Nach der Waffenruhe: Der israelische Staat geht gegen die palästinensische Jugend vor

Kämpfen wir für internationale Solidarität und eine sozialistische Lösung!
von Socialist Struggle Movement in Israel/Palästina, erschienen am 27.Mai auf https://internationalsocialist.net/en/2021/05/after-the-ceasefire

Der Aufstand der palästinensischen Jugend auf beiden Seiten der "Grünen Linie" (Grenze vor 1967) im Westjordanland und in Israel, das Massaker in Gaza und die Solidaritätsdemonstrationen in Israel haben die Unterdrückung der Palästinenser*innen in den Mittelpunkt der internationalen Aufmerksamkeit gerückt. Diese wird mit der Waffenruhe nicht verschwinden, sondern sich fortsetzen und vertiefen. Jetzt hat der israelische Staat ein hartes Vorgehen gegen palästinensische Jugendliche eingeleitet, die im vergangenen Monat an Protesten teilgenommen haben.

Die massiven "Nakba"-Mobilisierungen, die vergangenen Monat auf der ganzen Welt stattfanden und die zahlreichen spontanen Mobilisierungen seither deuten darauf hin, dass die palästinensische Unterdrückung wieder zu einem wichtigen Faktor bei der Radikalisierung junger Menschen weltweit wird. Dies geschieht in einer Zeit, in der sich junge Menschen weltweit verstärkt gegen alle Formen der Unterdrückung auflehnen, wie es zuvor im massiven Charakter und der internationalen Verbreitung des Kampfes gegen Rassismus während der Black Lives Matter-Bewegung und im Kampf gegen Sexismus zum Ausdruck kam.

Elf Tage lang hat der israelische Staat den Gazastreifen bombardiert. Mindestens 248 Menschen wurden in Gaza getötet, darunter 66 Kinder. Mehr als 1.900 Menschen wurden verwundet, Krankenhäuser waren unzugänglich, wenn sie nicht bombardiert wurden. Fast 2.000 Häuser wurden zerstört. Im Zusammenhang mit diesem Blutbad wurden auch mindestens 12 Menschen, darunter Kinder, durch Raketen getötet, die aus Gaza abgefeuert wurden, darunter Palästinenser*innen, Jüd*innen und Geflüchtete.

Die Tatsache, dass dies inmitten der Covid-Pandemie geschah, macht die Sache noch schlimmer und hat zweifellos zu den internationalen Protesten und der Radikalisierung beigetragen. Israel ist international führend bei der Impfung, aber im Westjordanland und Gaza hat die Impfung kaum begonnen. Die Tatsache, dass nun ein Waffenstillstand geschlossen wurde und vorerst zu halten scheint, ist eine Erleichterung, aber sie hat keines der grundlegenden Probleme gelöst. Die Besetzung des Westjordanlandes, die Blockade des Gazastreifens, Arbeitslosigkeit, Armut, Elend und Diskriminierung gehen weiter, ebenso wie die Revolte der palästinensischen Jugend. Ob die jüngste Razzia mit Hausdurchsuchungen nach palästinensischen Jugendlichen, die an den Protesten teilgenommen haben, und Massenverhaftungen in Ost-Jerusalem und anderen Gemeinden die Stimmung dämpfen oder weiteren Widerstand entfachen wird, ist noch schwer zu beurteilen.

Krisensituationen wie die, die sich seit April entwickelt hat, mit vielen plötzlichen Wendungen und scharfen Veränderungen, sind ein Test für alle gesellschaftlichen Kräfte: für das Regime in Israel, die Palästinensische Autonomiebehörde und die palästinensischen politischen Gruppen in erster Linie, aber auch für die US-Außenpolitik unter Präsident Biden und jene arabischen Regime, die kürzlich im Rahmen der "Normalisierung" diplomatische Beziehungen zu Israel aufgenommen haben. Sie stellt das Machtgleichgewicht in der Region in Frage, einschließlich der wachsenden Allianz zwischen einigen sunnitisch-arabischen Diktaturen und dem israelischen Regime, teilweise als Gegengewicht zum rivalisierenden iranischen Regime und seinen Verbündeten. Diese Situation stellt aber auch die Arbeiter*innenbewegung und die Jugendbewegungen international und in der Region sowie die ISA und ihre Sektion in Israel/Palästina vor enorme Herausforderungen, sowohl auf ihren Prinzipien zu beharren als auch in ihrem Vorgehen ausreichend flexibel zu sein.

