Fr 24.08.2007
Die Eliten in Peru und Chile erfinden gerade einen Grenzkonflikt, um damit die Aufmerksamkeit der Arbeiterklasse von ihren Problemen abzulenken, denen sie sich im Land gegenübersehen. Sowohl Alan García als auch Michelle Bachelet befinden sich, was die Unterstützung durch die Bevölkerung betrifft, augenscheinlich in ihrem schlechtesten Zustand, seitdem sie gewählt worden sind.
Angesichts besagter Situation hat Alan García einen Grenzkonflikt mit Chile aus dem Ärmel gezaubert. Das ist darauf zurückzuführen, dass die soziale Mobilisierung für die herrschende Klasse eine besorgniserregende Größenordnung angenommen hat und diese sich in ihrer Ausweglosigkeit gezwungen gesehen hat, die peruanischen ArbeiterInnen von ihren Kämpfen um bessere Lebensbedingungen abzulenken.
Vor nicht allzu langer Zeit wurde Alan García noch zusammen mit dem neuen mexikanischen Mandatar als der Retter des kapitalistischen Systems in Lateinamerika gehalten. Man nahm an, dass die beiden es schaffen würden, die „linke“ Welle zu bremsen, die sich über den Kontinent ausbreitet. Die „Retter“ der Bourgeoisie sind aber in ihren jeweiligen Ländern rasch in die Krise geschlittert. Heute weiten sich die sozialen Mobilisierungen in diesen Ländern ganz offensichtlich aus und haben sich im Fall von Peru für das Bürgertum alarmierend entwickelt.
Der Opportunismus der peruanischen und der chilenischen Regierung
Die ausweglose Lage von Alan García, in die er abgestürzt ist, macht ihn zum Verbündeten der herrschenden Klasse Chiles. Sowohl die Concertación (Anmerkung d. Ü.: ein „Mitte-Links“-Regierungsbündnis unter der Sozialdemokratin Bachelet) als auch die Rechte plustern sich auf und bestärken die chauvinistischen Gefühle der Bevölkerung, auch um damit die Aufmerksamkeit der ArbeiterInnen von ihren Kämpfen abzulenken. Denn sowohl die VertragsarbeiterInnen als auch die ForstarbeiterInnen - wie die von Codelco - hatten mit Mobilisierungen begonnen. Das hatte zu einer Ausweitung der Kämpfe an anderen Fronten geführt. Dabei geht es immer um das Thema der schlechten Arbeitsbedingungen und Löhne, wobei die der VertragsarbeiterInnen so schlecht oder sogar noch schlechter sind als die der ForstarbeiterInnen und der ArbeiterInnen in den Kupferbetrieben.
Wir dürfen uns nicht durch billigen Chauvinismus hintergehen lassen
Sowohl die peruanische als auch die chilenische Elite stimmen einen billigen Chauvinismus an, mit dem sie die Arbeiterklasse konfrontieren. Aber erinnern wir uns daran, dass beide Eliten die Reichtümer unserer Länder den großen Multis in den imperialistischen Ländern in einem absolut unterwürfigen Akt gegenüber den Bourgeoisien dieser Länder ausgeliefert haben.
Die Rechte wie die Concertación haben das Land dem Imperialismus ausgeliefert. Es sind die chilenischen „Patrioten“, die den Hauptreichtum unseres Landes, das Kupfer, den großen Multis ausgehändigt haben. Das schmerzt umso mehr, als sogar die Verfassung der Diktatur verhinderte, dass so etwas passieren konnte. Aber damit nicht zufrieden, haben sie auch andere strategisch wichtige Ressourcen wie die Unternehmen der Energieerzeugung und -verteilung zusammen mit der Kontrolle über eine derart fundamentale Ressource wie das Wasser aus der Hand gegeben, dazu die maritimen Ressourcen, die Wälder und jegliche natürlichen Ressourcen, die irgendwie verwertbar sind.
Die selben Personen, die die wichtigsten Teile des Landes verkauft und unsere Reichtümer um den Wert eines Eies verscherbelt haben, tun sich heute als die großen Verteidiger des Landes hervor. Das ist ganz offensichtlich nicht einfach ein schlechter Scherz ohne jegliche reale Basis.
