Bilanz der Arbeitskämpfe 2003 in Österreich
Sonja Grusch

Im Jahr 2003 kam es zu zahlreichen gewerkschaftlichen Protestmaßnahmen von Demonstrationen über Dienststellenversammlungen bis hin zum Streik. Gegen Personalabbau gab es im März "Dienst nach Vorschrift" bei der Post. Es folgten Dienststellenversammlungen bei den LehrerInnen und ein Streik gegen die Stundenkürzungen. Der ÖGB rief gegen den Pensionsraub zu Demonstration und Streik auf. Im Herbst fand in Linz eine Menschenkette gegen die Voest-Privatisierung statt. Bei AUA, Postbus und ÖBB kam es in den letzten Monaten zu Streiks. Bei der AUA waren es fünf Arbeitsniederlegungen, bei der ÖBB wurde sogar ein unbefristeter Streik angekündigt, der von einem eintägigen Streik beim Postbus begleitet war. LehrerInnen, Post und Postbus protestierten erfolglos. Trotz eintägigem Streik am 3.6. beschloss die Regierung den Pensionsraub. Der Streik bei den ÖBB zeigte die enorme Macht der Beschäftigten und hätte die Regierung fast in die Knie gezwungen, die AUA-Streiks endeten mit einem relativ weitgehenden Erfolg für die Streikenden. Können wir aus dieser Bilanz ablesen, dass streiken wenig Erfolg bringt? Im Gegenteil: Wir müssen die Stärken und Schwächen - Dauer, Konsequenz, Protestformen - untersuchen und die richtigen Schlussfolgerungen ziehen, um bei kommenden Auseinandersetzungen besser gerüstet und vorbereitet zu sein.

Meinung wird gemacht

Zum ersten ist eine Unterstützung bzw. eine Solidaritätserklärung sehr wichtig für die streikende Belegschaft. Es tut jedem gut zu wissen, dass man nicht alleine den Kampf bestreitet. Auf die Medien ist leider kein Verlass, da sie weder objektiv noch unabhängig berichten. Die Medien manipulieren die Meinungsbildung der ÖsterreicherInnen. Diese Medien berichten zum großen Teil für das Kapital und damit für die Herrschenden. Es ist daher notwendig, die betroffenen Gruppen auch, soweit möglich, im eigenen Betrieb zu unterstützen und mit Flugblättern, Plakaten und in Diskussionen auf die Argumente der "anderen Seite" hinzuweisen. Thomas Lindmayer, Betriebsrat, Oberösterreich, GMT

Der Verkehrsfunk schwieg die Staus am 12.10. tot, damit die Regierung erklären konnte, die Streiks hätten keine nennenswerten Auswirkungen. Die Erfahrungen der Streikposten beim EisenbahnerInnen-Streik mit Fahrgästen waren überwiegend positiv. Manche kamen sogar extra, um ihre Solidarität zu bekunden. Am Westbahnhof in Wien beobachteten Streikposten, wie ein Fernsehteam SchauspielerInnen Anweisungen und einen Text gab. Der Bericht wurde ausgestrahlt, erboste "Fahrgäste" berichteten über den Schaden, der ihnen durch den Streik entstanden sei. Der stellvertretende Bundesparteiobmann der FPÖ Max Walch erklärte, dass viele ÖBB-Mitarbeiterinnen "gegen ihren Willen zum Streik mehr oder weniger gezwungen" worden seien. Beweise gibt es dafür ebenso wenig wie für die Behauptungen, die AUA-FlugbegleiterInnen wären von den Piloten gezwungen worden. Monatelang wurde über die Medien von angeblichen Privilegien "berichtet", oder besser, die Behauptungen der Regierung wiederholt. Gewerkschaft und BetriebsrätInnen machen immer wieder die Erfahrung, dass ihre Sicht der Dinge von den Medien ignoriert wird. Das zeigt, dass die Medien nicht unabhängig, sondern ein Instrument der Herrschenden sind, und Stimmung in ihrem Sinne gemacht wird. Josef Löw, Personalvertreter bei der ÖBB, empfand die Rolle der Medien als "sturmreif schießen" von Gewerkschaft und Belegschaft.
Dass die Medien trotzdem gezwungen waren, auch positive Berichte und Stimmungsbilder zu bringen, zeigt die enorme Sympathie, die geherrscht hat. Trotz Lügen, Einschüchterung und Fehlinformation wird Streik zunehmend als legitim gesehen. Nach einer Umfrage des Ifes-Institutes hielten rund 60% die Kampfmaßnahmen der EisenbahnerInnen für gerechtfertigt. Eine von Lukas Mandl, Bundsvorstandsmitglied der Jungen Volkspartei, eingerichtete Homepage (www.esreicht.at) konnte gerade 3344 Stimmen gegen den Streik organisieren - und dass obwohl sie über die Medien breit beworben wurde. Den Streik gegen den Pensionsraub hielten 53 % der Bevölkerung für gerechtfertigt, bei den unter 30jährigen sogar 68 %.

