Mi 01.11.2000
Nach über einem Jahrzehnt von Kriegen auf dem Balkan wurde das Regime von Milosevic durch eine revolutionäre Massenbewegung gestürzt. Der Westen bejubelt den Nationalisten Kostunica. ArbeiterInnen besetzten ihre Fabriken. Hoffnung und Enttäuschung liegen nah beieinander.
Bis zu einer Million Menschen war am 5. Oktober in Belgrad auf der Straße. Ihnen gelang, was der Westen mit Embargo und Nato-Krieg nicht geschafft hatte: Milosevic zu vertreiben. Erstmals hatte sich die Opposition auf einen Kandidaten geeinigt. Aber nicht der Wahlsieg Kostunicas war die neue Qualität in Serbien sondern die veränderte Stimmung in der Bevölkerung. Der Wendepunkt war die Entscheidung der Bergarbeiter in Kolubara, einer ehemaligen Milosevic-Bastion, in den Streik zu treten. Den verschiedenen Teilen der Opposition, die die Massen brauchten, um das alte Regime zu stürzen, ging die Bewegung aber rasch zu weit. “Mit dem Zerfall von Milosevics Macht nehmen die ArbeiterInnen die kommunistische Rhetorik beim Wort und übernehmen die Unternehmen” berichtete die Financial Times am 11. Oktober. Anfangs riefen die bürgerliche Opposition zu Streiks auf, aber als ArbeiterInnen begannen, Betriebe zu besetzen und Manager zu verjagen, meinten sie, die ArbeiterInnen sollten den neuen Machthabern alles weitere überlassen.
Privatisierung als Ausweg?
"In Diskussionen mit serbischen ArbeiterInnen und Jugendlichen hört man immer wieder: Es kann nicht mehr schlimmer werden." berichtet Vlado Bacic, CWI-Korrespondent in Serbien. Nach Jahren, in denen sich die soziale Situation unter dem Mafia-Kapitalismus von Milosevic immer mehr verschlechterte, gibt es Hoffnungen. Aber Kostunica und die neuen Machthaber der DOS haben klargemacht, sie stehen für weitere Privatisierung, Zurückdrängung des Staates und Wiederaufnahme in den IWF. "Das wirtschaftliche Programm der DOS kann man in der Praxis schon in Ländern wie Kroatien, Bosnien, der Republik Serbien in Bosnien-Herzegowina oder Ungarn beobachten. Dort leben die Menschen kein glückliches und zufriedenes Leben.
Auch wenn einige Standards dort etwas besser sind als in Serbien, wird dort vor allem eine kleine Minderheit reich, während die Mehrheit entweder arbeitslos ist oder für wenig Geld hart arbeiten muss. Die sogenannte Hilfe aus dem Westen bedeutet die Macht des internationalen Kapitals in Serbien. Dagegen muss gekämpft werden." erklärt der sozialistische Aktivist Marko N. aus Belgrad.
Kein Friede unter Kostunica
Der Westen erhofft sich von Kostunica vor allem Stabilität. Ob der Wunsch nach Unabhängigkeit, der bei den Wahlen im Kosova eindeutig geäusert wurde, umgesetzt wird ist dem Westen letztlich egal. Zwar gibt sich der als Ultranationalist bekannte Kostunica noch streichelweich, wenn es um die anderen, noch zu “Jugoslawien” gehörenden Nationalistäten geht, aber Unabhängigkeit und Selbstbestimmungsrecht sind für ihn letztlich ein rotes Tuch.
Selbstbewußtsein gewonnen
Auch die unabhängige Gewerkschaft Nezavisnost, die nach eigenen Angaben ihre Mitgliedschaft seit dem 5. Oktober auf 400.000 verdoppelt hat, ist für Privatisierung. Die politische Landschaft ist insgesamt verworren. nnerhalb des Oppositionsbündnisses DOS und bei “Otpor” (einer Opposi-tionsgruppe, die als Studierendenorganisation be-gann aber nun zehntausende Mitglieder hat und sich als Volksbewegung sieht) gibt es verschiedenste Strömungen. Was fehlt ist eine tatsächlich sozialistische Partei, die die Bewegung vorwärtsbringt. "Die, wenn auch geringe, Hilfe durch den Westen, die Aufhebung der Sanktionen und allein schon die Tatsache, das Serbien keinen Krieg führt kann kurzfristig zu Ver-besserungen für Teile der Serb-Innen führen" meint Vlado Bacic, "aber die endgültige Durchsetzung von kapitalistischen Spielregeln, die Abhängigkeit von und die Ausbeutung durch die entwickelten kapitalistischen Länder wird weiterhin zu Massenarbeitslosigkeit, steigender Armut, sozialer Polarisierung, Instabilität führen, Serbien wird nicht wiederaufgebaut werden. Das ist ein Rezept dafür, dass die serbische ArbeiterInnenklasse die Erfahrungen und das Selbstbewußtsein, dass sie beim Sturz von Milosevic gewonnen hat, in Zukunft gegen die neue kapitalistische Elite einsetzt. Und dass auf Basis der kommenden Erfahrungen die Idee von ArbeiterInnendemokratie und echtem Sozialismus eine neue Basis finden werden."