Regierung rüstet gegen Flüchtlinge

Harald Mahrer

2007, Frühherbst in Österreich: Erneut schwappt eine Welle der medialen Debatte über „AusländerInnen“ durchs Land. Doch diesmal ist etwas anders. Von „grauslichen“ Härtefällen ist da die Rede, sogar die Krone fordert ein „humanitäres Bleiberecht“. Was war passiert?
Ein 15-jähriges Mädchen aus Oberösterreich entzog sich durch Flucht einer Abschiebung in ihre angebliche Heimat Kosova. Sie brachte ihre Verzweiflung auf den dramatischen Punkt: Lebend stelle ich mich nicht. Ich kehre nur tot nach Kosova zurück. Die Opfer der menschenunwürdigen Deportationspolitik hatten ein Gesicht, die Medien ein Drama, dass niemanden kalt lassen konnte, von ein paar kaltherzigen Rüpeln abgesehen.

Einzelfall? Härtefall?

Einige Tage später erhält ein junger Mann in Steyr einen negativen Bescheid. Er schreibt einen Abschiedsbrief, den er hundertfach kopiert, am Hauptplatz verteilt und sich ein Messer in den Unterleib rammt. Er überlebt schwer verletzt.
Seit Wochen schon ist eine Mutter mit ihren zwei Söhnen in Niederösterreich untergetaucht, sie sind akut von Abschiebung bedroht, zu ihrem Ehemann, der aufgrund einer Verurteilung wegen schwerer Misshandlung seiner Frau bereits abgeschoben wurde. Als sich die Mutter der Presse stellt, wird sie in Schubhaft genommen, die beiden minderjährigen Söhne sind von da an allein im Untergrund. Sprachlos macht hier allerdings auch die Naivität der Grünen, die als Veranstalter der erwähnten Pressekonferenz keine Vorkehrungen getroffen hatten, Safete Zegaj vor der Verhaftung zu schützen. Erst der öffentliche Druck kann die Mutter nach 24 Stunden aus der Haft befreien. Rund 33.000 Menschen warten in Österreich, zum Teil seit Jahren auf einen Asylbescheid. Ihnen allen drohen ähnlich dramatische Schicksale. Wie kann es in einem „zivilisierten“ Land, einem der reichsten der Welt noch dazu, soweit kommen? Wie reagieren Behörden und Politik auf diese offenkundigen Missstände?

Niedertracht & Ordnungswahn: Ein Minister rastet aus

Der Kanzler findet, die Abschiebepraxis sei grauslich. Das war dann auch schon sein letztes Wort. Der Minister pocht darauf: Recht muss Recht bleiben. Und überhaupt: Der Staat darf sich nicht erpressen lassen. Von einem 15-jährigen Mädchen, wohlgemerkt.
Der Mutter des 15-jährigen Mädchens aus Oberösterreich bietet der Innenminister durch Mittelsmänner 30.000 Euro, sollte sie freiwillig das Land verlassen. Nicht nur unmenschlich ist der Minister, sondern feig obendrein. Versteckt sich hinter Gesetzen, die er selbst maßgeblich mitzuverantworten hat und versucht die Opfer zu bestechen. Da fehlen einem die Worte.

