Armutsmigration: Ein Produkt des Kapitalismus

Lukas Kastner

Im Zuge der EU Ostöffnung 2011 und deren Ausweitung ab 01.01.2014 wurde von den etablierten Parteien (besonders rechten bis rechtsextremen) der Untergang Europas herbeibeschworen. Gezielt wurden MigrantInnen aus Osteuropa als Ursache für soziale Verschlechterungen präsentiert, um die ArbeiterInnenklasse zu spalten. Besonders gehetzt wurde gegen ArmutsmigrantInnen. Diese wurden als Verursacher für das Zusammenbrechen des Sozialstaates dargestellt – nicht die Kürzungen und die neoliberale Politik der letzten Jahrzehnte. Besonders ekelhafte Ausmaße nimmt die Hetze gegen ArmutsmigrantInnen in Form der Forderungen nach einem Bettelverbot an. In Salzburg kam es bereits zu mehreren Übergriffen auf BettlerInnen, welche von der Hetze vor allem von ÖVP und FPÖ begleitet wurden.

Zahlen

Um wie viele Personen, um die sich die Debatte dreht, es sich handelt zeigen folgende Zahlen: In Deutschland leben rund 262.000 und 144.000 RumänInnen und BulgarInnen. 2012 zogen 75.000 nach Deutschland. 15.000 von ihnen sind Arbeitslos. Ihre Arbeitslosenquote lag mit 7,4 Prozent unter jener der Gesamtbevölkerung. In Österreich kam es im Jahr 2012 zu einer Nettozuwanderung von 5.358 Personen aus Rumänien, 1.494 aus Bulgarien, 3.419 aus Polen und 2.419 aus der Slowakei.

Davon sind nur ein Bruchteil ArmutsmigrantInnen beziehungsweiße Notreisende. 2013 wurden in Salzburg rund 120 Notreisende gezählt, in Linz rund 150, in Kärnten 30-40 und in Wien wurden im Jahr 2012 rund 1.200 Notreisende in Einrichtungen der Winternothilfe gezählt.

Am Beispiel Salzburg zeigt sich, dass Notreisende zum größten Teil aus Rumänien kommen. Weiter Länder sind unter anderem Polen, Ungarn, die Slowakei und Tschechien. Unter ihnen befinden sich rund 40% Roma.

Hintergründe

Diese Menschen begeben sich auf Reise, um der erschreckenden Armut in ihren Herkunftsländern zu entfliehen. So kommt ein Großteil aus Regionen, in denen die wirtschaftliche und soziale Lage katastrophal ist. BettlerInnen berichten, es gäbe für sie in ihrer „Heimat“ keine Möglichkeit genug Geld zu verdienen, um sich das Überleben leisten zu können.

Ein Bettler berichet in einer Studie, die im Auftrag des Runden Tisches für Menschenrechte erstellt wurde, folgendes: „In der Slowakei verdiene ich 500-600 € im Monat, aber es reicht nicht. Das Leben dort ist sehr teuer. Die Kosten für Wohnung und Essen sind sehr hoch, also man kommt mit dem Geld nicht klar. Man hat in der Slowakei keine soziale Sicherung. Meine Eltern wohnen derzeit in Tschechien, weil es da ein bisschen besser ist als in der Slowakei. Nur mein Bruder ist noch in der Slowakei, aber auch er ist darauf angewiesen, immer anders Geld zu verdienen.“ (http://rundertisch-menschenrechte.at/downloads/NotReisen_Bericht.pdf)

Tatsächlich liegt der Durchschnittslohn in der Slowakei bei 780 Euro brutto. Der Mindestlohn liegt bei 337 Euro brutto im Monat. Die Lebenshaltungskosten liegen mindestens bei rund 500 Euro.

Dies zeigt, dass für Notreisende ein Leben in Osteuropa schlichtweg nicht mehr leistbar ist. Deshalb versuchen sie in der EU ihr Glück. Dabei ist keine Zugehörigkeit der Notreisenden zu ein kriminellen Organisation nachzuweisen. Die einzige Form der „Organisiertheit“ besteht darin, dass Notreisende gemeinsam (oft in Familien oder nachbarschaftlichen Verbänden) migrieren, um sich die Reise zu erleichtern und gemeinsam Geld zu verdienen.

