Di 19.08.2014
In der Reihe „Geschichte des Kommunismus und Linkssozialismus“ Band XVII im Karl Dietz Verlag Berlin ist 2013 „Komintern und Kommunismus in Indien 1919-43“ von Sobhanlal Datta Gupta erschienen (ISBN: 978-3-320-02276-1).
Auf rund 350 Seiten widmet sich der Autor der Rolle und Politik der III. Internationale (Komintern) in Bezug auf Indien. Viel neues Material wird aufgegriffen, das durch die Öffnung der Archive in Russland eine neue, vollständigere und differenziertere Sichtweise auf die Debatten innerhalb der Komintern zulässt. Insofern bietet das Buch viel Interessantes und auch jede Menge neue Ansatzpunkte. Es ist spannend zu lesen, wie die Debatten innerhalb der Komintern zur Kolonialen Frage, die auch auch nach 1924 kontroversieller waren, als die monolithische Präsentation der Komintern es vermuten lassen würde. Gerade auch für europäische LeserInnen ist die Auseinandersetzung mit der eurozentristischen und chauvinistischen Positionierung der lange Zeit für die KP-Indien zuständige britische KP wichtig und aufschlussreich. Die verheerenden Auswirkungen des Zick-Zack-Kurses der Komintern unter Stalin werden nur indirekt sichtbar, da Fakten zur Verankerung und Stärke der KP-Indiens leider fehlen bzw. das Wissen dazu vorausgesetzt werden. Eine wirkliche Einladung zum Ein- und Weiterlesen ist der durch viele Quellen und Studien belegte Überblick über die Politik verschiedener kommunistischen Parteien in Asien, die sich auf den letzten Seiten findet.
Leider hat das Buch auch eine Reihe von Schwächen. Obwohl natürlich nicht als Einsteigerwerk zum Thema gedacht, setzt es doch sehr viel an Vorwissen voraus. Diverse historische handelnde Personen (nicht nur der ersten Reihe) werden einfach eingeführt, ohne sie politisch oder historisch zu verorten. Auch eine politische Verortung des Autors selbst fehlt. Er wird als Fachmann und indischer Marxist vorgestellt. Doch bei einem Thema, in dem es eben gerade sehr unterschiedliches Verständnis darüber gibt, was „Marxismus“ eigentlich ist, wäre eine etwas genauere politische Positionierung wünschenswert. Denn das Buch ist, wenn auch mit wissenschaftlicher Genauigkeit gearbeitet wird, eines, das politisch Position bezieht. Das zeigt sich in Wertungen wie „ultralinks“ oder „sektiererisch“. Grundsätzlich ist das absolut in Ordnung, nur wäre eben dann auch eine Voranstellung der eigenen politischen Position hilfreich. Offensichtlich hat der Autor Sympathien für Bucharin und Thalheimer („Rechte Opposition), die er aber durch vermeintliche Sachlichkeit zu kaschieren versucht. Daneben zeigen sich auch massive politische Schwächen, die unter anderem in der wiederkehrenden Vermischung der Begriffe Einheitsfront und Volksfront liegt. Zwei gerade in dieser Periode zentrale Konzepte denen unterschiedliche, teilweise diamentral entgegengesetze Analysen zugrunde lagen.
Die zentrale politische Schwäche besteht im Nicht-Verstehen der Ursachen des Stalinismus, dessen Aufstieg „mit dem Tod von Lenin“ angesetzt wird und im Wesentlichen als Machtkampf präsentiert wird. Die ökonomische Lage der Sowjetunion als eine isolierte Mangelwirtschaft, die Rückständigkeit des Landes, das Ausbleiben der erwarteten Revolutionen im Westen etc. - all das sind für den Autor offensichtlich keine zentralen Faktoren. Selbst in der politischen Tradition des Autors stehende Theoretiker wie Bucharin oder Thalheimer haben auf diese Aspekte verwiesen. Beachtlich ist es auch, dass rund 350 Seiten über die Frage der kolonialen Revolution geschrieben wird ohne sich mit dem Konzept der „Permanenten Revolution“ von Trotzki auch nur irgendwie auseinanderzusetzen. Der wird insgesamt im Wesentlichen auf einen Gegenspieler zu Stalin in einem eher unpolitischen Machtkampf reduziert. Positiv angemerkt werden kann, dass es gelungen ist, ein sehr detailiertes Werk zu schreiben, das trotz seiner relativen Länge flüssig zu lesen ist und politisch spannend bleibt. Insgesamt sicher ein Buch, das für eine intensivere Auseinandersetzung mit der ArbeiterInnenbewegung und der kommunistischen Bewegung in Indien absolut dazu gehört – allerdings unter der Voraussetzung, dass der/die LeserIn über das politische Vorwissen verfügt, es auch interpretieren und einordnen zu können.