Mehr Gerechtigkeit durch ein Bedingungsloses Grundeinkommen?

Wem eine Reform was bringt – das hängt vom Kräfteverhältnis zwischen Arm und Reich ab.
Theresa Reimer

Die Zeiten sind hart: hohe (Langzeit)Arbeitslosigkeit, steigender Arbeitsdruck, prekäre Beschäftigung und unfreiwillige Teilzeitarbeit sind der Normalzustand. Die Forderung nach einem „Bedingungslosen Grundeinkommen“ (BGE) wird als radikaler Ausweg betrachtet. Ein sicheres Einkommen für alle Menschen, unabhängig von ihrer Herkunft, Geschlecht, Alter oder auch von der Ausbildung, von Fähigkeiten und der Art eines Arbeitsverhältnisses: das ist ein erstrebenswertes Ziel für das auch wir SozialistInnen kämpfen. "Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!" schrieb Marx 1875.

Wie können wir uns ein bedingungsloses Grundeinkommen vorstellen? Wie wird es finanziert? Da gehen die Meinungen weit auseinander.

Unternehmer wie Haselsteiner wollen ein BGE, um die Lohnnebenkosten zu senken. Sozialbeiträge, die momentan Unternehmen zahlen und Steuern auf die Lohnsumme sollen vom Staat übernommen werden. DM-Chef Werner, auch ein BGE-Befürworter, will im Gegenzug die Abschaffung von Einkommens-, Kapitalertrags- und Vermögensteuer. UnternehmerInnen hätten noch einen zusätzlichen Grund, die Löhne zu kürzen, weil das BGE ja die Existenzsicherung abdeckt. Jene Teile des Kapitals, die einem BGE nicht abgeneigt sind, wollen, dass die Gesellschaft (also v.a. die ArbeiterInnenklasse) durch z.B. höhere Mehrwertssteuern dafür zahlt, dass die Unternehmen billigere Arbeitskräfte bekommen. Und v.a. soll sich weder an ihrem Privatbesitz an den Unternehmen etwas ändern, noch daran, dass der Rest der Bevölkerung seine Arbeitskraft verkaufen muss, um ein menschenwürdiges Leben zu haben.

Mit der Argumentation, dass ohnehin die gesamte Bevölkerung ein sicheres Einkommen hat, kann die Regierung ein BGE auch nutzen, um den Sozialstaat weiter abzubauen und Leistungen wie Pensionen, Arbeitslosengeld etc. zu streichen. Private Unternehmen stellen dann teure Spitäler und Schulen zur Verfügung, die mehr kosten als das BGE.

Würden Arbeiten, die momentan nicht entlohnt werden, durch ein BGE ein höheres Ansehen in der Gesellschaft erlangen? Gerade in Krisenzeiten würden dann Frauen aus den Jobs gedrängt und müssten noch stärker Kindererziehung und Pflege übernehmen. Das BGE wird so rasch zum Muttergeld bzw. Hausfrauengehalt. Frauen würden viel mehr profitieren, wenn es genügend kompetente Einrichtungen gibt, die kostenlos und mithilfe von modernsten Methoden und der entsprechenden Ausbildung Pflegearbeit verrichten oder Kinder betreuen.

Der Unterschied zwischen der aktuellen Mindestsicherung und dem Arbeitslosengeld zeigt eine weitere Gefahr auf: Das Arbeitslosengeld ist eine Versicherungsleistung, auf die Menschen nach Einzahlung auch einen Rechtsanspruch haben. Die Mindestsicherung aber kann sehr willkürlich gewährt oder sogar ganzen Bevölkerungsgruppen selektiv vorenthalten werden. Für wen es „Bedingungslos“ ist, ist eine politische Entscheidung - nur für StaatsbürgerInnen oder für Frauen die mindestens ein Kind haben?

KapitalistInnen und Regierungen unterstützen die Forderung nach einem BGE nur, wenn diese selbst einen Vorteil daraus schöpfen können. Ein BGE, das hoch genug ist, um mehr als nur das Überleben zu sichern und das nicht durch den Abbau des Sozialstaates und Lohnsenkungen finanziert ist – das wollen weder Regierung noch Unternehmen. Denn ein solches BGE müsste aus den Vermögen der Superreichen finanziert werden. Und es könnte nur gleichzeitig mit einem Sturz des Kapitalismus erreicht werden. Um über den Reichtum der Gesellschaft entscheiden zu können, müssen wir die Wirtschaft und die Gesellschaft selbst kontrollieren und leiten, und das nicht einer kleinen Elite von KapitalistInnen und ihren Handlangern überlassen. Ein solches BGE aber kann nicht nur mit Überzeugungsarbeit gewonnen werden. Es muss erkämpft werden, weil es aus der Logik des Kapitalismus und seinen Widersprüchlichkeiten ausbricht. Und für so einen Kampf braucht es die aktive Unterstützung von großen Teilen all jener Menschen, die nichts haben, als ihre Arbeitskraft, um zu überleben.

Die Einführung eines BGE aber wie es die KapitalistInnen heute wollen und zulassen würden, würde die Kampfkraft reduzieren. Es erschwert den gemeinsamen Kampf von Erwerbstätigen und Erwerbslosen und nimmt der ArbeiterInnenklasse die Möglichkeit, das einzige wirkliche Druckmittel einzusetzen, das sie hat: den Entzug ihrer Arbeitskraft, also den Streik. Es wäre kein BGE, das allen Menschen ein menschenwürdiges Leben ermöglicht, sondern ein Minimaleinkommen, das die ArbeiterInnenklasse spaltet, von Willkür abhängig macht und schwächt. Der Kampf um ordentlich bezahlte Arbeit für alle ist daher in Wirklichkeit der aktuell radikalste Schritt in Richtung eines BGE.

Wenn jetzt ein BGE eingeführt würde, wäre es nicht deshalb so niedrig, weil nicht genug Geld vorhanden wäre. Der gesamtgesellschaftliche Reichtum wäre groß genug für ein hohes BGE und gutbezahlte Jobs und einen umfassenden, durchfinanzierten Sozialstaat. Wenn jetzt ein BGE eingeführt würde, wäre es so niedrig, weil die Herrschenden freiwillig kein höheres hergeben. Wer ein ordentliches BGE will, der muss sich an einem sozialistischen Kampf beteiligen, der die Besitzverhältnisse umreißt.

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