Kuba - zwischen Imperialismus und Revolution (2001)

Stephan Kimmerle, CWI-Deutschland

Die internationalen Proteste gegen die Institutionen des Kapitalismus - Seattle, Melbourne, Neapel - machen deutlich: Der Kapitalismus hat nicht gesiegt - er ist nach dem Zusammenbruch aller stalinistischer Staaten nur übrig geblieben-  aller dieser Staaten? Nein, Kuba setzt dem Imperialismus nach wie vor Widerstand entgegen und genießt eine hohe Anziehungskraft unter vielen Linken.

Kuba, das steht für Guerilla-Kampf, Revolution, Che Guevara, Widerstand gegen den US-Imperialismus und Castros Herrschaft. Kann dies heute ein Orientierungspunkt für SozialistInnen sein? Wo steht Kuba heute? Kann sich Kuba halten? Welche Impulse können für SozialistInnen von Kuba ausgehen?Auch heute noch - 42 Jahre nach der Revolution - ist die Entwicklung Kubas beeindruckend: Auf der Grundlage der Verstaatlichung der Industrie und der Enteignung des Grund und Bodens, der Kollektivierung der Landwirtschaft und eines Außenhandelsmonopols als Schutz der Wirtschaft vor dem imperialistischen Weltmarkt gelang in Kuba die Steigerung des Lebensstandards der Bevölkerung auf ein für ganz Lateinamerika einmaliges Niveau: Das Gesundheits- und das Bildungssystem sind heute noch deutliche Beispiele der Errungenschaften der Revolution: Die Zahl der LehrerInnen wurde verdoppelt, die der ÄrztInnen hat sich von 6.000 auf 60.000 verzehnfacht, das Bildungssystem wurde verstaatlicht und kostenlos zugänglich gemacht, eine 9-jährige Schulplficht für alle eingeführt, das Analphabetentum wurde überwunden (vor der Revolution konnten in einigen Regionen mehr als die Hälfte der Bevölkerung nicht lesen, landesweit war dies knapp ein Viertel). Alle staatlichen Gesundheitsdienste sind kostenlos, Impfprogramme wurden flächendeckend durchgeführt, die hygienischen Bedingungen verbessert. Malaria und Typhus wurden ausgerottet. Die Kindersterblichkeit wurde drastisch gesenkt (auf 6,5 von 1.000 und damit einem Stand vergleichbar der „1. Welt“), die Lebenserwartung stieg auf 74 Jahre (etwa 10 Jahre über dem lateinamerikanischen Durchschnitt).

US-amerikanische Vorherrschaft

Und das alles fand statt im „Hinterhof“ der USA, den der US-Imperialismus als „natürliches Anhängsel des nordamerikanischen Kontinents“ (so der Außenminister und spätere Präsident der USA, John Quincy Adams, 1823) ansah. Die US-Unternehmen kontrollierten Kubas Wirtschaft. Kuba wurde genutzt als Urlaubs- und vor allem Bordell-Insel, als billiger Rohstofflieferant und Abnehmer von Fertigprodukten und Lebensmitteln, von denen über 50 Prozent aus den USA kamen. So entstanden wechselnde politische Regierungen von US-Gnaden. Dies mündete in der Diktatur Batistas - als Bollwerk gegen die stärker werdende Arbeiterbewegung sowie Bewegungen der BäuerInnen und LandarbeiterInnen. In ihrer Funktion als Bollwerk wurden diese US-gestützten Regierungen auch von den kubanischen Kapitalisten und Großgrundbesitzern als notwendiges Übel angesehen. Während die kubanische KP (Kommunistische Partei) gemäß der stalinistischen Ideologie in „Volksfronten“ gemeinsam mit den Bürgerlichen versuchten, den Kapitalismus zu entwickeln (die KP unterstützte anfangs sogar Batista und war mit 2 Ministern in seiner Regierung), wurde immer deutlicher: Die Kapitalisten Kubas, die Plantagen- und Großgrundbesitzer waren viel zu eng verflochten mit den US-amerikanischen Ablegern in diesen Wirtschaftsbereichen, um sich dagegen aufzulehnen. Gleichzeitig wurde die Situation unter der korrupten Militärdiktatur Batistas immer unerträglicher. Die politische Schwäche der Arbeiterbewegung, vor allem die Verwirrung der KP, führte dazu, dass andere Parteien den Unmut ausdrückten, allen voran die Partei des kubanischen Volkes“. Ihr Programm richtete sich gegen die um sich greifende Korruption und für „wirtschaftliche Unabhängigkeit, politische Freiheit und soziale Gerechtigkeit“. Ihre Zusammensetzung war eher kleinbürgerlich und ihre Ziele orientierten sich an einer bürgerlichen Demokratie, zum Teil an den USA. Einer ihrer Kandidaten zu den Wahlen 1952 war Fidel Castro, ein junger Rechtsanwalt. Batista unterdrückte jedoch die Reste bürgerlicher Demokratie, die Wahlen wurden abgesagt.

