Gewerkschaften und Corona

Wir brauchen kämpferische Gewerkschaftspolitik statt “nationalen Schulterschluss”.
Christian Bunke

In der Krise schlägt die große Stunde der Sozialpartnerschaft. Es ist aber eine „Partnerschaft“, von deren Gestaltung die Gewerkschaftsmitglieder nicht nur völlig ausgeschlossen sind, sondern wo noch dazu hinter ihrem Rücken drastische Verschlechterungen umgesetzt werden.

Große Schockwellen schlug insbesondere die plötzliche Verkündung eines Verhandlungsergebnisses für einen neuen Kollektivvertrag im Pflege- und Sozialbereich (https://www.slp.at/artikel/sozialwirtschafts-sw%C3%B6-abschluss-2020-ein-verrat-mit-folgen-9990). Zu einer Zeit, in der Streiks und betriebliche Kampfmaßnahmen aufgrund des Corona-Ausnahmezustandes drastisch erschwert waren, wurde ein auf drei Jahre ausgerichteter Kollektivvertrag beschlossen, der keine der gestellten Forderungen – zu nennen ist u.a. die 35-Stundenwoche – erfüllt. Eine Urabstimmung über den neuen Kollektivvertrag wird es auch nicht geben. Kolleg*innen fordern das zwar, die Gewerkschaftsführung aber lehnt das ab.

Ausnahmezustände zeigen die realen Machtverhältnisse in einer Gesellschaft viel klarer als sonst. Das gilt auch für die Gewerkschaften und deren Selbstverständnis. Gerade die österreichischen Gewerkschaften treten meistens als “Berater*innen” auf, welche Tipps für eine “bessere” Verwaltung (und Aufrechterhaltung) der bestehenden Ordnung geben wollen. Ihnen geht es nicht um eine Überwindung des Profitsystems an sich, sondern um dessen “bessere” Steuerung, um Arbeitnehmer*innen etwas mehr Krümel vom großen Kuchen zukommen zu lassen. Gerade in Zeiten eskalierender Wirtschafts-, Umwelt- und Gesundheitskrisen stößt dieser Ansatz jedoch an - seine stets existierenden - deutlichen Grenzen.

Autoritäres Politikverständnis 

Die im Arbeitskampf in der österreichischen Sozialwirtschaft (SWÖ) gewählte Vorgehensweise der Gewerkschaftsspitzen von GPA und VIDA enthüllt auf brutale Weise, welche Rolle sie für sich beanspruchen und wie es um ihr Demokratieverständnis bestellt ist. Eine Urabstimmung sei nicht nötig, hieß es seitens der GPA, weil die Betriebsrät*innen, welche die Verhandlungen mit den Arbeitgeber*innen geführt hätten, eh schon demokratisch legitimiert seien. Der Abschluss sei gerechtfertigt, gerade weil in der jetzigen Situation keine Streiks möglich seien.

Es ist ein sehr autoritäres Verständnis gewerkschaftlicher Politik, welches sich hier widerspiegelt. Genauer gesagt: Hier zeigt sich, wie autoritär die Situation in den Arbeitsplätzen eigentlich ist. Es gibt Vorgesetzte, es gibt gewerkschaftliche Funktionär*innen. Den Anweisungen beider Seiten haben die einfachen Kolleg*innen in den Betrieben Folge zu leisten. Wichtigste Aufgabe der Gewerkschaftsfunktionär*innen ist in diesem Verständnis in der Krise die Sicherung ruhiger Verhältnisse. Deshalb braucht es auch einen auf drei Jahre ausgerichteten Kollektivvertrag. Vor allem wenn der zu erwartende Wirtschaftseinbruch zu Einsparungen und somit zu Angriffen auf Löhne und Arbeitsbedingungen in der Pflege- und Sozialwirtschaft führen wird, soll so gewährleistet werden, dass auf der Kollektivvertragsebene in den kommenden Jahren nicht gegengesteuert werden kann. Gleichzeitig zeigen sich hier einmal mehr die von den Gewerkschaftsspitzen selbst auferlegten Grenzen: Ein Abschluss sei jetzt nötig gewesen, weil man in Zeiten eines Wirtschaftseinbruchs eh nichts herausholen könne - eine vorauseilende Kapitulation gegenüber den Arbeitgeber*innen und der Politik. 