Wo ist die Gewerkschaftspresse?

Weil sich die Meinung der ArbeitnehmerInnen in den bürgerlichen Medien nicht widerspiegelt, hat die ArbeiterInnenbewegung immer darauf Wert gelegt, eigene Medien zu haben. Heute gibt es leider keine Tageszeitung, die im Sinne der ArbeiterInnen schreibt. Tragisch ist auch, dass der ÖGB seine eigenen Medien nicht nutzt. Die "Kompetenz", die Zeitung der GPA, jener Gewerkschaft, in der das AUA-Bodenpersonal organisiert ist, ignorierte den Arbeitskampf bei der AUA völlig, anstatt für einen gemeinsamen Kampf aller AUA-Beschäftigten aufzurufen. Auf die Anfrage von Gewerkschaftsmitglieder an die GPA antwortete GPA-Vorsitzender Sallmutter u.a. "Unaufgefordert laufende Aktivitäten anderer Gewerkschaften zu kommentieren ist innerhalb des ÖGB´s nicht üblich." In der September-Nummer der Kompetenz findet sich immerhin ein Artikel zum Thema "Österreich braucht die Bahn" wo GDE-Vorsitzender Haberzettel als Bildunterschrift darauf hinweist, dass ein Streik nicht ausgeschlossen ist. Aufruf und Mobilisierung für Solidarität sucht man vergeblich.
Zynisch die "Solidarität", die ÖGB-Zeitung, in ihrer November-Ausgabe. In der Bildergalerie zum ÖGB-Kongress findet sich ein Foto vom AUA-Stand mit der Bildunterschrift "Während die Piloten streiken, streicht das freundliche ‚Bodenpersonal' auf dem Informationsstand der neuerdings Austrian genannten Fluglinie die bekannten Vorteile der heimischen Airline heraus." Nicht zu vergessen, dass der AUA-Vorstand Gewerkschaft und Betriebsrat mit Schadensersatzklagen sowie die Streikenden mit Entlassungsklagen bedrohte. Schlimm, das die AUA als Unternehmen auf dem ÖGB-Kongress werben durfte. Für die streikenden AUA-Beschäftigten war das ein Schlag ins Gesicht. Foto & Bildunterschrift legen noch eins drauf. Auf unsere Protestbriefe erhielten wir vom stellvertretenden Chefredakteur Luger folgende Antwort: "Sie werden aber wohl selbst zugeben müssen, dass ein Unternehmen während der - langen - Zeit der Verhandlungen nicht seine Tätigkeit - in diesem Falle eben die Präsenz auf
der für Betriebsräte bestimmte Informationsmesse Rat & Tat '03 - einstellen kann sondern weiter präsent sein muss. Ein wenig Verständnis für die Arbeit und Aufgaben der ‚anderen Seite' gehört auch zum Verständnis der Gewerkschaftsbewegung." Gerade angesichts der medialen Übermacht müsste die Gewerkschaft aber alle Mittel nutzen, um die Öffentlichkeit über ihre Anliegen zu informieren.

Handeln statt Verhandeln!

