1917 in Russland und die Lehren für Iran heute

Christoph Glanninger

Info:

Trotz brutaler Repression dauert die Bewegung im Iran seit September an, es steht ein langer Kampf bevor. Umso wichtiger sind Lehren aus früheren Revolutionen, z.B. dem revolutionären Prozess in Russland 1905-17. Demokratische, genauso wie soziale Ziele und Frauen spielten eine zentrale Rolle. Die Russische Revolution stürzte 1917 nicht nur den verhassten Zar, sondern ging zum ersten Mal Schritte in Richtung einer tatsächlich befreiten Gesellschaft (bis der Stalinismus diesen Versuch beendete). Ihre Lehren sind von zentraler Bedeutung für alle, die heute im Iran für Freiheit kämpfen.

1. 1905, Februar 1917 und Oktober 1917:

Revolutionäre Prozesse haben Höhen und Tiefen und jede Niederlage bringt Erfahrungen für kommende Bewegungen. Schon 1905 gab es in Russland eine Revolution, die den Zarismus in Bedrängnis brachte, aber schließlich brutal niedergeschlagen wurde. Schon 1912-14 gab es wieder Massenstreiks, die nur durch den 1. Weltkrieg unterbrochen wurden - bevor 1917 der Zarismus endgültig gestürzt wurde. Lenin beschrieb 1905 rückblickend als Generalprobe. Tatsächlich wussten viele Arbeiter*innen am Beginn der Bewegung 1917 aufgrund ihrer Erfahrung, was zu tun war, wie man sich organisiert bzw. Polizei und Militär bekämpft. Jene, die in der Periode von 1905-17 aktiv waren und sich organisiert hatten, waren eine “natürliche” Führung der Revolution. Auch die aktuelle Bewegung im Iran baut auf den Erfahrungen der “grünen Revolution” von 2009 und den Protesten und Streiks der letzten Jahre auf. Selbst wenn es dem Regime noch einmal gelingen sollte, die Kontrolle zu erlangen, werden diese Erfahrungen nicht umsonst sein. Aber umso wichtiger ist es, dass wir versuchen, die richtigen Lehren herauszuarbeiten - dafür braucht es vor allem auch Organisierung. 

2. Wie erkämpfen wir demokratische Freiheiten?

Der Kampf um demokratische Freiheiten steht im Zentrum der Bewegung, viele hoffen auf ein demokratisches System “wie im Westen” (auch wenn dieses beschränkt ist und mit Diktaturen packelt). Aber die Erfahrungen der Russischen Revolutionen, jene des arabischen Frühlings, auch jener der iranischen Revolution 1979, zeigen, dass Demokratie in einer Welt, die vollständig kapitalistischen Mechanismen unterworfen ist, nur erkämpft werden kann, wenn sie auch die Ressourcen und die Wirtschaft unter die demokratische Kontrolle der Bevölkerung stellt. Gelingt das nicht, können weder die demokratischen, noch die sozialen Ziele der Revolution erfüllt werden und es bleibt die Grundlage für neue Oligarchien und ein neues autoritäres System. Das zeigte sich 1917 in Russland: Nachdem die Februarrevolution zwar den Zar zu Fall und das liberale Bürgertum an die Macht brachte, aber weder Krieg noch Hunger beendete, brauchte es eine 2. Revolution im Oktober, die auch die Kontrolle über die Wirtschaft in die Hände von Arbeiter*innen und armen Bäuer*innen legte.

3. Organisierung, Räte und Arbeiter*innenklasse:

Eine der zentralen Fragen, die sich im Iran aktuell stellen, ist, wie die Revolution organisiert werden kann. In Russland organisierten sich Arbeiter*innen und einfache Soldaten in “Sowjets” (Räten) - auf Basis von Arbeitsplätzen und Einheiten wurden Vertreter*innen gewählt, die sich überregional vernetzten, um die Revolution zu organisieren. Genau diese demokratische Organisierung in Betrieben, Unis, Nachbarschaften und die weitergehende Vernetzung, aber auch die aktive Rolle der Arbeiter*innenklasse fehlt im Iran leider noch großteils und ist eine der brennendsten Aufgaben (obwohl es Ansätze dafür gibt - Arbeiter*innenorganisationen in Haft Tappeh, feministische und Jugendgruppen). Einen Straßenprotest kann man leicht zerschlagen - bei einem Streik und der Besetzung einer Fabrik ist das schwieriger.

4. Führung, Partei und Exil:

Aktuell versuchen sich liberale bis nationalistische Promis (u.a. der Sohn des Schah) im Ausland in eine Führungsrolle zu bringen. Sie haben offensichtlich ganz andere Interessen als die Frauen, Arbeiter*innen und Jugendlichen, die gerade im Iran ihr Leben riskieren. Stattdessen braucht es eine tatsächlich revolutionäre Führung rund um ein Programm, das echte Freiheit und Gerechtigkeit für Frauen, Arbeiter*innen und Jugendliche im Iran liefert: Ein sozialistisches Programm. Natürlich ist es enorm schwer, so eine Organisation im Iran aufzubauen. Eine ähnliche Ausgangslage hatte auch die russische Arbeiter*innenbewegung, deren organisatorisches Zentrum aufgrund der Repression fast immer im Ausland lag. Dort konnte man die vorhandenen Freiheiten zur Organisierung der Arbeit (auch der Untergrundarbeit fürs Heimatland) nutzen. Die ursprüngliche Exilgruppe bestand bei ihrer Gründung 1883 aus nur 5 Personen und wurde in wenigen Jahrzehnten zur Kraft, die die Revolution zum Sieg führen konnte. Als ISA und ROSA versuchen wir, die Grundlagen für den Aufbau genau so einer Organisation im Iran voranzutreiben.

 

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