 Auffällig ist, dass es derzeit gerade die Gewerkschaften dominierenden sozialdemokratischen Gewerkschaftsfunktionär*innen sind, welche die Herstellung „friedlicher“ Verhältnisse durchpeitschen. Auch in der Bauindustrie wird auf Großbaustellen trotz großer Sicherheitsbedenken aufgrund des Corona-Virus wieder gearbeitet. Die Wirtschaft wollte das so, die Regierung verhängte deshalb keinen generellen Baustopp, die Gewerkschaft stimmte zu. Zwar will man ganz genau kontrollieren, dass Sicherheitsmaßnahmen eingehalten werden – ähnlich wie im Gesundheitswesen dürfte es damit aber eher mau ausschauen. Schon in „normalen“ Zeiten werden die geltenden Sozialstandards nur mangelhaft eingehalten.

Die staatstragende DNA des ÖGB

Seit seiner Gründung nach dem 2. Weltkrieg ist der ÖGB staatstragend und systemstabilisierend. Das gehört zur DNA dieser Organisation. http://(https://www.slp.at/broschueren/gewerkschaften-im-21-jahrhundert-%E2%80%93-aufgaben-grenzen-m%C3%B6glichkeiten-6048). Das hat auch eine politische Dimension. In den letzten Jahrzehnten hat sich gerade die SPÖ (natürlich in enger Zusammenarbeit mit den anderen Parteien) an einem neoliberalen Umbau Österreichs aktiv beteiligt. Dieser politische Ansatz wirkt sich naturgemäß auch auf die Strukturen der Gewerkschaften aus. Viele Funktionär*innen haben Mehrfach-Funktionen – in Partei, Gewerkschaft und Parlament. Für die anderen Parteien, wie zum Beispiel die ÖVP, gilt dies ebenfalls. Bis auf Ausnahmen ist aber in den Gewerkschaften nach wie vor die SPÖ in den Strukturen dominierend. Und während früher die Gewerkschaft die Sozialdemokratie beeinflusste, ist es heute anders herum: Die SPÖ nutzt ihren Einfluss, um die Gewerkschaften still zu halten bzw. für ihre Wahlkampfzwecke einzuspannen.

So ist es kein Wunder, dass, wenn ein sozialdemokratischer Wiener Gesundheitsstadtrat Peter Hacker eine „Rückkehr zur Normalität“ fordert, weil „die Wirtschaft“ den „dauerhaften Stillstand nicht stemmen“ könne, gleichzeitig vor allem sozialdemokratische Funktionär*innen in den Gewerkschaften darauf hinarbeiten, dass „die Wirtschaft“ wieder anläuft. Gleichzeitig versuchen sie, „die Wirtschaft“ weitestgehend zu retten. Deshalb werden gemeinsam mit den Wirtschaftsverbänden und der Regierung Maßnahmen wie die Kurzarbeit ausgehandelt. (https://www.slp.at/artikel/mogelpackung-kurzarbeit-9988) Kaschiert wird dabei, dass es die Lohnabhängigen sind, die einen empfindlichen Preis dafür zahlen, etwa indem Urlaubsansprüche gesetzlich angegriffen werden. Begründet werden solche Maßnahmen letztendlich damit, dass nur so die Konzerne und letztendlich die Arbeitsplätze gerettet werden können. “Geht's der Wirtschaft gut, geht's uns allen gut” ist zwar der Slogan der Wirtschaftskammer, doch die Gewerkschaftsspitze ist ihre eifrigste Unterstützerin.

Hier muss auch angesprochen werden, dass es in den Gewerkschaftsapparaten durchaus auch v.a.jüngere Funktionär*innen gibt, welche teilweise politisch mit linken Positionen und Forderungen aufhorchen lassen. Diese müssen sich aber fragen lassen, welchen Beitrag sie leisten, um die eingefahrenen Co-Management-Prinzipien in den Gewerkschaften im Sinne kämpferischerer Handlungsmethoden zu ersetzen. Hier braucht es einen Bruch mit eingefahrenen Mechanismen: die Rolle von Gewerkschaftshauptamtlichen muss viel stärker auch in der Unterstützung selbstorganisierter Kämpfe arbeitender Menschen liegen.  Gewerkschaftsmitglieder, und nicht Funktionär*innen und Hauptamtliche, müssen das letzte Wort über wichtige Entscheidungen haben. Diese Veränderung ist dringend zu erkämpfen!