Streiks verursachen Kosten und tun weh! Betroffen sind die Streikenden und ihre Familien, sowie beim ÖBB-Streik, die vom Bundeskanzler sonst völlig vernachlässigten, PendlerInnen. Tatsächlich werden die Streikkosten zu ungleichen Teilen zwischen unselbständig Erwerbstätigen und Unternehmern aufgeteilt. Es bringt jeder Streik einen volkswirtschaftlichen Schaden, und das ist gut so und notwendig. Nur sollte der ÖGB dies auch erkennen und als Waffe in Verhandlungen nutzen. Josef Löw, Vorsitzender des Vertrauenspersonensausschusses/VPA Managementservices/MA Nordbahnstraße

Nach monatelangen Verhandlungen und zwei Warnstreiks meinte der Vorsitzende des AUA-Bord Betriebsrates, Rudolf Novak: "Ich sehe jetzt, im Nachhinein, da waren nie Verhandlungen, der Vorstand hat uns immer nur neue Konzepte vorgelegt, die auf die 35% Einsparung kommt. Er hätte uns nur mitgestalten lassen, wie sich die 35% darstellen, aber die 35% waren nicht verhandelbar - es waren definitiv keine Verhandlungen....es war eine Hinhaltetaktik."
Tragisch ist, dass die ÖGB-Führung Teil dieser Hinhaltetaktik war. Am 15.10. sollten die streikenden AUA-Bord-Beschäftigten zum ÖGB-Kongress fahren. Der Vorstand begann Scheinverhandlungen, die Abfahrt wurde verschoben. Währenddessen sammelte der Vorstand mit Hilfe eines Buffets unter den Boden-Beschäftigten Unterschriften gegen den Streik, die Verzetnitsch überreicht wurden. Als die Streik-Delegation endlich am Kongress eintraf, wurden sie nicht einmal in den Sitzungssaal gelassen.
Immer wieder hat sich die ÖGB-Führung darüber beschwert, es gäbe keine "echten Verhandlungen". Das zeigt, dass sie die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nicht in Betracht zieht. Unternehmen & Regierung können - von ihrem Standpunkt aus gesehen - keine Verhandlungen wie in den 60er und 70er Jahren führen, weil sie wirtschaftliche Probleme haben, die sie auf die ArbeitnehmerInnen abwälzen wollen. Doch umgekehrt können die Beschäftigten immer weniger Zugeständnisse machen, weil sie sich das schlicht nicht leisten können. Der AUA-Streik hat hier eines gezeigt: Mit Streiks im Rücken lässt es sich (nicht erst) heutzutage sicher am besten verhandeln.

Nicht einschüchtern lassen

"Streik ist ein archaisches Recht, ähnlich dem Faustrecht! Es ist Zeit in einer zivilisierten Welt diese Form der Nötigung abzuschaffen!", so der Österreichischer Gewerbeverein. "Experten" erklären, die Streiks wären illegal. Die Betriebsversammlung bei der AUA am 11.10. wird mittels Einstweiliger Verfügung untersagt, den Streikenden wird mit Entlassung, dem Betriebsrat sowie der Gewerkschaft mit Schadensersatzforderungen gedroht. Auch der ÖGB-Vorstand bedroht die streikenden EisenbahnerInnen mit "Konsequenzen".
"Die Wirtschaftskammer wird dann konkret prüfen, ob sich einzelne der bekannt gegebenen Fälle für die Führung von Musterprozessen eignen." (Homepage der Bundeswirtschaftskammer) Die Regierung ist in keinem der Arbeitskämpfe neutral, sondern eindeutig auf Seite der Unternehmen. Beim ÖBB-Streik wird in einigen Bundesländern das Nachtfahrverbot für LKW aufgehoben, Regierungsvertreter sprechen sich klar gegen Streiks aus und die Medien werden zur Hetze gegen Streikende genutzt. Wenn sich die Gewerkschaften davon einschüchtern lassen, erfolgen Privatisierung und Sozialabbau künftig noch drastischer. Beim AUA-Streik hatten die KollegInnen klargemacht: "Wenn es Entlassungen gibt, dann streiken wir, bis diese zurückgenommen werden". Der Streik zwang den Vorstand auch zur Rücknahme aller Repressionen und Klagen. Aus dem Verhandlungsprotokoll: "Alle im Zusammenhang mit dem Arbeitskonflikt ausgesprochenen schriftlichen Verwarnungen, Klagsandrohungen und Klagseinbringungen sowie Schadenersatzforderungen aber auch die Unterlassungsklagen, sowie Kündigungen und Entlassungen von welcher Seite auch immer werden mit Unterzeichnung des Resümeeprotokolls zurückgezogen."