Gegen den Vorwurf der organisierten Bettelei spricht auch, dass ein großer Teil der Notreisenden nicht deshalb migriert, um zu betteln, sondern um Arbeit zu finden. Unter ihnen finden sich auch hochqualifizierte Arbeitskräfte, die aufgrund der schlechten Arbeitsmarktsituation in ihrem Herkunftsland und in dann auch Österreich in die Armut und Bettelei gedrängt werden.

25 Jahre Kapitalismus – eine soziale Katastrophe

Dass die Bettelei nicht selbst verschuldet ist, sondern aus bitterster Not betrieben wird, zeigen die sozialen Verhältnisse in Osteuropa. In Bulgarien lebten 2013 21 Prozent unter der Armutsgrenze. Der Durchschnittslohn lag bei 350 Euro, der Mindestlohn bei 125. Die Stromkosten beliefen sich auf 127 Euro pro Monat, waren also für einen großen Teil der Bevölkerung nicht erschwinglich.

In Rumänien lebten 23 Prozent unter der Armutsgrenze. Der Mindestlohn betrug 81 Cent in der Stunde, die Durchschnittspension 100 Euro. Jährlich erkranken 1.000 Menschen an Tuberkulose.

Auf der anderen Seite machen Konzerne (besonders auch aus Österreich) fette Gewinne. So ist die EVN im bulgarischen Stromgeschäft, sowie über Tochterunternehmen in Gas- und Kraftwerksektor aktiv. Im Geschäftsjahr 2011/2012 machte sie einen Reingewinn von 194, 9 Millionen Euro. Den hohen Gewinn führte die EVN selbst auf den kalten Winter in Südosteuropa und die damit erfolgte Preiserhöhung zurück. Die OMV machte 2012 888,5 Millionen Profit mit Heizöl, Diesel und Benzin. Die Raiffeisen machte 2012 725 Millionen Gewinn.

Für einen Großteil der Bevölkerung bedeutete die Restauration des Kapitalismus nach der Wende Ende der 1980er Jahre ein Leben in Armut und Perspektivlosigkeit. ArbeiterInnen und Jugendliche sahen/sehen sich mit Abbau von Sozialstandards und einem Absinken des Lebensstandard konfrontiert. Dieser fiel in Bulgarien von 1990 bis 1998 um 40%, während die Realeinkommen von 1989 bis 1995 um 70% zurückgingen.

Gleichzeitig vernichteten westliche Konzerne Betriebe, da sie eine Aufrechterhaltung als nicht profitabel ansahen und Konkurrenz loswerden wollten. So wurden in Osteuropa zwischen 1990 und 1998 40% der Industrie vernichtet. Anstatt die vorhandenen Kapazitäten zu nutzen und den vorhandenen Bedarf an Industriegütern durch planmäßig aufgeteilte Arbeit abzudecken, wurden aus Profitgier Millionen Menschen in soziales Elend gestoßen. Dies zeigt, dass Armut und Betteln nicht freiwillig, oder aus krimineller Motivation geschieht. Armut und Bettelei sind das Resultat von Sozialabbau, Privatisierung und kapitalistischer Profitgier.

Der Hetze gegen BettlerInnen von Seiten der AusbeuterInnen muss daher eine starke Gegnerschaft der ArbeiterInnenklasse entgegentreten. In Osteuropa muss die ArbeiterInnenklasse den sozialen Kahlschlag der letzen 25 Jahre bekämpfen. Dies kann nur über den Aufbau von ArbeiterInnenparteien geschehen. Diese müssen klar gegen die Hetze gegen sozial Schwache und gegen Rassismus auftreten und dies mit sozialen Forderungen und dem Kampf für eine demokratische Sozialistische Gesellschaft verbinden.

Mehr Informationen unter:

https://www.daad.de/laenderinformationen/slowakei/land/de/6674-leben-in-der-slowakei/

http://www.statistik.at/web_de/presse/071728

http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/einwanderer-aus-osteuropa-mythos-armutsmigration-1.1854451

http://rundertisch-menschenrechte.at/downloads/NotReisen_Bericht.pdf

http://www.slp.at/artikel/armut-und-%C3%B6sterreichische-konzerngewinne-in-osteuropa-5059

http://www.slp.at/artikel/20-jahre-kapitalismus-in-osteuropa-2663