Manche sind gleicher…

Mit dem Rechtsstaat gegen die Beschäftigten
Helga Schröder

Die Methode von schwarz-grün, das Kapital mit Milliardengeschenken auf Kosten aller Menschen, die von einem Job leben müssen oder von Pension oder Sozialleistung abhängig sind, aus der Corona-Krise zu retten, bringt die Arbeitenden in unterschiedliche Bedrängungs-, Verwirrungs- und Bedrohungslagen.

Anhand der diversen Maßnahmen zeigt sich: Es sind nicht alle gleich. Die Regierung bzw. der Nationalrat beschließt im Eilzugstempo diverse Gesetze. Doch diese dienen eben nicht nur dem Schutz „aller“, sondern haben für unterschiedliche Teile der Gesellschaft sehr unterschiedliche Auswirkungen. Manche sind eben auch unter Corona „gleicher“ – und zwar jene, die schon bisher zu den Privilegierten gehörten.

Das begann schon am Tag eins der Covid-19-Maßnahmen mit der Frage: Muss ich in die Arbeit? Darf ich in die Arbeit? Wenn ja, welcher Gefahr setze ich mich aus? Wenn nein, werden mir Urlaubstage weggenommen? Soll ich jetzt von zu Hause arbeiten? Wenn ja, wie? Von den meisten Arbeitgeber*innen gab es keine Antwort.

Weiter Arbeitspflicht, kein verpflichtender Schutz

Wer aus – berechtigter – Angst, wissend, dass am Arbeitsplatz die Schutzmaßnahmen nicht eingehalten werden (können), nicht am Arbeitsplatz erscheint, riskiert im Extremfall eine Entlassung wegen unentschuldigten Fernbleibens. Ein richtiges Verhalten als Arbeitnehmer*in ist unmöglich, will man sich exakt an die Covid-19-Verordnungen über Betretungsverbote halten. Arbeitsorte wurden im Nachhinein rückwirkend in das COVID-19-Maßnahmengesetz aufgenommen. Dieses Gesetz enthält im Wesentlichen nur die Ermächtigung des Gesundheitsministers zur Erlassung entsprechender Verordnungen. Aber weder in die Verordnung über das Betretungsverbot öffentlicher Orte (nennen wir sie zum Verständnis „Bleibdaheim“-Verordnung) noch in die Verordnung über das Betretungsverbot der Kund*innenbereiche von Betriebsstätten (die wir zum Verständnis „Geschäftezu“-Verordnung nennen könnten) haben Arbeitsorte bislang Eingang gefunden. Eine Regelung von Maßnahmen für Arbeitsplätze bzw. Arbeitnehmer*innenschutz fehlt in beiden bisher beschlossenen Covid-19-Gesetzen. Das heißt, es fehlt auch die Einfügung irgendeiner Bestimmung etwa im Arbeitnehmer*innenschutzgesetz, wie z.B. eine Verpflichtung des Arbeitgebers, dafür zu sorgen, dass am Arbeitsplatz die Covid-19-Maßnahmen eingehalten werden (können). Die gibt es schlicht nicht. Es gibt aber in der „Bleibdaheim“-Verordnung fünf Ausnahmen (die hoffentlich schon allen klar sind). Eine von diesen Ausnahmen ist der Weg zur Arbeit – genauer: Betretungen öffentlicher Orte, die für berufliche Zwecke erforderlich sind und sichergestellt ist, dass am Ort der beruflichen Tätigkeit zwischen den Personen ein Abstand von mindestens einem Meter eingehalten werden kann. Es ist freilich nichts darüber gesagt, wer das sicherstellen soll und das bedeutet bloß, dass ich eben auf die Straße und in die U-Bahn darf, um zur Arbeit zu fahren. Im Arbeitsrecht und im Arbeitnehmer*innenschutzrecht gibt es keine Regelung zum Abstand! Es gibt keine ausdrückliche Verpflichtung des Arbeitgebers zur Sicherstellung des Abstands, es sei denn man leitet sie aus der allgemeinen Fürsorgepflicht ab. Wenn der Abstand am Arbeitsplatz nicht sichergestellt ist, dürfte ich streng genommen nach der „Bleibdaheim“-Verordnung gar nicht zur Arbeit fahren. Arbeitsrechtlich muss ich aber zur Arbeit erscheinen, weil es keine Regelung für eine Freistellung gibt, wenn kein Abstand eingehalten wird. Gleichzeitig gibt es eben auch keine ausdrückliche Regelung, dass der Chef für Abstand am Arbeitsplatz sorgen muss. Das bedeutet für Arbeitnehmer*innen, dass sie völlig ihren Bossen ausgeliefert sind. Schwarz-grün hat dafür gesorgt, dass wirklich alles den Arbeitnehmer*innen umgehängt wird. Sowohl das gesundheitliche als auch das wirtschaftliche Risiko ist damit hundertprozentig bei den Arbeiter*innen und ihren Angehörigen. Mit „sozialpartnerschaftlicher“ Zustimmung von Arbeiterkammer, Gewerkschaft und Sozialdemokratie - Danke.