Für einen aktiven Streik

Als GDE-Streikposten war ich positiv überrascht über das Verständnis und die Bereitschaft zur Diskussion der meisten Menschen, die einfach wissen wollten, warum wir streiken! Da ging einigen doch ‚ein Licht auf', dass wir eigentlich gar nicht solche Privilegienritter sind, als die uns manche Politiker und Medien immer wieder bezeichnen. Verbesserungswürdig wäre sicher mehr Unterstützung innerhalb unserer Organisation und in verstärktem Maße die Solidarisierung anderer Gewerkschaften. Und unmittelbarer Beistand vor Ort, wie ich es beim tollen Team der SLP erlebt habe. So etwas gibt Kraft und das Vertrauen, für die richtige Sache zu kämpfen. Gabriele Schaufler, Versehrtenvertrauensfrau Westbahnhof

Die GDE hatte zu einem unbefristeten Streik aufgerufen. Dabei ist aber noch viel mehr als sonst die aktive Beteiligung aller Streikenden notwendig. Doch hier ist der ÖGB mehr als unerfahren. Beim Streik gegen den Pensionsraub wussten die meisten nicht einmal, wann und ob sie überhaupt streiken würden. Anstatt die Streikenden in einer großen Demonstration zusammenzufassen, wurde ihnen gesagt, sie dürften den Arbeitsplatz nicht verlassen. Nur in Linz kam es zu Demonstrationen, diese wurden allerdings von der SPÖ für ihren Wahlkampf missbraucht. Thomas Lindmayer, Betriebsrat aus Linz berichtet über den Streik am 3.6.03: "Grundsätzlich waren anfangs viele Kollegen verunsichert, auch ich hatte so meine Zweifel, war auch kein Wunder, war es doch für uns alle der erste richtig große Streik. Diese Verunsicherung löste sich im Laufe des Vormittags auf. Als sich das Ende näherte, fragten mich viele Kollegen, ob das alles gewesen wäre. Sie wollten ein Zeichen setzen und demonstrativ auf die Straße gehen, anstatt in der Kantine zu sitzen. Ich war überrascht, wie schnell einige Kollegen aktiv werden wollten, um diesen Rentenklau zu vermeiden. Noch eine Überraschung: Speziell jüngere Kollegen sind sehr daran interessiert, Streiks in Zukunft etwas kämpferischer zu gestalten!"
Die KollegInnen bei der AUA gingen genau diesen Weg: Neben dem Betriebsrat mit 16 Mitgliedern (FlugbegleiterInnen und Piloten) gab es noch ein Streikkomitee mit weiteren 20 und ein Aktionsteam mit noch einmal rund 130 KollegInnen. Markus Populorum, Betriebsrat AUA-Bord, berichtet: "Auch für den letzten Streik waren keine außerordentlichen Vorbereitungen notwendig, denn das durch die vorangegangenen Streiks sehr erfahrene Streikkomitee und Aktionsteam konnte auf die verschiedenen Fähigkeiten und die Arbeitskraft vieler KollegInnen zurückgreifen. Dank des Streikkomitees konnte sich der Betriebsrat voll auf die umfangreichen Verhandlungen konzentrieren. Bei uns waren ein paar hundert KollegInnen aktiv in den Streik eingebunden, beim Vorstand war das nur eine handvoll Manager. Bei uns ging es um unsere Existenz, und beim Vorstand "nur" um seine Prämien, womit wir neben der Arbeitskraft auch moralisch und von der Motivation her überlegen waren. Wichtig war auch die Entschlossenheit der Belegschaft, und für uns vom Betriebsrat war klar, dass der Betrieb steht, wenn es bis 16.11. kein Ergebnis gibt.
Als bekannt wurde, dass der Vorstand bereits während der Verhandlungen Flugzeuge für einen etwaigen Arbeitskampf bestellt hatte, informierte das Streikkomitee die KollegInnen per SMS und damit ist alles in mittlerweile gewohnter Art abgelaufen. Die KollegInnen waren zahlreich zur Stelle, und bauten neben der Tonanlage auch gleich wieder ein Buffet auf, da die Geschäftsleitung die Anweisung gegeben hatte, die Kantine geschlossen zu halten."
Der EisenbahnerInnenstreik begann am Mittwoch den 12.11. Am Donnerstag Abend hatte der ÖGB 400.000 Flugblätter produziert. Bis Freitag Mittag waren diese allerdings nicht auf den Bahnhöfen eingelangt. Die Streikposten standen de facto ohne Material in den Bahnhöfen. Die Chance, mittels Flugblättern, Infotafeln und Streikzeitungen die Fahrgäste in den Bahnhöfen und Beschäftigte anderer Branchen in U-Bahnstationen, Einkaufstrassen und anderen belebten Plätzen über die Streikziele zu informieren, wurde vergeben. Ebenso versuchte die Gewerkschaft nicht, den Streik mittels Blockaden und Demonstrationen nach außen zu tragen. Damit hätte der ÖGB das Informationsmonopol der Regierung gebrochen und einen Sieg für die Beschäftigten durchsetzen können.

