Di 21.09.2010
2010 erschein im Dietz-Verlag Berlin diese Textsammlung der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Die Herausgeber (Marcus Hawel und Moritz Blanke) wollen „einen Beitrag dazu leisten, die gegenwärtig festgefahrene Kontroverse über den Nahostkonflikt innerhalb der Linken … in produktive Bahnen zurückzuführen.“ Ein frommer Wunsch, auf den 190 Seiten lang kaum etwas nachfolgt. So wurde es offenbar nicht für nötig erachtet neben deutschen und israelischen AutorInnen auch eine relevante Zahl an palästinensischen Beiträgen aufzunehmen.
Zweifellos finden sich brauchbare Beiträge. Isabel Erdem setzt sich fundiert und aus einer grundsätzlich marxistischen Perspektive mit der Ideologie der sogenannten „Antideutschen“ auseinander. Zwar keine neuen Erkenntnisse, aber es ist nichtsdestotrotz notwendig diese letztlich nicht linke und nicht antikapitalistische Ideologie einer Kritik zu unterziehen. Moshe Zuckermann bringt interessante Überlegungen zum wechselseitigen Verhältnis zwischen Anti- und Philosemitismus.
Ansonsten zeichnen sich die Beiträge vor allem durch Hilflosigkeit und Beliebigkeit aus. Peter Ullrichs Beitrag zum „internationalen Diskursvergleich“ dazu ob der Nahostkonflikt ein Spielfeld für den Antisemitismus von links sei zeichnet sich gibt sich besonders kurzsichtig. Mit einzelnen Anekdoten aus Texten und Veranstaltungen der britischen Socialist Workers Party (in Österreich Linkswende) beklagt er deren mangelnde Abgrenzung zum Antisemitismus und rechten politischen Islam. Zweifelsohne besteht dieses Abgrenzungsproblem in der genannten Organisation, an Unwissenschaftlichkeit allerdings kaum mehr zu übertreffen ist – wie Ullrich – einzelne Erlebnisse mit dieser Organisation als repräsentativ für „die britische Linke“ zu sehen. Es mag einfacher sein, als sich mit mehreren verschiedenen Organisationen und deren Herangehensweise auseinanderzusetzen, dafür ist aber auch der inhaltliche Wert enden wollend. Mit dieser halbherzigen Unwissenschaftlichkeit ist Ullrich aber nicht alleine. Die Bundestagsabgeordnete der Linken, Katja Kipping, unterstellt unhinterfragt etwa der libanesischen Hisbollah Israel vernichten zu wollen. Hätte sie ein paar Minuten mehr Recherchearbeit für ihren Beitrag aufgewandt und das aktuelle Manifest der Hisbollah gelesen, oder die Texte von Hassan Nasrallah, hätte sie dann doch gemerkt, dass sich - abgesehen von durchaus angebrachter Kritik an der Hisbollah - von dem angeblichen Vernichtungswahn nichts finden lässt.
Die Frage, warum der rechte politische Islam, verkürzt „Islamismus“ genannt, überhaupt zu seinem derzeitigen Einfluss gekommen ist wird kaum berührt. Das rechts-islamistische Organisationen wie Hamas und Hisbollah keine Perspektive für die Lösung des Konfliktes anbieten können ist zwar klar, aber sie als Folgeerscheinungen der israelischen Besatzungspolitik und des Versagens der arabischen Linken zu erklären, fällt keinem/r der AutorInnen ein. Ist ja auch eine komplizierte Entwicklung. Stattdessen werden lieber psychologische Phänomene zur Erklärung herangezogen.
Linke Lösungsansätze für den Nahostkonflikt finden sich überhaupt nicht. Wie ein roter Faden zieht sich bei den AutorInnen, die sich bis zu dieser Stelle wagen, die Forderung nach einer „zwei-Staaten-Lösung“. Diese Forderung ist zwar berechtigt, inwiefern sie sich allerdings als „links“ auszeichnet wenn sie auf rein kapitalistischer Grundlage aufgestellt wird ist völlig unklar. Aktuell wird diese Forderung selbst von Politikern wie Netanjahu, Merkel, Abbas, etc. zumindest in Worten aufgestellt. Wozu brauchen Israelis und PalästinenserInnen also die „linken“ Ratschläge aus der Rosa-Luxemburg-Stiftung? Im Übrigen ist auch nicht klar, wer eine Zwei-Staaten-Lösung erreichen soll. Wird da an Liebermann und die Hamas „appelliert“? Tatsache ist, dass die einzige Kraft, die Frieden und Gerechtigkeit erkämpfen kann jene Menschen, ob JüdInnen oder AraberInnen, sind die ein objektives Interesse daran haben. Das ist die ArbeiterInnenklasse. KeineR der AutorInnen hielt es aber für notwendig diese überhaupt zu erwähnen. Stattdessen schwadroniert Angelika Timm über die „Zivilgesellschaft als Lackmustest für die israelische Demokratie“. In postmoderner Beliebigkeit macht sie auch keinen politischen Unterschied zwischen linken, rechten, säkularen und religiösen NGOs, ist ja schließlich alles „Zivilgesellschaft“. Die Tatsache, dass genau jene „Zivilgesellschaft“, vor allem in der Form von Shalom Achschaw (Frieden Jetzt, besser bekannt als Peace Now) völlig versagt hat und mittlerweile nur noch ein Schatten ihrer selbst ist wird praktisch nicht reflektiert. Die Entwicklungen in der israelisch-palästinensischen Gewerkschaftsbewegung, wo es vor wenigen Jahren zur Gründung von „Die Macht den ArbeiterInnen“, einer neuen, multiethnischen und kämpferischen Gewerkschaft gekommen ist, wird nicht einmal erwähnt. Ebensowenig spielt die Entwicklung des Histadrut, der israelischen Linken oder linker palästinensischer Organisationen eine Rolle.
Durch „Appelle“ an die Herrschenden und „berechtigte Kritik“ sollen Frieden und Demokratie geschaffen werden. Der UN-Teilungsplan und überhaupt die „Charta der Vereinten Nationen“ werden als Friedensbringer bejubelt. Der in seinem Kern reaktionäre und pro-imperialistische Charakter der UNO (Koreakrieg, Besetzung von Afghanistan, etc.) wird verkannt.
Letztlich sind es aber nicht Appelle und Kritik, die Frieden und Demokratie bringen werden. Auf Basis des Kapitalismus kann keine dauerhafte Lösung des Nahostkonfliktes erreicht werden. Das beweisen über 60 Jahre Blutvergießen. Die ArbeiterInnenklasse, die Jugend und die armen BäuerInnen in der gesamten Region sind die einzigen, die durch gemeinsamen Kampf die Spirale aus Besetzung und Gewalt durchbrechen können. Maavak Sozialisti / Harakat Nidal Eshtaraki (Sozialistischer Kampf, die Schwesterorganisation von SLP in Israel/Palästina) arbeitet am Aufbau einer neuen multiethnischen ArbeiterInnenbewegung, die eine Lösung jenseits von Kapitalismus, Imperialismus und rechtem politischem Islam anbietet. Ein sozialistisches Israel und ein sozialistisches Palästina in einer freien Föderation des Nahen Ostens. Diesen marxistischen, internationalistischen Kräften gehört die Zukunft in der Region. Von deutschen „Linken“ wie Hawel und Blanke werden sie ignoriert.
Was bleibt ist ein Sittenbild der intellektuellen Hilflosigkeit und Beliebigkeit deutscher Links-Intellektueller. Von einer Bezugnahme auf die ArbeiterInnenklasse (oder alleine der Anerkennung der Existenz einer ebensolchen), auf Massenbewegungen als Lösung und praktischer internationaler Solidarität hat man sich verabschiedet. Man verbleibt im Kapitalismus und wünscht sich nur ein bisschen Demokratie und Frieden. Rosa Luxemburg würde im Grab rotieren, wüsste sie, dass solche „linken“ Texte bei einer Stiftung die ihren Namen trägt erscheinen.
Marcus Hawel, Moritz Blanke (Hrsg.)
„Der Nahostkonflikt; Befindlichkeiten der deutschen Linken“
Karl Dietz Verlag Berlin 2010
ISBN 978-3-320-02224-2