Stellungnahme zur Wien Wahl

Wie weiter im Aufbau von Widerstand und einer starken Linken?

Eine erste Analyse mit Ausblick

Die Wiener Wahlen sind geschlagen. Die Trends sind klar: Alle Rathausparteien außer der FPÖ haben im Vergleich zur letzten Wahl dazu gewonnen - allerdings nicht im Vergleich zur Nationalratswahl 2019 bzw. im Falle der SPÖ sogar mit weniger Stimmen als 2015. Die FPÖ hat einen massiven Dämpfer bekommen, die Liste HC den Einzug nicht geschafft. Kleinere Listen wie Links, SÖZ und die Bierpartei haben insofern von der Krise der FPÖ profitiert, als viele, die sonst “taktisch” gewählt haben, diesmal einer dieser Listen die Stimme gegeben haben. Aber der Erfolg zeigt auch den wachsenden Wunsch nach einer Alternative zu den etablierten Parteien. 

Wir gratulieren Links zum Achtungserfolg und hoffen, dass die errungenen Mandate in Zukunft für den Wiederaufbau der Arbeiter*innenbewegung genutzt werden können. 

Das Abschneiden der Rathausparteien ist angesichts des großen Angebots von ehemaligen FPÖ-Wähler*innen “am Markt” weniger gut, als es auf den ersten Blick erscheint. 

Die SPÖ hat vom Wunsch nach Stabilität profitiert und wird das Ergebnis als Auftrag für ein “weiter so” interpretieren. Beachtlich ist der starke Verlust von SPÖ-Wähler*innen ins Lager der Nicht-Wähler*innen. Ein Indiz für das Fehlen einer Neuen Arbeiter*innenpartei und wachsende Entfremdung gegenüber den etablierten Parteien. 

Die Grünen haben nicht von der Beteiligung in der Bundesregierung profitieren können sondern haben sich v.a. eines: stabilisiert. Die Begeisterung, die früher in Teilen der grünen Basis zu spüren war ist der Verankerung im Establishment gewichen. 

 Die ÖVP ist nach ihrem Absturz in den 1980er Jahren wieder dort gelandet, wo sie seither die meiste Zeit lag, nämlich bei knapp unter 20 %. Bei den Nationalratswahlen 2019 lag die ÖVP übrigens bei knapp 25%. D.h.: Der Stimmengewinn ist weniger groß, als die ÖVP gehofft hatte, der Höhenflug der Kurz-ÖVP hat mit diesem Wahlergebnis in Wirklichkeit einen Dämpfer bekommen.

Der Absturz der FPÖ und der Nicht-Einzug von Strache sind positiv. Eine dauerhafte Schwäche des Rechtsextremismus bedeutet das aber nicht. Das Fischen im FPÖ-Teich mit bewusster Anti-Migrationspolitik durch Blümel & Co. hat sich ausgezahlt, die ÖVP hat den größten Stimmengewinn von ehemaligen FPÖ-Wähler*innen erhalten. Es ist davon auszugehen, dass in der FPÖ ein Machtkampf bzw. eine Umstrukturierung stattfinden wird und der rassistische Wettlauf an Schärfe zulegen wird. Trotzdem hat das offen rassistische Lager (inkl. ÖVP) im Vergleich zu 2015 deutlich verloren - was auch zeigt, dass diese Kräfte gesellschaftlich gerade nicht in der Offensive sind. 

Die Neos haben sich als aktuell zumindest stabiler Faktor in der Innenpolitik festsetzen können, wenn auch mit teilweise fließenden Übergängen (inhaltlich und personell) zu ÖVP und Grünen.

Die Wahl war insgesamt von zwei widersprüchlichen Trends geprägt: Einerseits dem Wunsch nach Sicherheit und Stabilität in einer beunruhigend instabilen Zeit - davon hat v.a. die SPÖ, aber letztlich alle Rathausparteien außer der FPÖ profitiert. Andererseits eine zunehmende Entfremdung der Wähler*innen von “der Politik”. Eine Gallup Umfrage von Anfang Oktober zeigt, dass das Vertrauen in die Politiker*innen bezüglich Corona und wirtschaftlicher Zukunft dramatisch eingebrochen ist. Die große Zahl an Nicht-Wähler*innen zeigt weniger “Politikverdrossenheit” sondern Wut und Ärger über die etablierten Parteien. 

