DIY – wenn Selbermachen zur Ideologie wird

„Do it yourself“ - Stricken, Kochen, Gärtnern sind die hilflose Reaktion eines verschreckten Kleinbürgertums
Sonja Grusch

Kaum eine Zeitschrift kommt ohne eine DIY (Do it yourself)-Ecke aus. Bücher übers Selbermachen von praktisch allem boomen. Handwerklichen Fertigkeiten wie Stricken oder Gärtnern wird widerständiges Potential zugesprochen („Radical Crafting“, „Guerilla Gardening“ etc.). Die neue Lust am Selbermachen spiegelt die Krise des Kleinbürgertums wider. Ähnliches hat es immer wieder gegeben, wenn ebenselbes sich in seiner Existenz bedroht sah und seine politischen Projekte gescheitert waren. Das ist auch jetzt der Fall.

Das Kleinbürgertum ist eine „Zwischenklasse“. Sie verfügt nicht über Produktionsmittel in größerem Umfang, mache sind leitende Angestellte und viele selbstständig (bzw. in ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen – „Neue Selbstständige“) und streben das auch an. Das Kleinbürgertum steht zwischen ArbeiterInnenklasse und Kapital. Ökonomisch ist es schwach und in Krisen besonders empfindlich. Das sehen wir spätestens seit 2008. Zunehmend werden auch höher gebildete Schichten, leitende Angestellte, KünstlerInnen, kleine Selbständige etc. von der Krise erfasst. Sie bangen um ihre Existenz, hatten geglaubt, dass ihnen der Aufstieg gelungen sei und fürchten nun den Abstieg.

Hinzu kommt die Enttäuschung über die Organisationen der ArbeiterInnenbewegung, die für eine Zeit ein Bündnispartner waren (Kreiskys „Ein Stück des Weges gemeinsam gehen“) und das Scheitern diverser kleinbürgerlicher politischer Projekte – vorneweg der Grünen, die zur normalen etablierten Partei geworden sind. Viele MitstreiterInnen aus der Anti-AKW-, der AU- und anderen Bewegungen sind enttäuscht über die Entdemokratisierung und die Rechtsentwicklung ihres Projekts.

Natürlich reagiert das Kleinbürgertum unterschiedlich. Der Faschismus war Ausdruck einer ähnlichen Entwicklung – Weltwirtschaftskrise und Enttäuschung über die gescheiterte Revolution und die schwache bürgerliche Demokratie. Auch im 19. Jahrhundert gab es mit dem Biedermeier den Trend des Bürgertums, sich zurückzuziehen. In den 1980er Jahren kam es als „Cocooning“ zurück. Heute heißt es DIY. Gemeint ist der Rückzug ins Private. Die Welt „draußen“ wird als feindlich wahrgenommen, und man sieht kaum Chancen, sie zu verändern. Also wird versucht, im eigenen Einflussbereich eine möglichst heile Welt zu schaffen. Die notwendige (Lohn-)Arbeit ist aufgezwungen und wird zu Recht als immer entfremdeter empfunden. Fließbandarbeit in der Industrie, ödes Tippen in Büros, zu wenig Zeit in Sozialberufen und Tätigkeiten, deren Sinn oft fraglich ist, oder die sogar schädlich sind (Umwelt zerstörend, Waffen produzierend, Existenzen vernichtend). All das verstärkt die Sehnsucht nach sinnvoller Arbeit, wo man das Produkt unmittelbar sieht, spürt, schmeckt. Belastend ist auch die Fremdbestimmung. Die Firma entscheidet über Arbeitszeit, Freizeit, Urlaub, das knappe Budget darüber, was wir essen, anziehen und welche Kultur wir uns leisten (können). Hier eine Nische zu finden, wo ich entscheide, wird als Wohltat empfunden. All das ist verständlich und an sich nichts Falsches. Doch wenn aus DIY eine Ideologie oder Kampfstrategie wird, dann wird's problematisch. Guerilla Knitting, um auf frauenspezifische Themen aufmerksam zu machen? Guerilla Gardening, um der Agrarindustrie ein Schnippchen zu schlagen? Upcycling. um der Wegwerfgesellschaft auszukommen? Doch DIY bekämpft nicht das System, dass das Unwohlsein schafft, sondern versucht ihm nur durch eine private Rückzugsblase vorübergehend zu entkommen. Bestenfalls werden existierende Probleme sichtbarer. Es kann aber auch zu einer romantischen Verklärung der vorindustriellen Zeit kommen. Das führt dann oft zu Fortschrittsfeindlichkeit in verschiedenen Ausprägungen (ImpfgegnerInnen, Homeschooling, Ablehnung von Großstädten, Technologie etc.).

Der Kapitalismus und seine Mechanismen werden in der Regel nicht in Frage gestellt. Er wird bestenfalls ergänzt um eine neue „alternative“ Produktpalette und neue Märkte. DIY ist keine Gegen- sondern höchstens eine Subkultur, die schon längst vom Mainstream-Markt erobert und gewinnbringend vermarktet wird. DIY ist die moderne Form des idealistischen Biedermeier. „Wir schaffen uns unsere heile kleine Welt und hoffen, dass das gute Beispiel andere zum Nachmachen motiviert.“ Dass Viele gar nicht die Möglichkeit haben, in die DIY-Parallelwelt einzutauchen, fehlt in der Überlegung.

Die DIY-Bewegung hat denselben Hintergrund wie Esoterik-Boom, Tauschkreis/Freigeld- und Solidarökonomieprojekte: Sie alle sind ähnliche Reaktionen des Kleinbürgertums auf eine Unzufriedenheit mit der „Gesamtsituation“ und Angst vor einer potentiellen Ausrottung im Zuge der Krise. Wenn DIY ein entspannendes Hobby bleibt – no problem. Wenn es zu Lebensinhalt, Ideologie und Kampfstrategie wird, dann ist DIY ein Ablenkungsmanöver. Und zwar eines, das Ressourcen von Bewegungen und Kämpfen gegen jenes System, das Entfremdung und Fremdbestimmung produziert und braucht, den Kapitalismus, fernhält.

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