Zwangsurlaub dank „Sozialpartner*innenschaft“

Aber das ist noch nicht alles. Die Chef*innen sind noch einmal zusätzlich abgesichert worden. Wird die Arbeit aus höherer Gewalt unmöglich und ist von dieser höheren Gewalt die Allgemeinheit betroffen (liegt die höhere Gewalt also nicht in der Sphäre des Dienstgebers/der Dienstgeberin), dann war es schon bisher so, dass kein Lohn mehr gezahlt werden muss. Schlimm genug, geregelt im altehrwürdigen Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch (§ 1155). Freilich kommt eine solche höhere Gewalt in neutraler Sphäre, wie Jurist*innen das nennen, nicht allzu oft vor. Dann kam das Corona-Virus. Im 2. Covid-19-Gesetz wurde nun „sozialpartnerschaftlich“ eilig eine vermeintliche Verbesserung dieser Rechtslage beschlossen. Das gute alte ABGB aus dem Jahre 1811 wird nicht gar so häufig geändert wie manch anderes Gesetz. Es hat die Arbeiter*innenbewegung überlebt und heißt mit gutem Grund so wie es heißt. Jetzt war es soweit: Das 2. Covid-19-Gesetz ändert den § 1155 ABGB. Die angebliche „Verbesserung“ der Rechtslage besteht jetzt in der Möglichkeit von Zwangsurlaub. Die Bosse können uns also jetzt unseren hart verdienten Urlaub abräumen, wenn das Geschäft zu ist wegen der Covid-19-Maßnahmen oder der Abstand beim Arbeiten nicht eingehalten werden kann. Ohne Zustimmung des/der Beschäftigten, versteht sich. Für alle, die es nicht glauben können, hier die leicht verständliche Bestimmung wörtlich: „Arbeitnehmer, deren Dienstleistungen aufgrund solcher Maßnahmen [Anm.: die Covid-19-Maßnahmen] nicht zustande kommen, sind verpflichtet, auf Verlangen des Arbeitgebers in dieser Zeit Urlaubs- und Zeitguthaben zu verbrauchen.“

Wie das als Verbesserung verkauft werden kann? Legistisch wurde das so formuliert, dass die Covid-19-Maßnahmen nicht als höhere Gewalt in neutraler Sphäre gelten, sondern als Umstände, die auf Seite des Dienstgebers/ der Dienstgeberin liegen. Daher ist weiter Lohn zu zahlen, aber eben Zwangsurlaub möglich. Im Ergebnis ist es dasselbe wie vorher. Urlaub wegnehmen statt keinen Lohn zahlen – unterm Strich zahlen Arbeiter*innen den Ausfall. Im Dienstrecht für den öffentlichen Dienst wurde ebenfalls die Möglichkeit des Zwangsurlaubs geschaffen. Dort gibt es eine zusätzliche Absurdität: Weil der Zwangsurlaub auf Urlaubsanspruch aus dem Vorjahr beschränkt ist, haben jetzt Kolleg*innen, die voriges Jahr nicht allen Urlaub verbraucht haben weniger Urlaub, als diejenigen, die voriges Jahr ihren Gesamturlaub konsumiert haben. Die Bestimmung ist bis Jahresende befristet und offen blieb, was geschieht, wenn jemand keinen Urlaubsanspruch mehr haben sollte.

Es wurde wohl mit gutem Grund versucht, diese Bestimmung so still und versteckt zu behandeln. Vor allem von Seiten der Gewerkschaften und Sozialdemokratie. Das ist nämlich eine unfassbare Zerschlagung grundlegender Arbeiter*innenrechte. Das Recht auf Erholungsurlaub ist hart erkämpft. Das Recht auf Erholungsurlaub ist vom Prinzip der selbstbestimmten Erholung der Arbeitnehmer*innen getragen. Deshalb war es bisher streng an Vereinbarung gebunden. Das wesentliche Prinzip des Urlaubsrechts ist, dass der Boss eben nicht einseitig jemanden in Urlaub schicken kann. Schon Betriebsurlaube sind davon eine grenzwertige Ausnahme. Der Erholungsurlaub dient zur selbstbestimmten Erholung der Arbeiter*innen und steht nicht zur Verfügung der Unternehmen für Umsatzausfälle. Das zu zerschlagen ist ein gefährlicher Rückschritt, dessen Bedeutung noch nicht wahrgenommen wurde. Dem 2. Covid-19-Gesetz haben alle (!) im Nationalrat vertretenen Parteien zugestimmt. Das war nicht anders zu erwarten. Bedrohlich ist allerdings, dass die Gewerkschaftsführung völlig im „nationalen Schulterschluss“ aufgeht und so tut, als ob es wegen Corona keine unterschiedlichen Interessen zwischen Beschäftigten und Unternehmen mehr gäbe. Doch es ist nur eine Frage der Zeit, bis es hier von den Kolleg*innen scharfen Gegenwind gegen das Vorgehen „ihrer“ Führung gibt. Im Sozialbereich sieht sich die zuständige Gewerkschaftsführung bereits mit scharfem Protest wegen ihres Total-Umfallers bei den KV-Verhandlungen konfrontiert (https://www.slp.at/artikel/sozialwirtschafts-sw%C3%B6-abschluss-2020-ein-verrat-mit-folgen-9990)

 

Die 38 Milliarden dürfen nicht den Unternehmer*innen geschenkt werden, sondern müssen stattdessen für Folgendes verwendet werden:

  • Verpflichtung aller Unternehmen zur Schaffung, Einhaltung und Gewährleistung der Covid-19-Schutzmaßnahmen an allen Arbeitsplätzen
  • Sofortige Freistellung aller Beschäftigten einer Risikogruppe bzw. die mit jemanden einer Risikogruppe im selben Haushalt leben oder wenn Zuhause Betreuungspflichten vorliegen (Kinder, Angehörige) bei voller Bezahlung
  • Sofortige Freistellung aller Beschäftigten bei voller Bezahlung, wenn am Arbeitsplatz die Covid-19-Schutzmaßnahmen nicht eingehalten und gewährleistet werden können
  • Sofortige Freistellung aller Beschäftigten bei voller Bezahlung, wenn der Betrieb wegen der Covid-19-Schutzmaßnahmen geschlossen ist
  • Generelles Kündigungsverbot und Nichtigkeit aller bisherigen Kündigungen sowie Nichtigkeit aller (angeblich) „einvernehmlichen“ Kündigungen/Auflösungen
  • Kein Urlaubsverbrauch, sofortige Rücknahme der Möglichkeit des Zwangsurlaubs, Nichtigkeit aller bisherigen Zwangsurlaube
  • Verpflichtung aller Arbeitgeber*innen zur Bereitstellung aller Ressourcen und Vergütung aller Kosten inklusive IT-Sicherheit, Software, Telekommunikation, Internet bei Telearbeit; andernfalls Freistellung bei voller Bezahlung
  • Volle Bezahlung bei Kurzarbeit, nicht bloß 80 oder 90%
  • Genereller Mindestlohn von 1.700 Euro
  • Unbefristetes Arbeitslosengeld generell mindestens 1.700 Euro

 


Wir stellen seit Jahrzehnten alle unsere Artikel, Zeitungen und Broschüren kostenlos zur Verfügung und werden das auch in Zukunft nicht ändern. Der Zugang zu Information darf nicht am Geld scheitern. Um all das aber weiter produzieren zu können ersuchen wir unsere Leser*innen darum, uns “Lesespenden” zu überweisen. 

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