Ohne klares Programm, aber frustriert und enttäuscht, griff Castro zu wilden Aktionen: Er verklagte Batista - wegen des Bruchs der Verfassung - was natürlich von den Gerichten abgewiesen wurde, und führte schließlich eine 165 Personen „starke“ Gruppe schlecht bewaffnet in einen aussichtslosen Kampf gegen die Moncada-Kaserne im Zentrum von Santiago de Cuba. Dieser 26. Juli 1953 wird auch heute noch als Feiertag, als Ursprung der kubanischen Revolution gefeiert. Vor allem die Kühnheit dieses aussichtslosen Unternehmens machte Castro bekannt. Seine unbeugsame Haltung vor Gericht stärkte seinen Ruf.

Guerilla-Krieg

Im Exil, nach dem Gefängnis, lernte Fidel Castro in Mexiko Ernesto „Che“ Guevara kennen, von wo aus sie einen 3-jährigen Guerilla-Kampf gegen Batista starteten. Im Nachhinein erklärt Castro in einer von Che stark beeinflussten Rede, der zweiten Deklaration von Havanna: “Unter den gegenwärtigen historischen Bedingungen Lateinamerikas kann die nationale Bourgeoisie [Kapitalistenklasse] den antifeudalen und antiimperialistischen Kampf nicht anführen. Die Erfahrung zeigt, dass in unseren Nationen diese Klasse, auch wenn ihre Interessen zu denen des Yankee-lmperialismus im Widerspruch stehen, unfähig gewesen ist, jenem die Stirn zu bieten, paralysiert [gelähmt] durch die Angst vor der sozialen Revolution und erschreckt durch die Stimme der ausgebeuteten Massen.”

Diese Unfähigkeit der nationalen Herrschenden, die Aufgaben der klassischen bürgerlichen Revolution durchzuführen, wurde als erstes von Leo Trotzki 1905 in Russland analysiert. In seiner Theorie der Permanenten Revolution geht er davon aus, dass deshalb die drängenden, ungelösten Aufgaben der bürgerlichen Revolution in den unterentwickelten Ländern nicht von den Kapitalisten, sondern von der Arbeiterklasse angegangen werden müssen, die Arbeiterklasse dabei aber nicht stehen bleiben kann, sondern die Revolution weitergehen wird und sozialistische Aufgaben (in der Permanenz der Revolution) auf die Tagesordnung stellt. Mit der Perspektive der Ausweitung der sozialistischen Revolution international entsteht so ein Ausweg auch für die Entwicklung der kolonialen und neo-kolonialen Länder.

Zu einem anderen Schluss kommen Che und Castro (ebenfalls aus der Deklaration von Havanna): “1. Die Volkskräfte können einen Krieg gegen die Armee gewinnen. 2. Nicht immer muss man warten, bis alle Bedingungen für die Revolution gegeben sind; der aufständische Brennpunkt kann sie schaffen. 3. Im unterentwickelten Amerika müssen Schauplatz des bewaffneten Kampfes grundsätzlich die ländlichen Gebiete sein.” Auf den Aufbau einer starken Arbeiterbewegung, einer verankerten, revolutionären Partei und des Kampfes um ein sozialistisches, revolutionäres Bewusstsein der ArbeiterInnen mögen sie “nicht warten”, sondern der bewaffnete Kampf der Guerilla soll diese Bedingungen ersetzen. Dabei wird das Zentrum der Kämpfe von der Stadt - der Arbeiterklasse - aufs Land - zu den LandarbeiterInnen und BäuerInnen –- verlegt.