Provokationen führten zu Jugendrevolte

Die unmittelbaren Auslöser für den von palästinensischen Jugendlichen angeführten Aufstand waren die Enteignungen von 19 palästinensischen Familien im Viertel Sheikh Jarrah, um rechtsextreme jüdische Siedler*innen unterzubringen - als Teil der sogenannten "Judaisierung" Ost-Jerusalems - und die Provokationen des israelischen Regimes während des Ramadan, als die Polizei die Al-Aqsa-Moschee stürmte und das Damaskustor absperrte.

Es besteht kein Zweifel, dass zynisches politisches Kalkül des israelischen Premierministers Netanjahu bei diesen Provokationen eine Rolle spielte. Er steht wegen verschiedener Korruptionsvorwürfe vor Gericht, die im letzten Jahr ein Brennpunkt für eine massive Protestbewegung in Israel waren, und er kämpft um sein politisches Überleben. Bei vier Wahlen in zwei Jahren ist es ihm nicht gelungen, eine Mehrheitskoalition in der Knesset (Parlament) zu bilden. Er hat alle Register gezogen, die rechtsextremen Kahanisten gestärkt und ein Bündnis mit ihnen geschlossen, während er sich gleichzeitig als "Abu Yair" (Vater von Yair, Netanjahus ältestem Sohn) ausgab, um Stimmen von arabisch-palästinensischen Bürgern Israels zu gewinnen und um Unterstützung von der Vereinigten Arabischen Partei des Islamisten Mansour Abbas zu werben.

Die Provokationen in Ost-Jerusalem untergruben die Chancen auf die Bildung einer alternativen Anti-Netanjahu-Regierung um den von Lapid und dem noch rechteren Bennet geführten "Block für den Wandel", unter Beteiligung der "linken" Meretz, der “Arbeiterpartei” und der Vereinigten Arabischen Partei. Die Tatsache, dass die Führer*innen des "Blocks für den Wandel", einschließlich Labour, Netanjahu bei seiner Unterdrückung der Palästinenser*innen und anschließend beim Krieg gegen Gaza eindeutig unterstützt haben, entlarvt ihre bürgerliche Täuschung, wenn sie sich als Alternative ausgeben.

Aber die Wurzeln der Krise liegen tiefer als Netanjahus zynisches Kalkül: in der systematischen und orchestrierten Politik der Aufrechterhaltung des kapitalistischen Status quo der Besetzung des Westjordanlandes und des annektierten Ost-Jerusalem, der Siedlungen, der Belagerung des Gazastreifens, der nationalen Diskriminierung, der "Teile und herrsche"-Methoden und der Armut. Dieser Status quo trifft in der Post-Trump-Ära und mit einer langwierigen Regierungskrise in Israel auf zunehmenden Mut und Widerstand einer neuen Generation von Palästinensern, die bereit sind, sich dem israelischen Regime entgegenzustellen.

Der Massenaufstand der palästinensischen Jugend erzwang eine Reihe wichtiger Erfolge: Die Anhörung des Obersten Gerichtshofs im Fall Sheikh Yarrah wurde verschoben, die Blockade des Damaskus-Tors wurde aufgehoben und eine provokative rechtsextreme Flaggenparade wurde umgeleitet. Im Wesentlichen handelt es sich um eine beginnende dritte "Intifada", einen Aufstand für nationale Befreiung gegen Unterdrückung, Enteignung, Armut und Elend.

Von der Revolte zum Krieg

Palästinensische Jugendliche haben die Zügel selbst in die Hand genommen. Sie sehen die Palästinensische Autonomiebehörde und die Fatah-Führung bestenfalls als machtlos an, meist als Kollaborateure mit der Besatzung. Ihr Vertrauen in die palästinensischen politischen Fraktionen ist gering und der Ruf nach Abbas' Rücktritt wird immer lauter, besonders seit dem Waffenstillstand, an dem er keinen Anteil hatte. Marwan Barghouti, ein Gegner von Abbas, der früher aus einem israelischen Gefängnis heraus mit einer eigenen unabhängigen Liste bei den palästinensischen Wahlen kandidierte, muss die veränderte Stimmung gespürt haben. Doch die palästinensischen Wahlen, die ersten seit 15 Jahren, wurden erneut auf unbestimmte Zeit verschoben.