Rassismus wird gesetzlich geschürt

„Amnesty international“ merkt in ihrer Stellungnahme zum Fremdenrechtspaket 2005 an, fremdenfeindliche Sprache würde sich in den Entwürfen allenorts finden. Das UNO-Flüchtlingskommisariat bemängelt, dass grundliegende Rechte in Bezug auf die Verhaftung von AsylwerberInnen systematisch missachtet würden. Flüchtlings-Hilfsorganisationen müssen seither fürchten, wegen des Tatbestands der „Fluchthilfe“ kriminalisiert zu werden.
Die unmittelbarsten Rechte von AsylwerberInnen im speziellen und „Fremden“ im allgemeinen werden unter das Minimalniveau eines Rechtsstaats gedrückt. So dürfen sich zwar Ehe-PartnerInnen eines/r des Mordes Verdächtigten der Aussage entschlagen, liegt der Verdacht auf illegalen Aufenthalt (einer Verwaltungsübertretung) vor, steht die Aussageverweigerung unter Strafe (Siehe auch Interview mit Ehe ohne Grenzen, Seite 2). Der ehemalige Kanzler sucht die Schuld an der jetzigen Misere bei den AnwältInnen, die die Verfahren „ohne Aussicht“ auf Erfolg in die Länge ziehen. Er ignoriert die Realität: Rund 20% der positiven Bescheide werden erst in der letzten Instanz gewährt, die niedrigste Anerkennungsquote hat die erste Instanz. Diese soll jetzt aufgewertet werden, die Letztinstanz soll gleich ganz abgeschafft werden. So wird gleich das ganze Asylwesen der rechtstaatlichen Kontrolle entzogen.
Durch die Gesetze zieht sich Schikane, Missgunst und Niedertracht wie ein roter Faden. Traumatisierung (ein ernster psychischer Ausnahmezustand) schützt seit 2006 weder vor Schubhaft noch vor Abschiebung. Wer sich im Paragrafendschungel verirrt und eine Frist verpasst, muss neue Anträge aus dem „Heimatland“ stellen, auch wenn eine Reise dorthin neben finanzieller Belastung auch ein erhebliches Risiko für die Sicherheit bedeutet. Zu allem Überdruss dauert die Bearbeitung eines einfachen Antrags dann Monate, manchmal Jahre. AsylwerberInnen wird von so manchen Politiker vorgeworfen, sie lägen „uns“ auf der Tasche, gleichzeitig verwehren sie ihnen das Recht zu arbeiten.
Die Menschenrechte sind unteilbar – heisst es. Was passiert, wenn sie einer Gruppe systematisch verweigert werden, sieht mensch in Österreich derzeit allzu dramatisch. Menschen, denen elementare Rechte aberkannt werden, werden zusehends Opfer von Polizeigewalt (siehe Wahrnehmungsbericht Rassismus 2006. www.zara.or.at). Die Polizisten bleiben – wie im Fall Bakary – danach im Dienst und kommen mit lächerlich niedrigen Strafen davon. Das ermutigt Nachahmung. Das fordert den nächsten Toten in Polizeigewahrsam geradezu heraus.
Und: Ist der „Rechtstaat“ einmal ausgehölt, wird es leichter auch anderen Gruppen, Recht um Recht abzuerkennen. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann dieser Prozess auch „ÖsterreicherInnen“ betrifft.

Integration: Das neue Modewort der Rassisten

Wenn die Politik das Wort „Integration“ in den Mund nimmt, meint sie damit immer neue Schikanen gegen Menschen, die keinen EU-Pass haben. Integration wird zur unerfüllbaren Bedingung gemacht, wenigstens ein bisschen weniger schikaniert zu werden. Gleichzeitig wird den Menschen unterstellt, sich überhaupt nicht integrieren zu wollen.
„Diese Sündenbockstrategie der Regierung ist zutiefst rassistisch. Und: Rassismus ist das weitaus größte Integrationshindernis in diesem Land“. So eindeutig beurteilte der Verein „Zivilcourage und Anti-Rassismus-Arbeit / ZARA“, die von der damaligen Innenministerin Liese Prokop losgetretene Debatte über „integrationsunwillige“ MuslimInnen in Österreich.
Dieser Diskurs führt zu so absurden Vorfällen, wie einer jungen Muslimin in Kärnten, der ein Arbeitsplatz in einer Arztpraxis von der Ehefrau des Arztes verweigert wird, „weil Musliminnen unterdrückte Frauen“ seien. (siehe Wahrnehmungsbericht Rassismus 2006, ZARA)

„Neben“effekt: Die Rassisten trauen sich wieder auf die Straße

In der Brigittenau in Wien ziehen Rechtsextreme vor ein türkische Veranstaltungszentrum und grölen „Anzünden!“. Die VeranstalterInnen, eine „BürgerInnen-Initiative“ mit Unterstützung von ÖVP und FPÖ, finden nichts dabei. Eine Distanzierung davon gibt es jedenfalls auf der von der FPÖ bezahlten Internetseite trotz Aufforderung noch immer nicht. Dafür findet sich folgender Absatz in der Selbstdarstellung der Intiative: „Wir stehen zur freien Religionsausübung in Österreich, wo aber der Versuch eines Miteinander scheitert, Integration zur Invasion und das Angebot der Teilnahme an unserer Gemeinschaft zu deren Übernahme führt, muss Toleranz aus Gründen des Selbstschutzes enden. (...)Wo der Halbmond aufgeht, geht das goldene Wienerherz unter!“