Klassenkampf statt Verzetnitsch

Das Wichtigste bei unserem Streik war, dass die Belegschaft zusammengehalten hat und hinter den Personen gestanden ist, die sich zwangsläufig exponierten. Für die FlugbegleiterInnen und Piloten war klar, dass sie alle betroffen sind, wodurch die Solidarität massiv gestärkt wurde. Bei einem Streik ist es essentiell, die Geschäftsleitung davon zu überzeugen, dass die Belegschaft zu einem Streik bereit ist. Für das Unternehmen ist es natürlich besser, wenn das Management daran keine Zweifel hat. Für die ArbeitnehmerInnen ist es wichtig, wann auch immer es von der Geschäftsleitung "eingefordert" wird, bereit zu sein, ihre Solidarität mittels eines Streiks zu beweisen. Markus Populorum, Betriebsrat AUA-Bord, HTV

Die Notwendigkeit von gewerkschaftlicher Gegenwehr ist angesichts der immer aggressiveren Angriffe von Unternehmensseite überdeutlich. Gleichzeitig herrscht unter vielen Gewerkschaftsmitgliedern Frust über die mangelnde Konsequenz bei Kampfmaßnahmen. Josef Löw meint dazu: "Leider hat der ÖGB beim Eisenbahnerstreik nur halbherzig - nämlich nur in der Streikunterstützung - gehandelt. Eine Einbindung aller von den Maßnahmen der Bundesregierung betroffenen Gewerkschaftsmitglieder wäre dringend von Nöten gewesen. Es müsste vom ÖGB also in Richtung Generalstreik agiert und argumentiert werden."
Die Gewerkschaftsführung hofft immer noch auf die Sozialpartnerschaft. Sie verschließt die Augen vor den Veränderungen, die stattfinden. Vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Krise versucht die Regierung, nun den Sozialstaat endgültig zu zerschlagen. Der Zweckoptimismus des Finanzministers kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Wachstum 2003 voraussichtlich unter einem Prozent liegen wird und dass die Arbeitslosigkeit jedes Monat neue Rekorde verzeichnet. Aus der Sicht von Unternehmen & Regierung ist es notwendig, den Einfluss der Gewerkschaften zurückzudrängen, um die Angriffe auf die ArbeiterInnenklasse mit weniger Widerstand durchsetzen zu können. Im Regierungsübereinkommen wurde festgehalten, dass Flexibilisierung in allen Bereichen "auf betrieblicher Ebene... (und)... in Einzelvereinbarungen" ermöglicht werden soll. Die FPÖ will schon lange das "Zurückdrängen des Gewerkschaftseinflusses". Insbesondere bei der Zerschlagung der ÖBB geht es auch darum, die Gewerkschaft der EisenbahnerInnen zu schwächen.
"Der ÖGB-Präsident versucht aus meiner Sicht zu de-eskalieren. Die Rolle des Vermittlers hat er nicht nur in unserem Streik sehr gut gespielt. ob dieses im Sinne der Mitglieder geschah, ist zu hinterfragen." meint Josef Löw. In einer ORF-Pressestunde im Zuge des AUA-Konfliktes definierte Verzetnitsch seine Rolle als Vermittler zwischen Beschäftigten und Unternehmen.
Niemand streikt gerne, aber wenn ArbeitnehmerInnen ihre Interessen nicht anders durchsetzen können, ist Streik ein notwendiges und legitimes Mittel. Die Spitzen des ÖGB handeln in der Praxis anders. Nach Streik und Grossdemonstration im Frühjahr 2003 gegen den Pensionsraub erklärte Verzetnitsch am 6.6. ein Ende der Streiks und übergab die Verantwortung an das Parlament. Auch beim ÖBB-Streik beendete die Gewerkschaft diesen just zu dem Zeitpunkt, als dieser begann, "zu wirken". Wirksam ist ein Streik immer erst, wenn die Kosten, die den Unternehmen durch den Streik entstehen oder entstehen können, grösser sind als die Kosten, wenn den Forderungen der Gewerkschaft nachgegeben wird. Als in Folge des EisenbahnerInnen-Streiks die produzierten Waren nicht mehr abtransportiert und keine Rohstoffe mehr angeliefert werden konnten, stieg der Druck von UnternehmerInnenseite auf die Regierung enorm. Anstatt diesen Druck aber zu nutzen, um ihre Ziele durchzusetzen, zog die Gewerkschaft zurück und lies sich auf einen mehr als fraglichen Kompromiss ein. Die Streikziele wurden so nicht erreicht.