Trotz der taktischen Siege, die die palästinensische Jugend vor Ort errungen hat, hält es die Hamas-Führung weiterhin für naiv und vergeblich zu glauben, dass Massenaktionen, ziviler Ungehorsam und Volkskampf dem israelischen Regime entscheidende Schläge versetzen und bedeutende Zugeständnisse erreichen können. Sie lobt den Aufstand der Jugend, traut ihnen aber nicht zu, das Kräfteverhältnis vor Ort zu verändern, ohne dass sich die Hamas-Miliz einmischt. Das Ultimatum, das ihr militärischer Flügel auf dem Höhepunkt der Jugendrebellion an Israel stellte, ist ein Symptom für ihre allgemeine Vision, dass der Massenkampf der militärischen Feuerkraft untergeordnet ist.

Die Intervention der Hamas war auch ein politischer Schachzug. Sie steht unter Druck, weil das Leben unter der Blockade unhaltbar ist und sie keinen Ausweg findet. Das führt zu Unzufriedenheit von unten, die sich in Zwietracht an der Spitze niederschlägt. Die Hamas wusste, dass eine militärische Konfrontation mit Israel einen hohen Preis in Form von Menschenleben haben würde, aber es war ein kalkuliertes Glücksspiel, um die Einheit in Gaza wiederherzustellen, die Stärke ihrer Milizen zu demonstrieren und sich als Führer des palästinensischen Befreiungskampfes zu etablieren, auch in der Westbank und Jerusalem.

Bis zu einem gewissen Grad hat die Hamas, sobald die erste Raketensalve abgefeuert wurde, ihre unmittelbaren politischen Ziele erreicht. Nach dem Waffenstillstand, der nicht nur in Gaza, sondern auch unter den Palästinenser*innen im Allgemeinen als Sieg gefeiert wird, dominierten grüne Hamas-Fahnen nicht nur in Gaza, sondern waren auch in Ost-Jerusalem und sogar in Ramallah, der Bastion der Fatah, zu sehen.

Die palästinensische Bevölkerung hat das Recht, für ihre Befreiung und gegen Unterdrückung zu kämpfen. Das geht Hand in Hand mit dem Recht, sich zu verteidigen, auch mit Waffengewalt. Aber wahllose Raketenangriffe aus dem Gazastreifen gaben dem rechten israelischen Regime die Möglichkeit, seine Unterdrückung eines Aufstandes in einen sogenannten Verteidigungskrieg zu verwandeln. Der Krieg ist eine Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.

Es besteht kein Zweifel, dass die Feuerkraft der palästinensischen Milizen ein Schlag für das Prestige des israelischen Regimes war, dessen "Eisenkuppel" (Raketenabwehrsystem) auf eine harte Probe gestellt wurde. Es erschütterte die vom israelischen Regime verbreitete Illusion, dass es über eine undurchdringliche Abschreckungsmacht verfügt. Gleichzeitig war dieser Krieg sehr "einseitig": Ein Krieg gegen die Palästinenser*innen, der von vielen korrekt als Staatsterror bezeichnet wird. Er hat sowohl in der Region als auch international enorme Empörung ausgelöst.

Die Bedingungen haben sich geändert

Dieses Mal war die Situation ganz anders als beim letzten Gaza-Krieg im Jahr 2014. Damals dauerte das Gemetzel 51 Tage lang an. Es fand statt, nachdem sich die Konterrevolution, die auf die Revolutionen des sogenannten Arabischen Frühlings folgte, in einer Reihe von benachbarten arabischen Ländern konsolidiert hatte. Diesmal kam es fast sofort zu Massenprotesten, unter anderem in Tunesien, Irak und Jordanien. Zum ersten Mal seit 2011 wurde die Grenze zum Libanon und zu Jordanien kurzzeitig durchbrochen. Die palästinensische Diaspora geriet in Aufruhr, Milizen im Libanon feuerten Geschosse nach Israel.

