Fr 01.03.2002
Folgender Leserbrief erreichte uns zur letzten Ausgabe:
„Werte Genossen!
1) Im Artikel von John Evers steht zu lesen: „‘befreite’ die Rote Armee das Land“. Mich stören die abwerteten Anführungszeichen, denn letztlich hat die Tschechoslowakei (trotz Übergriffen der Soldateska) ihre Befreiung vom Hitlerjoch ja tatsächlich den Russen zu verdanken.
2) War der Jahrestag des 12. Februar 1934, wo ich ein paar Worte des Gedenkens an den Abwehrkampf der Sozialdemokraten gegen den aufkeimenden Faschismus erwartet hätte.
Nichts für ungut! Karl MÜNICHREITER jun.“
Lieber Genosse Münichreiter!
Vielen Dank für Deinen Brief. Er gibt uns Gelegenheit zur Klar- und Richtigstellung in einer sehr wichtigen Frage: Der Sieg der Sowjetunion über den Faschismus war die wichtigste Voraussetzung für die Befreiung ganz Europas vom - wie du es ausdrückst - Hitlerjoch. Anführungsstriche sind so betrachtet tatsächlich mißverständlich. Sie wären höchstens angebracht, um die „hehren“ Motive hinter dem späten Kriegseintritt der USA zu hinterfragen: Die US-Intervention erfolgte erst 1944, als die Rote Armee ansetzte, den ganzen Kontinent zu überrennen. Auch die Atombombenabwürfe gegen die japanische Zivilbevölkerung waren barbarisch und von rassistischer Überheblichkeit motiviert. Es kann auch kein Zweifel daran bestehen, dass der 2. Weltkrieg vor allem ein Krieg gegen die Sowjetunion war. Auch den Fortschritt den ihr Sieg und die Abschaffung des Kapitalismus in Osteuropa im globalen Maßstab brachte, ist offensichtlich: Die Konkurrenz zwischen den Systemen war eine wichtige Voraussetzung für zahlreiche soziale und politische Errungenschaften im Westen. Die Restauration des Kapitalismus hat umgekehrt den Druck auf die ArbeiterInnenklasse in der ganzen Welt erhöht. Entscheidend ist aus unserer Sicht: Sowohl die Befreiung durch die Rote Armee wie auch der Sturz des Kapitalismus in Osteuropa geschah nicht wegen der stalinistischen Bürokratie, sondern trotz ihrer Existenz. Die Politik des Stalinismus hat selbst die Befreiung und soziale Revolution durch die Rote Armee relativiert: Durch eine von der Sozialfaschismustheorie bis zum Hitler-Stalin-Pakt katastrophale Politik gegenüber der faschistischen Gefahr, durch die Liquidation zehntausender KommunistInnen und die Enthauptung der Roten Armee vor dem 2. Weltkrieg; und durch die bürokratischen Regimes, die nach 1945 den Kapitalismus ersetzten. Wir denken, dass demgegenüber nach dem 2. Weltkrieg eine historische Chance versäumt wurde: In einer Stimmung, die durchaus das kapitalistische System zurecht für den Faschismus verantwortlich machte, eine wirkliche sozialistische Demokratie in West und Ost zu errichten.
Zum Jahrestag des Februar 1934:
Nein, wir haben diesen Jahrestag nicht vergessen und waren bei drei Gedenkfeiern in Wien dabei; unter anderem haben wir auf Einladung der KPÖ-Favoriten an der Kundgebung vor dem Mahnmal am Reumannplatz teilgenommen. Es freut uns in diesem Zusammenhang ganz besonders, wenn ein Angehöriger der Familie Münichreiter uns einen Leserbrief sendet. Karl Münichreiter wurde nach den Februarkämpfen trotz schwerer Verletzung gehenkt. In der Begründung des damaligen Justizministers Schuschnigg (später Bundeskanzler) zeigt sich, dass mit dieser Schreckenstat ein Schreckensregime errichtet wurde: Erst „wenn der notwendige Abschreckungserfolg erzielt ist“, sei „das Standgericht zu beseitigen“.
Der KPÖ-Genosse Wolfgang Selucky hat uns „zur Aktualität des Februar 1934 für die KPÖ“ eine bemerkenswerte Stellungnahme übermittelt. Er stellt darin fest, dass die Niederlage 1934 „Ergebnis einer verfehlten Politik von SPÖ und KPÖ war“; und zwar in dem Sinn, dass zwar die „Hauptursache“ dafür im „Zurückweichen der SPÖ“ bestand. Die KPÖ verhinderte aber sowohl vorher mit der „Sozialfaschismustheorie“, wie später mit ihrer Bündnispolitik mit bürgerlichen Kräften und „einer österreichpatriotischen Orientierung“ einen „effektiven“ Kampf gegen den Austrofaschismus. Genosse Selucky zieht von der nicht erfolgten „kritischen Beurteilung der damaligen Politik“ eine Linie zur heutigen Politik der KPÖ: „Zivilgesellschaft“ ist nichts anderes als die Fortsetzung der (stalinistischen) Volksfrontpolitik „in neuem Gewand“. Nur eine „Rückkehr zur Einheitsfrontpolitik und zum Internationalismus“ ermögliche es, den Stalinismus „an der Wurzel auszureißen“. Eine solche Aufarbeitung bedeutet auch keine Herabwürdigung „der KämpferInnen des Februar 1934“. Wir möchten Genossen Selucky vollinhaltlich recht geben und hinzufügen: Eine solche Aufarbeitung würde tatsächlich den Idealen der FebruarkämpferInnen und gleichzeitig jenen Schutzbündlern, die in die UdSSR flohen und Opfer des großen Terrors wurden, gerecht werden.
Die Redaktion