Die Überreaktion der chilenischen Regierung
Die Mehrheit der bürgerlichen Analysten stimmt darin überein, dass das, was Peru machte, unter dem Gesichtspunkt zu sehen ist, dass es das Motiv war, zum internationalen Tribunal von La Haya zu kommen. Der Protest Chiles wiederum war unter dem Gesichtspunkt zu sehen, dass das Land klarstellen wollte, dass es mit der peruanischen Darstellung nicht einverstanden ist.
Aber der barsche Ton der chilenischen Kanzlerin zeigt, dass man versucht, aus der peruanischen Inszenierung einen politischen Nutzen zu ziehen. Es erübrigt sich zu sagen, dass die peruanische Regierung ihrerseits genau das selbe macht.
Die chilenische Rechte zieht ebenfalls ihre „Show“ ab
Parlamentarier der Rechten sind schon so weit gekommen, dass sie davon sprechen, die Inszenierung von Alan García hätte uns fast schon in ein Klima einer kriegerischen Auseinandersetzung versetzt. Sergio Romero (RN) tat sich mit seiner Forderung nach Suspendierung der nächsten Reise von Bachelet nach Peru am meisten hervor. Und mit dem verbalen Übergang von „keine Möglichkeit ausschließen“ hin zur „Möglichkeit eines kriegerischen Konflikts“ zeigen alle diese Personen ganz klar, dass sie versuchen, einen politischen Nutzen aus diesem Konflikt zu ziehen, der durch die Ausweglosigkeit der peruanischen Regierung angesichts des Verlustes an Unterstützung durch die Bevölkerung künstlich entfacht wurde.
Das Erdbeben war wirksamer
Wenn Alan García noch eine Woche gewartet hätte, hätte er nicht das abgelutschte Thema Grenzkonflikt bemühen müssen, um die peruanischen ArbeiterInnen von ihren Kämpfen abzulenken und auf die ebenso abgedroschene „nationale Einheit“ einzuschwören. Das Erdbeben, das soeben über Peru hereingebrochen ist, wird dazu führen, dass zumindest momentan die schwache Unterstützung der Bevölkerung für den peruanischen Präsidenten in Vergessenheit gerät.
Auf der anderen Seite ist das auch eine gute Gelegenheit für die chilenische Regierung unter Bachelet, sich großherzig und generös zu geben, indem sie dem peruanischen Volk Hilfe schickt. Das ist etwas sehr gutes - es gibt da nur eine Kleinigkeit: Einige Ortschaften im Norden Chiles warten seit Jahren auf Hilfe durch die Regierung, damit sie ihre Gemeinwesen wieder aufbauen können, die vor einigen Jahren nach dem letzten Erdbeben zerstört wurden. Und die armen Bauern im Süden des Landes warten immer noch auf Hilfe der Regierung, um die Verluste an Tieren und Saatgut ein wenig zu lindern, die sie nach der polaren Kältewelle erlitten, die das Land in den letzten Wochen heimsuchte.
Der Zynismus kennt keine Grenzen
Das was klar zutage tritt, ist, dass die chilenische und die peruanische Arbeiterklasse überhaupt kein Vertrauen in die Unternehmer und die Reichen in den beiden Ländern haben können. Diese schicken sich an, jegliche Scheußlichkeit umzusetzen, die ihren Interessen dient. Offensichtlich sind sie auch dazu fähig, uns in ein neues Gemetzel zu schicken, wenn es ihren Interessen dienlich ist. So wie sie es schon Ende des 19. Jahrhunderts machten, als wir uns als gegnerische Brüder gegenüberstanden. Und danach lieferten sie die Salpeter-Reichtümer dem englischen Imperialismus aus.
Ein Jahrzehnt nach diesem Bruderkrieg wurden tausende ArbeiterInnen im großen Salpeter-Aufstand 1907 in der Schule Santa Maria de Iquique durch das chilenische Militär massakriert. Unter ihnen gab es PeruanerInnen, BolivianerInnen und ChilenInnen, darunter viele Ex-Kämpfer, die sich vorher feindlich gegenübergestanden waren, weil sie nicht verstanden hatten, dass ihre Feine auf der anderen Seite - genau genommen auf der Seite der Unternehmer in ihren jeweiligen Ländern - standen.
Die ArbeiterInnen eines jeden Landes haben nur eine Alternative: Schluss machen mit dem Kapitalismus und eine sozialistisch-demokratische Gesellschaft aufbauen, wo diese Kriminellen nie wieder Gelegenheit haben, uns zu manipulieren und neuerlich zur Schlachtbank zu führen.