Dieses Ausmaß des palästinensischen Aufstandes auf beiden Seiten der Grünen Linie hatte es seit Beginn der zweiten Intifada im Jahr 2000 nicht mehr gegeben. Das israelische Regime sah sich mit einem Kampf an vier Fronten konfrontiert: Im Gazastreifen, im Westjordanland, im annektierten Ost-Jerusalem und in den Straßen der sogenannten gemischten Städte Israels. Die Illusion, dass es Israel gelingen würde, die Palästinenser*innen zu isolieren und sie in ihrem Kampf um nationale Befreiung zu entmutigen, indem es die Beziehungen zu einer Reihe von arabischen Diktaturen in der Region stärkt, hat sich nun zerschlagen. Der "Normalisierungs"-Prozess hatte sich ohnehin verlangsamt, drohte aber erheblich zurückgeworfen zu werden, wenn Israel eine Bodeninvasion gestartet hätte.

Dreimal blockierte Biden eine von China geführte Verurteilung der anhaltenden Gewalt im UN-Sicherheitsrat, ebenso wie er sich einem französischen Vorschlag widersetzte. Er tat dies trotz des Drucks der linken Demokrat*innen und der öffentlichen Meinung in den USA, die in der Situation der Palästinenser*innen Ähnlichkeiten mit der Notlage der schwarzen Bevölkerung in Amerika sieht. Im Gegenzug machte er dem israelischen Regime zweifellos klar, dass es einen schnellen Waffenstillstand ohne zusätzliche Bedingungen zu schlucken hätte. Die internationalen Solidaritätsdemonstrationen, besonders am Nakba-Gedenktag, auch in der Region selbst, haben den Druck dafür erhöht.

Elemente eines Bürgerkriegs

Ein wichtiger Faktor ist das relativ gestiegene Gewicht der extremen Rechten in Israel. Netanyahu selbst half drei rechtsextremen Gruppen, sich auf einer Liste zu vereinen, und mobilisierte eine Masse seiner eigenen Anhänger*innen, taktisch für sie zu stimmen, damit sie die Wahlhürde erreichen, um seinen Rechtsblock zu sichern. Dieser künstliche Auftrieb verschaffte ihnen mehr Zugang zu den Medien, ließ sie wählen und verschaffte ihnen Selbstvertrauen. Es führte zu gewalttätigen Auseinandersetzungen und Krawallen in einer ganzen Reihe von Städten und Gemeinden.

Banden rechtsextremer Kahanisten, darunter bewaffnete Siedler*innen, zogen kreuz und quer durch die Gemeinden und machten Jagd auf Palästinenser*innen. Die Polizei, die palästinensische Proteste brutal unterdrückt, schaute meist nur zu. Es wurden regelrechte Lynchmorde verübt. In Lydda wurde ein Palästinenser erschossen. Einige dieser Lynchmorde wurden von den Medien aufgegriffen. Sie erregten Abscheu. Im Zusammenhang mit der organisierten Gewalt gegen die Palästinenser*innen kam es auch zu palästinensisch-nationalistischen Angriffen und Lynchversuchen. Dies ermöglichte es Netanyahu, die Anwendung von Gewalt "von beiden Seiten" zu verurteilen.

Im Allgemeinen führte diese Situation jedoch zu einer landesweiten Solidaritätsbewegung zwischen Jüd*innen und Palästinenser*innen unter Slogans wie "Juden und Araber weigern sich, Feinde zu sein". Als Reaktion auf diese Konfrontationen legten "Superbus"-Busfahrer, die in der Gewerkschaft "Power to the Workers" organisiert sind, ihre Arbeit nieder, und jüdische Fahrer begleiteten ihre palästinensischen Kollegen sicher nach Hause. In Jerusalem erklärten Lehrer*innen ihre Solidarität mit einem Proteststreik palästinensischer Studierenden. Die Gewerkschaft der Sozialarbeiter*innen veröffentlichte eine Erklärung, in der es hieß, sie vertrete "alle Sozialarbeiter in Israel, aller Nationalitäten und Religionen und mit einer Vielzahl von Philosophien." Selbst Politiker*innen der harten Rechten sahen sich durch den Druck gezwungen, Lippenbekenntnisse gegen die Gewalt abzugeben, und einige Unternehmen versuchten, mit ähnlichen Erklärungen an die Öffentlichkeit zu gelangen. Natürlich ist dies noch keine klare Opposition gegen Krieg und Besatzung, höchstens eine Botschaft zur Unterstützung der "Koexistenz", aber es ist dennoch eine Entwicklung, die nicht unterschätzt werden sollte.