Rassismus verhindert Integration

Besonders deutlich wird der rassistische Wahnsinn hinter den heute üblichen „Integrationskonzepten“ in der Frage von Gewalt an Frauen. Reaktionäre Traditionen wie Zwangsheirat, Genitalverstümmelung oder Ehrenmorde müssen dazu herhalten, die Überlegenheit der eigenen Kultur zu beweisen. Ganz so als ob im katholischen Österreich keine Frauen geschlagen, erniedrigt oder ermordet ürden. In diesen Fragen werden selbsternannte „Frauenversteher“, wie ÖVP-General Missethon, zu Vorkämpfern der Zivilisation.
Gleichzeitig bleiben aber Frauen von den Aufenthaltstiteln ihrer Ehemänner abhängig, können sich also – schon von Rechts wegen – extrem schwer aus Gewaltbeziehungen befreien. Menschen, die unter permanenter Angst vor den Behörden oder ökonomischer Abhängigkeit von ihren Peinigern leben müssen, haben kaum eine Chance, Verbrechen, die an Ihnen begangen werden, zur Anzeige zu bringen. Damit macht sich das österreichische Fremdenrecht an so manchem „Ehrenmord“ mitschuldig, in dem es Hilfe für die potentiellen Opfer unterlässt.
Frauenhäuser, die sich um Frauen, die vor gewalttätigen Männern, egal welcher Herkunft, flüchten, müssen jedes Jahr darum bangen, von der Politik Subventionen zu bekommen. So sieht die „österreichische“ Kultur und Zivilisation dann in der Realität aus.

Gleiche Rechte

Integration würde gleiche Chancen auf Teilhabe an der Gesellschaft bedeuten. Das beginnt bei Bildungschancen, geht über die Frage der Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt bis hin zu politischen Rechten. Nur wer Chancen hat, kann diese auch wahrnehmen. Die Realität ist aber: Menschen mit Migrationshintergrund haben ein erheblich höheres Armutsrisiko, deutlich schlechtere Bildungschancen, niedrigere Einkommen und müssen höhere Mieten für schlechtere Wohnungen bezahlen. All das wird durch die gesetzliche Ungleichbehandlung gefördert und verstärkt. Diese Menschen arbeiten ja nicht freiwillig billiger und zahlen mehr Miete. Wenn sie es jedoch nicht tun, verlieren sie den Aufenthaltstitel und damit ihre Existenzgrundlage. Die Wirtschaft freut sich, schließlich sorgen diese Gesetze dafür, dass in Österreich etwa 1 Million ArbeitnehmerInnen (inkl. Arbeitslosen) deutlich schlechtere Rechte genießen als der Rest. Die Aushöhlung des Arbeitsrecht erfolgt so unter dem Deckmantel des „Schutzes der österreichischen ArbeitnehmerInnen“. Das Gegenteil ist wahr: Diese Rechtslage untergräbt die Arbeitsbedingungen für alle, also auch die der angeblich geschützten ÖsterreicherInnen. Der Ausschluss erheblicher Teile der Bevölkerung vom sozialen Wohnbau, sowie absurde Vorgaben bezüglich der Größe des notwendigen Wohnraums, treiben die Mieten vor allem für schlechte Mietwohnungen in die Höhe. Auch das gilt für alle MieterInnen – egal ob mit oder ohne Migrationshintergrund. Das freut die VermieterInnen.
Gleiche Rechte würden die Rechte aller stärken, die der „ÖsterreicherInnen“ genauso wie jener der „AusländerInnen“, daher fordert die SLP:

  • Gleiche soziale und demokratische Rechte für alle hier lebenden Menschen. Das beinhaltet die ersatzlose Abschaffung der rassistischen Fremden-, Ausländerbeschäftigungs- und Aufenthaltsgesetze ebenso, wie die Gewährung des Wahlrechts auf allen Ebenen.
  • Im Asylrecht müssen die schutzwürdigen Interessen der Schutzsuchenden im Vordergrund stehen. Die Schubhaft ist ersatzlos abzuschaffen. Jegliche Schikane ist aus dem Gesetz zu eliminieren. ExpertInnen aus den Flüchtlingshilfsorganisationen sollen bei der Erstellung eines entsprechenden Gesetzes entscheidend mitwirken. AsylwerberInnen muss das Recht auf Arbeit gewährt werden. Kostenlose Sprachkurse für AsylwerberInnen und kostenlose therapeutische Angebote für Traumatisierte sollen eine möglichst schnelle Eingliederung der Betroffenen in die Gesellschaft gewährleisten.
  • Die sofortige Einführung der 30-Stunden-Woche bei vollem Lohn und mit entsprechendem Personalausgleich, würde hunderttausende Arbeitsplätze schaffen und so einen wesentlichen Beitrag zur Bekämpfung der Armut leisten.
  • Durch massiven Ausbau des sozialen Wohnbaus könnten einerseits Arbeitsplätze und andererseits leistbarer Wohnraum geschaffen werden. Dieser Wohnraum muss für alle hier lebenden Menschen gleichermaßen zugänglich sein.

In der Zeitung Vorwärts erscheint nur eine gekürzte Version dieses Artikels.

Erscheint in Zeitungsausgabe: