Fr 24.11.2017
Was den ArbeiterInnen bei Siemens und ihren Familien kurz vor Weihnachten durch den Kopf gehen muss, kann man nur erahnen. Die Konzernspitze in München kündigte kürzlich die Streichung von 6.900 Stellen weltweit an, 3.300 davon in Deutschland.
Es sind nicht allein die erschreckenden Sparpläne der Unternehmensführung, die gerade die Stimmung zum Kochen bringen. Was die Unternehmensleitung um Joe Kaeser vor hat, ist mehr als ein einfacher Angriff, es ist eine Offensive.
Siemens erwirtschaftete im Geschäftsjahr 2017 laut der Tageszeitung „Junge Welt“ vom 21.11. eine Gewinnsteigerung um elf Prozent! Jenen, die diesen Zugewinn tagtäglich erarbeiteten, zeigen die feinen Herren und Damen in Nadelstreifen und Kostüm nun, was sie von ihnen halten. Neben Stellenvernichtung in Berlin und Offenbach sollen die Siemenswerke in Leipzig und Görlitz bis 2020 bzw. 2023 komplett verschwinden. Was das für die strukturschwache Region rund um Görlitz bedeuten wird, kann man sich ungefähr ausmalen. Erst kürzlich prophezeite die „Sächsische Zeitung“ (SZ) im Falle einer Werksschließung eine weitere Abwanderungswelle.
Besonders perfide erscheinen die Standortschließungen, wenn man sich die Rahmenbedingungen ansieht: Siemens fährt Rekordprofite ein und Leipzig und Görlitz sind alles andere als Sorgenkinder. Im Görlitzer Turbinenwerk sind die Auftragsbücher voll. Gerade kleine und leistungsfähige Turbinen werden aus dem Betrieb angefordert. Nicht anders sieht es in Leipzig aus, wo die Aufträge noch bis Ende des nächsten Jahres abgearbeitet werden müssen. Dennoch will Joe Kaeser die 250 Beschäftigten in Leipzig und die 700 in Görlitz in die Arbeitslosigkeit schicken.
Was steckt dahinter?
Kaeser beabsichtigt mit den Maßnahmen die Steigerung der Börsenkurse und nicht zuletzt eine Schwächung der Gewerkschaften. Sollte die Siemens-Chefetage mit ihren Plänen durchkommen, würde sie vollkommen ungescholten alle Übereinkünfte mit der Gewerkschaft gegen betriebsbedingte Kündigungen über den Haufen werfen. Das Ergebnis wäre ein Präzedenzfall von kaum vorhersehbarer Wirkung.
Dass die Hintergründe der Siemens-Entscheidung eher in diesen Erwägungen zu suchen sind, als in dem immer wieder bemühten bevorstehenden Strukturwandel hin zu erneuerbaren Energien, ist allen voran den Beschäftigten klar. Der Leipziger Siemens-Betriebsrat Stefan Schulz sprach von „einer politischen Entscheidung“.
Falsche Freunde
Der scheidende Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) nannte das Vorgehen eine „Bankrotterklärung“ des Traditionskonzerns und kündigte an, man werde von Siemens Alternativen zu Standortschließungen verlangen. Dass Siemens ungern in Alternativen denkt, hat Joe Kaeser mit seinen Plänen bereits beweisen. Solche Reaktionen aus den Reihen der „großen Politik“ werden den Siemens-ArbeiterInnen weder in Sachsen, noch in Offenbach oder Berlin helfen.
Genauso wenig wie die Stellungnahme des Görlitzer Bundestagsabgeordneten der rassistischen AfD, Tino Chrupalla, der in einer Erklärung die Energiewende und die sinkenden Siemens-Gewinne verantwortlich machte, um dann die Frage zu stellen: „Was bleibt dem Konzernchef Joe Kaeser also anderes übrig, als das traditionsreiche Geschäft zu verkleinern, indem z.B. Produktionsstandorte zusammen gelegt werden?“
Was muss geschehen?
Die Siemens-ArbeiterInnen wollen sich dem Diktat Kaesers nicht unterwerfen, das zeigt ihre bewundernswerte Kampfbereitschaft: Unterschriften, Mahnwachen, Demonstrationen: Aufgeben ist keine Alternative! Doch was die IG-Metall-Führung als letztes Mittel darstellt, die kollektive Verweigerung der Arbeit, ist sofort notwendig. Kaeser und Co. hören nicht auf Appelle, sie müssen zum Einlenken gezwungen werden. Sie wissen genau, was sie den Beschäftigten, ihren Familien und den betroffenen Regionen antun. Das interessiert sie nicht. Aber ihre Profite interessieren sie, deshalb verfolgen sie die Kahlschlagspläne. Also muss man sie dort treffen, wo es ihnen wehtut.
Streik ist die einzige Sprache, die sie verstehen. Dazu muss die IG Metall aufrufen und sicher stellen, dass in allen Standorten und für den Gesamtkonzern eine Streikleitung aus den Reihen der Belegschaft demokratisch gewählt wird. Wenn die IG Metall-Führung dazu nicht bereit ist, müssen sofort Belegschaftsversammlungen durchgeführt werden, die diese Frage diskutieren und entscheiden können. Außerdem dürfte ein Streik nicht an den Toren der betroffenen Werke Halt machen. Auch die anderen Siemens-Standorte sollten die Arbeit niederlegen.
In Görlitz sollte der Aufruf noch an Bombardier ergehen. Auch der Waggonbauer will 800 Stellen streichen.
Die Solidarität für die Beschäftigten ist enorm, das haben die bisherigen Aktionen bewiesen. Warum geht die IG Metall nicht den Weg der sächsischen ver.di, die gerade die Rekommunalisierung der Rettungsstellen fordert, um das Lohndumping der Betreiber zu beenden? Wenn Kaeser die Standorte nicht mehr haben will oder wie im Fall von Berlin und Offenbach, einfach Tausende auf die Straße setzen wird, dann muss gelten: Siemens in Arbeiterhand! Um diese Forderung durchzusetzen, bräuchte es den Druck derjenigen, die solidarisch mit den Beschäftigten sind, auf die Landesregierungen, die Standorte notfalls unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung zu verstaatlichen, um den Jobverlust zu verhindern und eine ggf. nötige Umstellung der Produktion sinnvoll durchzuführen.