Lokale Komitees und palästinensischer Streik

Provokationen in Jaffa, der historischen palästinensischen Stadt, die jetzt ein Stadtteil von Tel Aviv geworden ist und immer noch eine bedeutende palästinensische Bevölkerung hat, führten zur Bildung eines "Verteidigungskomitees" gegen Waffengewalt und Kahanisten. In der kommenden Periode wird es wichtig sein, den Kampf gegen die Besatzung, die Blockade, Diskriminierung, Armut und den Kapitalismus auf beiden Seiten der Grünen Linie weiter zu entwickeln, mit mehr Demonstrationen, mehr Streiks und mehr Aktionen des zivilen Ungehorsams. Das erfordert auch die Bildung, Ausweitung und Koordinierung von demokratischen Aktions- oder Verteidigungskomitees, von denen einige bereits existieren.

Dies ist nicht nur eine Frage der Organisation, sondern auch der demokratischen Diskussion und der Ausarbeitung eines Programms. Denn der Sieg über die israelische Militärmaschinerie ist in erster Linie eine politische Frage, eine Frage, welches Programm die Arbeiter*innenklasse und die Jugend am effektivsten in einem gemeinsamen Kampf gegen Ausbeutung und Unterdrückung vereinen kann.

Ein besonders wichtiger Moment war der palästinensische Streik am Dienstag, den 18. Mai. Er wurde unter dem Druck von unten vom "Hohen Arabischen Folgekomitee" ausgerufen, einer Dachorganisation aller palästinensischen politischen Parteien in Israel, die nach dem Massaker in den palästinensischen Flüchtlingslagern von Sabra und Schatilla bei Beirut (1982) gegründet wurde. Dies ist nicht das erste Mal, dass dies geschieht. Das Komitee ruft regelmäßig zu solchen Streiks auf, aber dieses Mal war die Mobilisierung außergewöhnlich.

In Ost-Jerusalem, im Westjordanland, in den drusischen Dörfern im Golan-Gebiet und in vielen so genannten gemischten Städten Israels wurde der Streikaufruf massenhaft befolgt. Dies geschah trotz der Drohung, entlassen zu werden, trotz der Tatsache, dass viele auf einer schwarzen Liste landen werden, trotz der Tatsache, dass etwa 1.500 Palästinenser*innen verhaftet wurden und Kahanisten auf Facebook-Seiten nach Streikenden suchten, um ihre Entlassung zu fordern.

Es war ein aktiver Streik, mit Streikposten und an einigen Orten Barrikaden. Laut Haaretz verdeutlichte er die Abhängigkeit Israels von palästinensischen Arbeiter*innen, und der Streik soll etwa 40 Millionen Dollar gekostet haben. Der Präsident der Reinigungsgewerkschaft erklärte: "Ohne sie können wir unsere Arbeit nicht machen, sie sind ein Teil von uns". Der israelische Bauverband erklärte, dass nur 150 der 65.000 palästinensischen Bauarbeiter auf israelischen Baustellen arbeiteten. Nach Angaben des Verkehrsministeriums sind 10% aller Busfahrer*innen nicht erschienen. Das Folgekomitee schätzte die Zahl der Streikenden auf mehr als die Hälfte der arabischen Bevölkerung.

Es wurde eine Machtdemonstration, die zumindest einige jüdische Arbeiter*innen auch verstanden und in diesem Sinne eine Entwicklung, die alle Arbeiter*innen stärkte. Die Führung der Histadrut (der wichtigste israelische Gewerkschaftsverband) weigerte sich, den Streik anzuerkennen und rief die Hafenarbeiter*innen sogar zum Boykott italienischer Schiffe auf, als Reaktion auf die Weigerung der Hafenarbeiter*innen aus Livorno, militärische Ausrüstung für Israel umzuschlagen. Das Arbeiter*innenkomitee der Elektrizitätsgesellschaft rief sogar reaktionär dazu auf, keine Stromleitungen nach Gaza zu verlegen. Aber es gab auch einige Solidaritätserklärungen von jüdischen Arbeiter*innen mit ihren Kolleg*innen. Es wurde sofort klar, welche wirtschaftliche Macht die palästinensischen Arbeiter*innen besitzen.

Ein ultimativer Test

Eine Krisensituation wie diese ist auch eine ultimative Prüfung für revolutionäre Parteien. Es geht darum, dem patriotischen Druck zu widerstehen, der mit solchen Entwicklungen einhergeht, der demoralisierenden Wirkung, die er haben kann, der Tendenz, einen Klassenansatz aufzugeben und sich von einer Flut der "nationalen Einheit" unter den Unterdrückten mitreißen zu lassen, sogar mit reaktionären und bürgerlichen Kräften. Und der Tendenz zu widerstehen, dass der Hass auf den Unterdrücker sich in einen Hass auf die Arbeiter*innenklasse der unterdrückenden Nation verwandelt.

Wir müssen oft gegen den Strom schwimmen, aber in einer solchen Situation kann das unerträglich schwer sein. Kontinuierlich politische Arbeit um ein sorgfältig ausgearbeitetes Programm herum zu leisten, das einen sensiblen Ansatz verfolgt und gleichzeitig prinzipientreu bleibt, und dieses Programm in konkrete Aktionen umzusetzen, ist eine große Herausforderung. Socialist Struggle (ISA in Israel/Palästina) war bei dieser Herausforderung auf beiden Seiten der Grünen Linie erfolgreich, was uns heute in eine günstigere Position bringt.

Unser Programm basiert natürlich auf einer Reihe von unmittelbaren Forderungen: ein Ende des Krieges durch Massenmobilisierung, der polizeilichen und militärischen Repression gegen Proteste, der Angriffe auf Zivilist*innen, des Einsatzes von Sicherheitskräften in Al Aqsa, der rechtsextremen Provokationen, der Enteignungen in Sheikh Jarrah und der Vertreibung der palästinensischen Bewohner*innen von Ost-Jerusalem. Wir verbinden dies mit der Notwendigkeit, die Siedlungspolitik zu beenden, drücken unsere Solidarität mit den Kriegsopfern aller Gemeinschaften aus und fordern ein Ende der Belagerung und Blockade des Gazastreifens und der kollektiven Bestrafung seiner Bevölkerung.

Wir betonen, dass Frieden ohne einen Kampf gegen Besatzung, Armut und Ungleichheit, gegen korrupte Eliten und für Gesundheitsversorgung, Lebensunterhalt und Soziales für alle in der Region unmöglich ist. Wir rufen auf zur Einheit unter Arbeiter*innen und Jugendlichen, zur Solidarität an Arbeitsplätzen und Universitäten gegen nationalistische "Teile und herrsche"-Methoden, gegen die extreme Rechte und gegen Eskalation. Wir sind für die Bildung von Aktionskomitees zur Selbstverteidigung und die demokratische Organisation und Verbreitung des Kampfes. Wir sind gegen die Verweigerung des Selbstbestimmungsrechts der Palästinenser*innen, für ein unabhängiges sozialistisches Palästina mit seiner Hauptstadt in Ost-Jerusalem und für einen sozialistischen Wandel in Israel und der gesamten Region.

Die Entwicklung unseres Programms

Ein sozialistisches Programm muss auf die konkrete Situation reagieren. Da sich die Situation ständig ändert, muss auch das Programm ständig an die konkreten Erfordernisse eines bestimmten Augenblicks angepasst werden. Im Jahr 1948 waren Marxist*innen gegen die Gründung Israels. Denn die Antwort der Zionist*innen auf die "jüdische Frage", ein Heimatland für Jüd*innen in Palästina, bedeutete, den Palästinenser*innen dasselbe Recht zu verweigern. Das konnte nur durch die gewaltsame Vertreibung der arabischen Bevölkerung geschehen. Ein solcher jüdischer Staat müsste, um zu überleben, zwangsläufig übermilitarisiert und ein Instrument des Imperialismus sein. Das Verbrechen des Antisemitismus führte also zum Verbrechen des Zionismus, einem Verbrechen gegen die palästinensische Bevölkerung.

Die arabischen Führungseliten wurden vom Imperialismus gespalten und gegeneinander ausgespielt. Sie manövrierten untereinander und teilten nur ihre rhetorische Verurteilung Israels. Auf dieser Grundlage konnte sich Israel konsolidieren und 1967 unter anderem das Westjordanland und Jerusalem erobern. Das war keine Lösung, sondern schürte nur noch mehr Hass unter den arabischen Massen. Unsere Vorläufer*innen schrieben 1967, dass es nur unter der Führung der Arbeiter*innenklasse möglich sei, eine demokratische Föderation aller arabischen Staaten aufzubauen, einschließlich Israel als autonome Region und mit vollen gleichen Rechten für alle Minderheiten, einschließlich des Rückkehrrechts für palästinensische Geflüchtete, die dies wünschen.

In der Zwischenzeit sind Generationen von Jüd*innen in Israel aufgewachsen, einer Gesellschaft, die von der Klassenspaltung zerrissen ist, geplagt von Diskriminierung, Arbeitslosigkeit, einer Wohnungskrise und Armut. Die reaktionäre Idee, "die Jüd*innen ins Meer zu treiben", ist militärisch indiskutabel, und ihre Existenz stärkt nur den Griff der zionistischen Reaktion über die jüdische Bevölkerung.

Auf einer kapitalistischen Basis sind sowohl ein einziger binationaler Staat als auch eine Zweistaatenlösung utopisch. Die israelische herrschende Klasse hat kein Interesse daran, Millionen von Palästinenser*innen gleichen Zugang zu ihrem Staat zu gewähren, und ein palästinensischer Staat wäre bestenfalls ein Vasallenstaat, unfähig, die Probleme der fortgesetzten nationalen Unterdrückung, Armut und Arbeitslosigkeit für die palästinensischen Massen zu lösen. Die Ausdehnung der Kolonien im Westjordanland hat das Gebiet in separate Enklaven aufgeteilt, mit dem Ziel, die Hoffnungen der Palästinenser*innen auf einen eigenen Staat zu zerschlagen.

Unter diesen Umständen kann nur ein Massenkampf für nationale und soziale Befreiung einen Ausweg bieten. Der palästinensische Jugendaufstand und der Generalstreik zeigen, wie dieser Kampf entwickelt und auf alle palästinensischen Gemeinschaften innerhalb der Grenzen von 1967 und 1948 und in der gesamten Region ausgeweitet werden könnte. Diese Bewegung kann Arbeiter*innen, Jugendliche und unterdrückte Gemeinschaften innerhalb der israelischen Gesellschaft ansprechen und helfen, den Kampf gegen den israelischen kapitalistischen Staat, seine repressiven Maßnahmen, seine "Teile und herrsche"-Politik, die Angriffe auf Arbeiter*innen und das soziale Elend zu entwickeln. Ein sozialistischer palästinensischer Staat mit Ost-Jerusalem als Hauptstadt und ein sozialistisches Israel als Teil einer sozialistischen Konföderation im Nahen Osten ist der einzige Weg, Besatzung, Diskriminierung, Armut, Ausbeutung und Krieg zu beenden. In der Vergangenheit haben wir Jerusalem als gemeinsame Hauptstadt befürwortet, aber die Politik der Enteignung palästinensischer Familien und der jüdischen Siedlungen macht es notwendig, die Notwendigkeit eines gleichberechtigten Status zweier nationaler Hauptstädte in Jerusalem noch mehr zu unterstreichen.

Eine sozialistische, demokratische Planwirtschaft für die gesamte Region und die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Gemeinschaften würde es ermöglichen, die Rückkehr der Palästinenser*innen, die dies wünschen, zu organisieren, die Grenzen demokratisch zu diskutieren, einschließlich einer Erweiterung des Territoriums von Palästina, und die Siedlungen im Westjordanland aufzulösen. Nur dann wären Frieden in der Region und Wohlstand für alle möglich.