Verhältnismäßig stark haben diesmal “Andere” abgeschnitten. Beachtlich ist hierbei, dass trotz massiver Medienpräsenz der Liste HC diese weniger erhielt als die verschiedenen als fortschrittlich gesehenen Listen zusammen: Links, Bier und SÖZ. Diese Stimmen drücken, wenn auch teilweise (SÖZ und Bier) in verwirrter Form, eine zunehmende Ablehnung des herrschenden Systems aus. Die gesunkene Wahlbeteiligung und die hohe Zahl der Nicht-Wähler*innen zeigt aber auch, dass dieses Potential viel, viel größer ist.

Wien ist nicht anders

Die Wiener Wahlen haben vor dem Hintergrund der tiefsten Wirtschaftskrise seit 100 Jahren stattgefunden. Die SPÖ steht, im Gegensatz zu ihrer Rhetorik und den Hoffnungen mancher, nicht für ein “Rotes Wien”. Die kapitalistisch-wirtschaftlichen “Notwendigkeiten” werden in Wien ebenso umgesetzt wie im Bund. Wiener Landespolitiker*innen jammern zwar viel über die böse Bundespolitik, setzen diese aber dann weitgehend um. Sachzwänge und das falsche Dogma “geht's der Wirtschaft gut, geht's uns allen gut” stehen auch in Wien ganz oben am Beipackzettel der Landesregierung. In der täglichen politischen Praxis sind SPÖ und Grüne aber nicht Verteidiger*innen früherer Errungenschaften sondern vielmehr in den letzten Jahrzehnten für den stetigen Abbau und mangelnde Lösungen im Interesse von Arbeiter*innenklasse und Jugendlichen verantwortlich.

Die brennenden sozialen Fragen in Wien wie Wohnen, Arbeitslosigkeit, Bildung, Armut, Probleme mit Rassismus und Sexismus und die Klimakrise werden auch in der kommenden Periode von der Wiener Landesregierung NICHT gelöst und auch nicht qualitativ anders als im Bund angegangen werden. Die Notwendigkeit für soziale Bewegungen und Kämpfe wird daher größer - auch weil vor dem Hintergrund der vielen Nicht-Wähler*innen und der vielen, die nicht wählen dürfen, klar ist, dass das Wahlergebnis weder die Meinung noch die Notwendigkeiten der “Wiener*innen”, geschweige den der Wiener Arbeiter*innenklasse und Jugendlichen widerspiegelt!

Wie auf dem Links Ergebnis aufbauen?

Links hat ein wesentlich besseres Ergebnis eingefahren, als linke Antritte bei den vergangenen Wahlen, daran gibt es keinen Zweifel. Manche hatten auf einen Einzug in den Gemeinderat gehofft, das war von Anfang keine reale Option. Dass es nun wesentlich 23 linke Bezirksrät*innen gibt ist ein wichtiger Erfolg. Wir gratulieren den Aktivist*innen von Links zu diesem Ergebnis und wollen hier zwei zentrale Fragen aufgreifen, die aus unserer Sicht für die Zukunft wichtig sind: 1) Was ist die Ursache für dieses Ergebnis und 2) Wie darauf aufbauen?

Links ist es gelungen einen Teil von jenen, die durch die Corona- und Wirtschaftskrise aber auch andere Entwicklungen der letzten Jahre (Fridays for Future, Proteste gegen Schwarz-Blau, Black lives matter) sich in Richtung linker Ideen politisiert haben, anzusprechen. Zentral war auch, dass keine rechte Machtübernahme in Wien gedroht hat und viele die sonst taktisch gewählt hätten, dieses mal davon überzeugt werden konnten, Links eine Chance zu geben.

Zweifellos war auch der Wahlkampf von Links dynamischer als es frühere Wahlkämpfe von z.B. KPÖ oder auch Andas waren - eine Tatsache, die für eine gewisse Schicht das Projekt sympathisch gemacht hat. Links ist es gelungen eine Schicht neuer Aktivist*innen zu organisieren. Hinzu gekommen ist, dass Links für unterschiedliche Schichten “etwas im Angebot” hatte - gerade weil es sich aus sehr unterschiedlichen Zugängen gespeist hat, konnten sich sowohl alte KPÖ-Wähler*innen dazu durchringen, Links zu wählen wie auch junge Aktivist*innen aus unterschiedlichen Bereichen. Diese Breite kann auch zu einer Schwäche werden, wenn sie längerfristig nicht durch eine tiefergehende politische Übereinstimmung verbunden wird, sondern es zu einem Nebeneinander von sehr unterschiedlichen Zugängen kommt.

Besonders starke Ergebnisse hat Links in Bezirken erreicht, in denen es eine gewisse Verankerung bzw. Präsenz der “linken Szene” gibt. Schlechtere dagegen in den Flächenbezirken. Vor allem auch unter den Links-Aktivist*innen hat eine großer Teil einer eher akademischen Hintergrund. Natürlich hängt das mit der Ausgangslage zusammen. Die Linke ist aufgrund der Schwäche der Arbeiter*innenbewegung in Österreich insgesamt akademisch geprägt und in gewissen Milieus kaum präsent. Aber das zeigt auch, dass eine Verankerung in Schichten der Arbeiter*innenklasse, die weiter entfernt von linken Kreisen sind und die auch mit der besten, “frechen” Social Media Arbeit kaum überzeugt werden wird, schwieriger ist. Umso wichtiger wird es deshalb in den nächsten Jahren sein, diese Verankerung in Betrieben und Nachbarschaften aufzubauen. Denn wirklich entscheidende Fortschritte werden der Linken nur gelingen, wenn sie eine zentrale Rolle im Kampf für reale Verbesserungen für Arbeiter*innen und Jugendlichen spielt. 

Linke Mandate nutzen

Die wichtigste Grundlage für den Erfolg von Links ist der Wunsch nach einer wählbaren Alternative, der wachsende Unmut über dieses System und die Zunahme an sozialen Protesten. Das erklärte Ziel von Links ist, längerfristig eine politische Alternative aufzubauen. Das kann nur gelingen, wenn man nicht nur Mandate erringt, sondern v.a. Menschen organisiert und Kämpfe führt. Also eine Alternative deren Existenz und Arbeit wirklich einen Unterschied für die Arbeiter*innen und Jugendlichen, für die Armen und Wohnungslosen, für die Frauen, LGBT+-Personen und die Migrant*innen macht. Die Mandate sind eine Chance dafür, bergen aber auch Gefahren. Gerade für ein neues Projekt kann die hohe Anzahl an Bezirksratsmandaten auch dazu führen, sich hier in kleinteilige Lokalpolitik ziehen zu lassen anstatt Kämpfe zu organisieren und die Basis weiter aufzubauen. Gerade deshalb braucht es einen sehr bewussten Umgang mit den Chancen und Risiken von Mandaten. Wir wollen in Diskussionen mit Links-Aktivist*innen einige Punkte aus unseren internationalen Erfahrungen einbringen:

Die Logik der Bezirkspolitik durchbrechen: Rechtlich sind die Möglichkeiten von Bezirksrät*innen sehr beschränkt. Die “großen” politischen Themen wie Arbeitslosigkeit oder Wohnungsnot betreffen sie nicht. Doch auf diese Beschränktheit dürfen sich die Links-Bezirksrät*innen nicht einlassen. Die Aktionen von Links rund um die Aufnahme von Geflüchteten sind ein gutes Beispiel dafür, wie man sich nicht an diese Schranken halten muss. Aber gerade bei einer langfristigen Arbeit braucht es nicht nur die gelungene Thematisierung von Missständen sondern auch die Entwicklung einer Kampfstrategie um Verbesserungen zu erkämpfen. Der Kampf für z.B. eine Aufnahme von hunderten neuen Lehrer*innen und die Nutzung leerstehender Bürogebäude um einen Corona-sicheren Schulunterricht zu ermöglichen könnte z.B. ein Angelpunkt im Herbst und Winter sein. Gerade im Rahmen der Bezirksratspolitik ist es wichtig, die Zusammenhänge der kapitalistischen Profitwirtschaft zu verstehen und Lösungen anzubieten, die darüber hinaus gehen. Weil wenn nicht, bleibt nur Symbol- und Almosenpolitik.

Bewegungen eine Bühne geben: Der Gesundheits- und Sozialbereich ist aus mehreren Gründen einer, an dem ein ernsthaftes linkes Projekt nicht vorbei kann: eine der größten Branchen in Wien, va weiblich und stark migrantisch geprägt, wichtig für alle in der Stadt und durch Corona noch wichtiger - und jener Bereich wo es seit Jahren zunehmend widerständiges organisieren an der Basis gibt und Proteste bis hin zu Streiks von den Beschäftigten selbst organisiert werden. Konkret kann das bedeuten, die Forderung nach der Ausfinanzierung des Wiener Sozial- und Gesundheitswesens zum “Schlachtruf” der Links-Bezirksrät*innen zu machen. Dazu gehört es nicht nur, entsprechende Anträge zu stellen, sondern v.a. entsprechende Proteste aktiv zu unterstützen und z.B. die Bezirksmedien zu nutzen, um die Forderungen der Beschäftigten im Sozial- und Gesundheitsbereich zu verbreiten. Als SLP sind wir seit mehreren Jahren in diesem Bereich aktiv und hoffen, dass Links die Mandate nutzt, um die Organisierung von Beschäftigten zu unterstützen. 

Achtung vor falschen Freund*innen: Ein großer Teil der Beschlüsse in Bezirks- und Gemeinderat sind einstimmig. Die etablierten Parteien sind gut dabei, “Neulinge” einzubinden, ihnen zu zeigen, wie alles so läuft (und was gar nicht geht). Natürlich sind die Mandatar*innen anderer Parteien nicht alle Widerlinge oder Feinde. Aber sie haben ein Interesse an Sitzungen, die ohne Störungen ablaufen und sich “an die Spielregeln” halten. Und das steht im Widerspruch dazu, was Links-Mandatar*innen tun sollten und was nötig ist, um Bewegungen eine Stimme zu geben. 

Die Sache mit dem Geld: Ein zentraler Kritikpunkt an der etablierten Politik ist die Korruption. Das beginnt schon ganz unten. Bezirksrät*innen bekommen rund 500.- monatlich, hat eine Fraktion Klubgröße bekommt der/die Vorsitzende mehr als das doppelte. Insgesamt ist das ist viel Geld. Mit diesem Geld braucht es einen bewussten Umgang und klare Regeln, die von den Mitgliedern und Aktivist*innen der Organisation demokratisch entschieden werden müssen. Obwohl es im Bezirksrat individuell noch nicht um gigantische Beträge geht ist die Frage, wie Vertreter*innen von linken Parteien mit Politiker*innengehältern umgehen eine Prinzipienfrage. Wir sind daher der Meinung, dass dieses Geld auch nicht dem/der Mandatsträger*in gehört, sondern der Organisation die das Mandat errungen hat bzw. der Bewegung. Spesen müssen genau abgerechnet und es muss demokratisch beschlossen werden, wofür das Geld verwendet wird. Wir sind gegen Almosenpolitik, auch wenn wir den Wunsch (und die Forderung vieler Bedürftiger) nach unmittelbarer finanzieller Unterstützung gut verstehen können, sondern meinen, dass Widerstand finanziell unterstützt werden muss. Z.B. durch eine Wandzeitung oder Flugzettel, die aktuelle Kampagnen von Betroffenen unterstützt oder einen Raum, in dem sich Aktivist*innen verschiedener sozialer Bewegungen treffen können.

Als SLP wollen wir in den nächsten Wochen mit Aktivist*innen von Links auch darüber diskutieren, wie wir zusammenarbeiten können. Möglichkeiten sind z.B. Aktivitäten anlässlich des internationalen Tags gegen Gewalt an Frauen bzw. dem 8. März oder der Kampf für bessere Arbeitsbedingungen im Gesundheits- und Sozialbereich - Bereiche, in denen wir Kampagnen organisieren. 

Der Erfolg von Links bringt auch eine Verantwortung mit sich: Nicht wie frühere Projekte zu zerfallen, sich nicht in der täglichen Kleinarbeit aufzureiben, sich nicht auf lokale Themen zu beschränken, nicht sich dem Druck nach “pragmatischen und realistischen Lösungen” anzupassen. Im Wahlkampf hat Links eine Schicht von neuen Aktivist*innen mobilisiert - das ist gut. Auch die Teilnahme an verschiedenen Demonstrationen, v.a. rund um das Thema Flucht waren richtige Schritte. Doch klar ist: Mandatsträger*innen können die soziale Situation nicht ändern – die hinter ihnen stehende und mit ihrer Hilfe aufgebaute Bewegung schon. Diese Bewegungen mit aufzubauen, dass ist angesichts der sozialen und wirtschaftlichen Lage die zentrale Aufgabe der kommenden Periode. Für Links und alle linken Aktivist*innen.