Die Arbeiterklasse ist für SozialistInnen aufgrund ihrer wirtschaftlichen und politischen Stellung die entscheidende Kraft in der Gesellschaft. Sie ist die Klasse in der Gesellschaft, die keinen individuellen Ausweg anstreben kann: ArbeiterInnen können ihre Produktionsmittel nicht einzeln, individuell in Besitz nehmen: ein Großbetrieb kann nur gemeinsam übernommen werden. Gleichzeitig ist die Arbeiterklasse bei der Produktion kollektiv organisiert, d.h. ein gemeinsamer Erfahrungsaustausch, ein gemeinsamer Kampf und gemeinsame Schlussfolgerungen können sich entwickeln – im Gegensatz zum Beispiel zur vereinzelten Lage von BäuerInnen. Auch die gesellschaftliche Macht ballt sich heute in der Industrie. Die Landwirtschaft ist letztendlich vom Stand der industriellen Entwicklung abhängig.

Das heißt, die Arbeiterklasse ist ökonomisch in der Lage, die Gesellschaft in die Hand zu nehmen und aus Unterdrückung und Elend zu führen. Und sie ist politisch in der Lage, aus einer kollektiven Kampfform, zum Beispiel aus Streik- oder Betriebskomitees heraus ein Rätesystem zu schaffen, das zur Keimzelle einer gesunden, sozialistischen Gesellschaft werden kann.

Ein Guerilla-Krieg kann den bürgerlichen Staat unter Druck setzen, im Falle Kubas oder Chinas – unter besonderen historischen Umständen - sogar stürzen. Spätestens beim Aufbau einer neuen Ordnung ist aber die entscheidende Frage, ob die Arbeiterklasse diesen Aufbau trägt, ob eine sozialistische Demokratie, mit jederzeitiger Wähl- und Abwählbarkeit, ohne Prvilegien für gewählte VertreterInnen geschaffen werden kann. Die Strukturen einer (Guerilla-)Armee dienen eher dazu, neue Herrschaftsformen zu entwickeln. So wurden auch in Kuba die alten Unterdrückungsformen durch die Diktatur einer Castro unterstellen Bürokratie ersetzt, die ihre Wurzeln im Apparat der Guerilla – und der stalinistischen KP - hatte. Der bewaffnete Kampf einer Partisanen- oder Guerilla-Armee kann hilfreich sein, vorausgesetzt er ist dem Kampf und der Selbstorganisation der Arbeiterklasse untergeordnet und versucht gerade nicht an die Stelle dieser “Bedingungen für die Revolution” zu treten.

Die kubanische Revolution

Am 1. Januar 1959 wurde Batista vertrieben, die alte Ordnung war zusammen gebrochen. Gegen das letzte Aufbäumen der Militärs riefen die Guerilla-Kämpfer die Arbeiterklasse (die sie sonst links liegen gelassen hatten) zum Generalstreik auf und die Armee musste endgültig kapitulieren. Unklar war noch, was jetzt kommen sollte. Das Programm in den 3 Jahren Guerilla-Krieg war die Wiedereinsetzung der Verfassung von 1940 und soziale Reformen. Das erste Kabinett bestand aus vielen angesehenen Personen des liberalen Kuba.

Vor 1959 pries Che Guevara Fidel Castro als „authentischen Führer der linken Bürgerlichen“. Nur wenige der Guerilleros hatten wie Che den Anspruch, Sozialisten zu sein. Castro versuchte von allen Seiten - auch in den USA - Unterstützung zu bekommen, wo aber allem kubanischen Nationalstolz zum Trotz eine bedingungslose Unterordnung verlangt wurde.

Castro war gleichzeitig radikal genug, um soziale Reformen ernsthaft anzugehen: die Mieten wurden für die Unterschicht um 30 bis 50 Prozent gesenkt, die Tarife für Strom und Telefon sowie für Medikamente gesenkt, die Löhne der Zuckerrohrarbeiter erhöht. So wie früher deutlich geworden war, dass sich die Unternehmer und Großgrundbesitzer im Zweifelsfall gegen die nationale Unabhängigkeit stellten, wenn sie ihre Interessen bedroht sahen, so forderten diese sozialen Reformen ihren ganzen Widerstand heraus. Als Castro mit der Landreform ernst machte und allen Großgrundbesitz enteignete kam es zum Bruch zwischen Castro und den bürgerlichen Kräften in Kuba und den hinter ihnen stehenden US-Imperialisten.

Gleichzeitig setzte sich Castro innerhalb Kubas mit allen Mitteln gegen seine Konkurrenten durch. Castro versuchte sich gegen den US-Imperialismus auf die Massen zu stützen und gleichzeitig seine Position über den Massen Kubas zu festigen.

Dabei hatte und hat Castro einigen Rückhalt in der Bevölkerung: Die Errungenschaften der Revolution und die Kraft sich gegen den US-Imperialismus zu behaupten, sind nach wie vor populär. Castro verstand es aber, die Unterstützung, zum Beispiel in den „Komitees zur Verteidigung der Revolution“, streng unter Kontrolle zu halten: Dort gab und gibt es mehr Aussprache über Pläne der Regierung als zum Beispiel in der DDR je möglich war. Allerdings dürfen keinerlei Parteien gebildet werden, GegenkandidatInnen gibt es nicht; letztendlich dürfen die Massen nur ihr Ja oder Nein zu vorgegebenen Fragen abgeben. Mit lebendiger Arbeiterdemokratie hat das nichts zu tun. Auch in Castros eigener Machtbasis, dem Zusammenschluss der früheren KP mit der Guerilla, will sich Castro Demokratie nicht leisten: Die Mitgliedschaft wurde immer wieder gesäubert, der erste „Parteitag“ fand erst 1975 - 10 Jahre nach der Gründung der Partei - statt.

Dabei kam ihm - bei beiden Zielen, der Behauptung gegenüber den USA und der Kontrolle über die Revolution - die Sowjetunion zu Hilfe. Mitten im kalten Krieg hatte die sowjetische Bürokratie zwar keinerlei Interesse, revolutionäre auf Arbeiterdemokratie ausgerichtete Kräfte international zuzulassen. Dazu fürchtete sie zu sehr die Rückwirkung auf die UdSSR selbst. Sie versprach sich aber in Kuba eine Ausweitung ihres Machtbereichs bei gleichzeitiger Kontrolle der Revolution.

Die USA heizen die Revolution an

So eskalierte der Konflikt mit den USA einerseits und andererseits wuchs die sowjetische Unterstützung. Kuba begann sowjetisches Erdöl zu importieren, die US-Ölraffinerien weigerten sich, es zu verarbeiten. Sie wurden daraufhin verstaatlicht. Der US-Kongress kürzte deshalb Kubas Zuckereinfuhrquote. Zwei Tage danach enteignete der kubanische Ministerrat alle US-amerikanischen Unternehmen. Die Zuckerquote wurde von den USA ganz gestrichen. Die UdSSR erklärten, allen kubanischen Zucker, der für den US-Markt vorgesehen war, aufzukaufen. Am 19. Oktober 1960 verboten die USA alle Exporte nach Kuba, später wurde daraus ein generelles Handelsembargo, das in seinen Grundzügen - mal etwas verschärft, mal etwas gelockert - bis heute als Blockade der kubanischen Wirtschaft in Kraft ist. Insgesamt wurden etwa 6.000 US-Firmen verstaatlicht (woraus die zehn größten US-Multis heute eine Schadensersatzforderung an Kuba von insgesamt etwa 50 Millarden US-Dollar ableiten) - was nochmals die Dominanz der US-Unternehmen auf Kuba vor der Revolution unterstreicht.

Die Eskalation und Castros Misstrauen gegenüber der Arbeiterklasse trieben Kuba in einen Staat nach dem Vorbild der Sowjetunion und Osteuropas: Mit einer verstaatlichen Wirtschaft, einem Außenhandelsmonopol als Schutz vor dem Weltmarkt, mit einer geplanten Wirtschaft, aber ohne jede wirkliche Arbeiterdemokratie, ohne Räte, in denen die Beschäftigten über die Arbeits-, Lebens- und Produktionsbedingungen entscheiden können.

Invasion in der „Schweinebucht“

Der US-Imperialismus gab sich allerdings noch nicht geschlagen. US-Präsident Eisenhower wies den CIA im März 1960 schon an, eine militärische Invasion durch Ausbildung von Exil-Kubanern vorzubereiten. Sein Nachfolger John F. Kennedy ließ am 15. April 1961 wichtige Stützpunkte der kubanischen Luftwaffe bombardieren. Das war die Vorbereitung der Invasion am 17. April 1961 von in den USA ausgebildeten 1.500 Exil-Kubanern an der Südküste Kubas, in der sogenannten „Schweinebucht“. Für sie ein militärisches Desaster: die kubanische Revolution behauptete sich und Castro ging gestärkt aus diesem Konflikt hervor. Erst durch diese Eskalation getrieben, bezeichnete Castro Mitte April erstmals die Umwälzung auf Kuba als „sozialistische Revolution“. 1962 kam es nochmals zu einer militärischen Konfrontation. Nach der Stationierung von sowjetischen Kontinentalraketen auf Kuba, spitzte sich der kalte Krieg zwischen USA und UdSSR zu. Das Ende der „Raketenkrise“ war die Zusage der UdSSR, diese Raketen abzuziehen, wenn die USA ihrerseits auf jede militärische Intervention in Kuba verzichteten.

Che Guevara: für Internationalismus, gegen Privilegien

Che versuchte die kubanische Erfahrung danach zunächst auf den Kongo, dann auf Bolivien zu übertragen und in beiden Ländern eine Guerilla-Armee aufzubauen. Doch sein fehlendes Verständnis für die Rolle der Arbeiterklasse und der Versuch, revolutionäre Bedingungen durch eine Guerilla-Armee zu schaffen, erwiesen sich in beiden Fällen als unfruchtbar. Er wurde in Bolivien von der staatlichen Armee festgenommen und am 8. Oktober 1967 ermordet.

Was ihn aber dazu getrieben hatte, Kuba zu verlassen, war sein Internationalismus und seine mangelnde Bereitschaft, sich mit der neu entstehenden privilegierten Schicht in Kuba zu arrangieren.

Noch kurz vor seinem Tod, als er von seinen Mördern gefragt wurde, ob er Argentinier (dort wurde er geboren) oder Kubaner sei, antwortete er: „Ich bin Kubaner, Argentinier, Bolivianer, Peruaner, Ecuadorianer (...)  verstehst du?“ Er wusste, dass die Macht des Imperialismus nur durch die internationale Ausweitung der sozialistischen Revolution gebrochen und nur so eine neue Gesellschaft geschaffen werden kann.

Gleichzeitig wies er alle Privilegien zurück. Er bestand auch als Chef der Nationalbank darauf, kein höheres Gehalt, sondern den Minimallohn als „Commandante“ zu erhalten. Als er entdeckte, dass er höhere Lebensmittelzuteilungen als einfache ArbeiterInnen bekam, kürzte er sie sofort. Legendär wurden auch seine Ernteeinsätze. Nachdem er die UdSSR besucht hatte, war er vom Lebensstil der Bürokratie abgestoßen: „So, das hiesige Proletariat isst von französischem Porzellan, ja?“, war sein Kommentar. Er sprach später auch von einem „Schweinestall“ in der UdSSR. Als zunehmend Planer und Berater aus der UdSSR, der CSSR und Ungarn nach Kuba kamen und Castro alle Initiative von unten in erster Linie als Bedrohung auffasste,  entwickelten sich auf Kuba mehr und mehr bürokratische Beschränkungen.

 Ches Idee, der Ausweitung der Revolution in der ganzen kolonialen Welt, lief dies zuwider. Ohne klares Verständnis, wie diese Entgleisung der Revolution möglich war, trieb es ihn doch weg aus Kuba. Er war und blieb ein Revolutionär, der keinen Frieden machen konnte mit Ausbeutung und Unterdrückung oder irgendwelcher Privilegien.

Wirtschaftliche Schwierigkeiten

In den Jahrzehnten nach der Revolution konnte mit Hilfe der Sowjetunion und der anderen stalinistischen Staaten aber vor allem auf der Grundlage der staatlichen Planung ein kontinuierliches Wirtschaftswachstum bis Mitte der 80er Jahre erzielt werden. Die Unterschiede zwischen den Regionen wurden vermindert, das Gesundheits- und Bildungssystem aufgebaut. In den 80er Jahren traten erste wirtschaftliche Schwierigkeiten auf, doch dann kam der Zusammenbruch der Ostblock-Länder.

Kuba stand nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion vor der größten Krise seit 1959: Der Lebensstandard fiel auf ein in den 80ern nicht mehr vorstellbares Niveau. 1994 war der durchschnittliche Monatslohn auf dem Schwarzmarkt gerade noch 2 US-Dollar wert. Die Inlandsproduktion von Lebensmitteln ging um 50 Prozent zurück und die Nahrungsmittellieferungen aus dem Ostblock, die 40 Prozent der konsumierten Lebensmittel ausgemacht hatten, fielen zum größten Teil ersatzlos weg. Verschiedene Quellen gehen von einem wirtschaftlichen Einbruch zwischen 1989 und 1993 von 37 bis 48 Prozent aus. Als Reaktion auf die wachsenden Probleme und einen wuchernden Dollar-Schwarzmarkt, trat Castro die Flucht nach vorn an: Im Juli 1993 wurde der US-Dollar auf Kuba als Zweit-Währung legalisiert. Dieses Zugeständnis, die Akzeptanz der Hauptwährung des Imperialismus, war ein Schlag ins Gesicht des Selbstbewusstseins der Revolution.

Die Errungenschaften der Revolution in Gefahr

Die soziale Ungleichheit wuchs enorm. Wer an Dollar kommt, sei es über seinen Beruf (Köche, Barkeeper, KellnerInnen, TaxifahrerInnen) oder durch Überweisungen von Exil-Kubanern, kann sich mit den subventionierten Grundnahrungsmitteln ein relativ gutes Leben leisten. Für die anderen sank der Lebensstandard. Mit dem sozialen Elend fand auch die Prostitution wieder Einzug auf der Insel.

Kubanern wurde auch wieder erlaubt, ArbeiterInnen anzustellen und diese in Dollars zu entlohnen. Mittlerweile arbeiten 60.000 KubanerInnen in joint-venture-Betrieben. Etwa 1 Million (von 11 Milionen) Menschen einschließlich der mitarbeitenden Familienangehörigen lebt von selbständiger Arbeit auf eigene Rechnung“. Mehr als 4.000 ausländische Unternehmen haben sich bereits auf Kuba angesiedelt.

Eine besondere Rolle spielt der Tourismusbereich, der stark unter privatwirtschaftliche Kontrolle fällt und mittlerweile zumindest vom Devisenumsatz die Zuckerproduktion übersteigt. Er verzeichnete enorme Wachstumsraten.

Ab 1994 bis heute konnten insgesamt wieder Wachstumsraten zwischen 0,7 und später über 7 Prozent erzielt werden. Damit ist das Niveau von 1989 noch nicht erreicht. Bürgerliche Kommentatoren schreiben dieses Wachstum vor allem den marktwirtschaftlichen Reformen zu. Da Privatisierungen und joint-ventures immer so funktionieren, dass einzelne Rosinen heraus gepickt werden, profitable Bereiche privatisiert und die Kosten der Allgemeinheit überlassen werden, kann durchaus zutreffen, dass diese Bereiche hohe Wachstumszahlen vorweisen können. Unerklärt bleibt mit dieser Theorie dennoch, dass Kuba eines der wenigen Länder der „3. Welt“ ist, das nach 1997 nicht von der allgemeinen internationalen Wirtschaftskrise getroffen wurde und zumindest insgesamt weiter Wachstumsraten vorweisen kann. Trotz enormer Zugeständnisse an den kapitalistischen Weltmarkt steht Kubas Industrie und Landwirtschaft im Wesentlichen noch unter staatlicher Kontrolle und Planung. Auch das Außenhandelsmonopol gilt noch in weiten Bereichen (trotz seiner formalen Abschaffung). Dies schützte Kubas Wirtschaft vor den internationalen Auswirkungen der Krise, die sonst auch gerade Lateinamerika hart traf.

Ein Ausweg für Kuba?

Entscheidenden Anteil an der Misere in Kuba hat die über 40-jährige Last der US-Blockade. Der Kampf gegen den Imperialismus und diese Knebelung kann nur international geführt werden. Gerade die Bewegungen der Arbeiterklasse und der unterdrückten Massen in Ecuador, die Entwicklungen in Venezuela, die Generalstreiks in Argentinien oder die Landlosenbewegung in Brasilien zeigen auch im Lauf des letzten Jahres: Es gibt genug Ansatzpunkte in Lateinamerika (aber auch darüber hinaus) für revolutionäre, sozialistische Bewegungen, die so notwendig wären, für diese Länder, für die Unterstützung Kubas und weltweit. Doch Castro und die kubanische Bürokratie haben sich nie auf die Arbeiterklasse und ihre Fähigkeit zum Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft gestützt - weder in Kuba noch sonst wo. Durch ihr Auftreten, ihre undemokratische und auch die wirtschaftliche Entwicklung verhindernde Rolle sind sie nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems. Auch die Unterstützung der Arbeiterklassse und der hispanischen Bevölkerung in den USA wird enorm erschwert durch das undemokratische Regime Castros.

Mit den marktwirtschaftlichen „Reformen“ wächst aber auch die Gefahr in Kuba: Der größte Rückhalt der Revolution, der Grund warum Kuba bis heute überleben konnte, war der Rückhalt in der Bevölkerung. Gerade hier droht die neue Ungleichheit den meisten Schaden anzurichten. Und diese Ungleichheit nimmt zu, eine neue soziale Schicht der Selbständigen in den Städten und auf dem Land entsteht. Neue ausländische Investoren drängen ins Land. So ist auch der Kurs der EU zu verstehen, die sich gegen die US-Sanktionen ausspricht: Hier wird versucht, massiv ins Geschäft zu kommen und die Insel für Profite zurück zu holen - anders als die exil-kubanischen Kreise auf Miami sich das vorstellen, aber zur Zeit weit effektiver: Die europäischen Investitionen werden insgesamt auf 710 Millionen US-Dollar jährlich geschätzt.

Mit der Ausweitung der jetzigen Krise der US-Wirtschaft ist auch Kuba bedroht: Ein Fall der Zucker- oder Nickelpreise kann Kuba hart treffen, wenn die Kosten der Krise weiter auf die Rohstoffproduzenten in der „3. Welt“ abgewälzt werden sollen. Die Tourismus-Industrie wird den Ausfall zahlungsfähiger Touristen aus Europa oder Nordamerika ebenfalls zu spüren bekommen. Alle marktwirtschaftlichen Öffnungen können schnell ihren Tribut fordern. Doch wie wird Castro (oder seine Nachfolger) reagieren? Ohne die Perspektive auf eine Entwicklung der Wirtschaft in demokratisch geplanter, sozialistischer Kooperation der Länder Lateinamerikas und weltweit bleibt wenig mehr als die „Hoffnung“ auf Brosamen des Weltmarktes und des IWF - mit allen damit verbundenen Bedingungen. Von Castro ist keine sozialistische Alternative zu erwarten - was ihn zwingt, den marktwirtschaftlichen Weg weiter zu gehen. Es wird die Aufgabe der Arbeiterklasse sein, die äußeren und inneren Angriffe auf die Errungenschaften der Revolution zurückzuschlagen.

Beachtlich ist und bleibt, dass Kuba als nicht-kapitalistisches Land im Hinterhof der Yankees auch nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion durchgehalten hat - zwischen Imperialismus und Revolution.

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