Auf der Strecke bleibt derzeit jeder Ansatz von gewerkschaftlichen Aktivismus, der sich nicht über die Zusammenarbeit mit den Unternehmer*innen, sondern über die Selbstaktivität der Mitgliedschaft in den Betrieben definiert. Ein solcher Ansatz bräuchte auch ein völlig anderes politisches Selbstverständnis – nämlich eines, welches von der Möglichkeit und der Notwendigkeit zur Überwindung des kapitalistischen Gesellschaftssystems ausgeht. Das haben die Funktionär*innen der österreichischen Gewerkschaften aber nicht, es bleibt das Co-Management. Und es bleibt das Akzeptieren kapitalistischer Sachzwänge - und die lassen eben in Zeiten von Wirtschaftskrisen keine Spielräume für die Bedürfnisse der Beschäftigten. Gerne versucht die Gewerkschaftsführung den „Keynesianismus” bzw. diverse Wirtschaftsmodelle aus diesem Lager als Alternative zu präsentieren. Sie ignorieren dabei, dass die Praxis keynesianischer Wirtschaftspolitik in ihren verschiedenen Ausprägungen nicht “linker” oder fortschrittlicher ist und v.a. in den begrenzten Spielräumen der kapitalistischen Notwendigkeiten stecken bleibt. Im Kapitalismus sind Lohnkosten (und alles was dazu gehört) immer ein Kostenfaktor, der gerade mit zunehmender Konkurrenz gesenkt werden muss. Der Staat aber ist kein neutraler Schiedsrichter oder gar Problemlöser für alle, sondern ein Instrument der herrschenden Klasse, und das sind die Kapitalist*innen, um möglichst gute Rahmenbedingungen im Wettbewerb herzustellen. 

Dies führt immer wieder zu inhaltlichen Widersprüchen. So hat sich die Gewerkschaft VIDA in der Klimafrage einerseits zu einem sozial gestalteten ökologischen Umbau der Wirtschaft bekennt, fordert in der Corona-Krise aber andererseits einen Ausbau von Langflugstrecken zur Rettung der AUA. Das eine ist mit dem anderen nicht vereinbar, vor allem wenn man in der kapitalistischen Logik verharrt. Die Rettung der Jobs bei der AUA (und aller anderen Jobs) muss deshalb mit einem sozialistischen Programm verbunden werden, das neue Jobs in anderen Bereichen sowie Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn beinhaltet. Wichtig ist auch gerade hier die Zusammenarbeit mit der Klimaschutzbewegung, etwa mit Strukturen wie „Workers for Future”. Generell sind die „natürlichen” Bündnispartner*innen der Gewerkschaften nicht das Management oder die Regierung(en), sondern vielmehr die  verschiedenen außerparlamentarischen Bewegungen wie die Klimabewegung (denn Arbeiter*innen sind vom Klimawandel besonders betroffen), die Frauenbewegung (denn es kann keine starke Arbeiter*innenbewegung ohne Frauen geben), die Flüchtlingsbewegung (denn die Spaltung der Arbeiter*innenklasse in „In- und Ausländer*innen” schwächt alle) etc.. 

Kämpferische, sozialistische Gewerkschaftsbewegung aufbauen

Der Raum für ein sozialpartnerschaftliches Co-Management, bei welchem auch für arbeitende Menschen einige Krümel abfallen, ist in den letzten Jahren immer kleiner geworden. Nicht ohne Grund haben die betrieblichen Auseinandersetzungen auch in Österreich zugenommen – vor allem im Gesundheits-, Pflege- und Sozialbereich haben sich Initiativen von unten gegründet, seien es „Sozial aber nicht blöd" (https://www.facebook.com/sozialabernichtbloed/) oder „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“. Mit ihnen wählen Beschäftigte einen konfrontativeren Kurs, der dringend nötig ist, um selbst einfachste Verbesserungen durchsetzen zu können. Dies führt sie gleichzeitig in einen Konflikt mit sozialdemokratischen Gewerkschaftsfunktionär*innen. So kam es beim 1. Mai-Aufmarsch in Wien 2019 zu einem offenen Bruch, als Aktivist*innen aus den Krankenhäusern vor der Rathausbühne lautstark Verbesserungen einforderten, während Funktionär*innen mit fast schon körperlicher Gewalt den Abbruch der Aktion verlangten. Auch zuvor gab es schon Proteste gegen die Gewerkschaftsspitzen. Die Wut unter Beschäftigten im Pflege- und Sozialbereich über den neuen KV-Abschluss bei der Sozialwirtschaft Österreich steht in einer ähnlichen Tradition.

Tatsächlich hat sich die Gewerkschaftsspitze in eine Position als Bittsteller*innen manövriert. Dies liegt in der Natur der Sache. Zu mehr als der Aufstellung von Forderungen auf dem Papier sind die Gewerkschaftsführungen aufgrund ihrer seit Jahrzehnten bestehenden politischen und ideologischen Ausrichtung nicht in der Lage. Das gewerkschaftliche Agieren in Zeiten von Corona ist geprägt durch Selbstbeschränkung. Sie fordern besseren Kündigungsschutz für freigestellte Beschäftigte aus Risikogruppen – ohne eine Strategie zur Durchsetzung dieser Forderung in Zusammenarbeit mit den Kolleg*innen selbst auszuformulieren. Der Streik kommt ihnen als Kampfinstrument nur in den Sinn, wenn er von unten eingefordert und somit nicht verhinderbar ist.

Das hat Konsequenzen für die Lage in den Betrieben zu Corona-Zeiten. Die Coronakrise bedeutet scharfe Angriffe auf Arbeitnehmer*innenrechte, welche darauf abzielen, das Kräfteverhältnis dauerhaft und nachhaltig zu Ungunsten der Lohnabhängigen zu verschieben. Die starke Verunsicherung Vieler über ihre berufliche Zukunft wird von den Unternehmen schamlos ausgenutzt. Viele haben Angst, bald ohne Job dazustehen. Um dem zu begegnen, braucht es einerseits ein politisches Programm, welches die SLP (https://www.slp.at/artikel/sozialistinnen-und-die-covid-19-pandemie-9951) versucht hat in Ansätzen auszuformulieren. Es braucht aber auch den Aufbau von Selbstorganisation an der betrieblichen Basis, um den Kolleg*innen das Vertrauen zu geben, sich gemeinsam zu wehren, falls nötig. In Italien, Frankreich, den USA, Großbritannien und anderen Ländern hat es bereits in einer Reihe von Branchen Streiks gegeben, um sichere Arbeitsbedingungen durchzusetzen. Teilweise konnten den Chefs so auch Zugeständnisse abgerungen werden. (https://www.slp.at/artikel/covid-19-sozialistische-antworten-auf-die-corona-krise-4948)

Wenn Corona eines zeigt, dann die immer dringlichere Notwendigkeit zum Aufbau einer politisch geschulten und vor Ort handlungsfähigen Gewerkschaftsbewegung. Eine solche Gewerkschaftsbewegung darf nicht beim Kampf um die vom Tisch der Bosse herabgeworfenen Brotkrümel stehenbleiben, sondern muss viel weiter gehen: Sie muss das Profit- und Verwertungssystem unserer heutigen Gesellschaft direkt angreifen und den Besitzenden ihren Platz am Tisch streitig machen. Dafür braucht es letztendlich auch politische Organisation in Form einer kämpferischen und aktivistischen Partei für lohnabhängige Menschen, egal ob sie gerade erwerbslos sind, einen Job haben oder als sogenannte „neue” Selbstständige arbeiten. Die Zurückgewinnung der Gewerkschaften als Kampforganisationen und der Aufbau einer solchen neuen Arbeiter*innenpartei sind zwei eng miteinander verflochtene Aufgaben, die sich die SLP zur Aufgabe gesetzt hat.