Wie weiter kämpfen?

Die Entschlossenheit der AUA-KollegInnen, die nach erfolglosem Auslaufen des “Waffenstillstandes” am 17.11. sofort wieder in den Streik getreten sind, sollte Vorbild für alle sein. Sie war die Grundlage für den Erfolg! Durch die neuen Regelungen wird es dem Management nicht mehr möglich sein, die KollegInnen von AUA und Lauda gegeneinander auszuspielen. Dieselbe Entschlossenheit gab es auch in anderen Bereichen, gefehlt hat es aber an der Gewerkschaftsführung, die zu halbherzigen Protesten aufrief bzw. in der Mitte einfach abbrach.
Für einen erfolgreichen EisenbahnerInnenstreik wäre die Ausweitung in andere Berufsgruppen wichtig gewesen. 52% meinten, dass der Regierung bei der ÖBB-Reform nur um "die Durchsetzung parteipolitischer Interessen" geht. Vielen war klar, dass es der Regierung darum ging, ein Exempel gegen die starke Eisenbahnergewerkschaft zu setzen. Wäre die GDE geschlagen, wären künftige Angriffe auf andere leichter. Viele Beschäftigte der Wiener Linien und der Stadtwerke rechneten schon mit Solidaritätsstreiks für die EisenbahnerInnen und waren auch dazu bereit. 68,1% meinten, der Streik könnte Erfolg haben. Wäre der EisenbahnerInnenstreik weiter geführt worden, wäre er mit dem AUA-Streik zusammengefallen. Das in Kombination mit Solidaritätsstreiks hätte eine enorme Macht bedeutet, die die Regierung in die Knie und auch aus dem Amt hätte zwingen können.
Solange die Gewerkschaften in der Logik des Kapitalismus denken und handeln, wird es immer unmöglicher, die Interessen der Beschäftigten zu verteidigen. Die Kritik am Kapitalismus darf sich nicht auf eine zahnlose Anti-GATS-Kampagne beschränken, sondern muss die Profitlogik an sich angreifen. Die SPÖ ist dabei sicher kein Partner - sie war für Sozialabbau und Privatisierung in den 80er und 90er Jahren verantwortlich. Die meisten WählerInnen der SPÖ sehen diese inzwischen höchstens als kleineres Übel. Auch innerhalb der Gewerkschaftsführung häufen sich die kritischen Stimmen. Die ArbeiterInnenbewegung braucht neben kämpferischen Gewerkschaften eine politische Vertretung - eine ArbeiterInnenpartei, am besten mit sozialistischem Programm. Dass es eine solche in Österreich zur Zeit nicht gibt, ist der Hauptgrund dafür, das schwarz-blau noch im Amt ist. Die Gewerkschaftsbewegung hat daher nicht nur die Aufgabe, entschlossene Kämpfe für die Rechte und Interessen der ArbeiterInnen zu führen, sondern auch, sich am Aufbau einer solchen neuen ArbeiterInnenpartei zu beteiligen.

Erscheint in Zeitungsausgabe: