Mo 01.12.2003
Selbst der Tageszeitung ‚Standard' war die "Trotzkistenhochzeit" einen Artikel wert: In Frankreich haben zwei große Gruppen der sogenannten "extremen Linken", LO und LCR, ein Wahlbündnis für die bevorstehenden EU-Wahlen geschlossen. Die LCR spricht sogar schon von einer neuen antikapitalistischen Partei. Es gibt Hoffnungen, dass dies der Startschuss für eine breite linke
Im Frühjahr und Sommer des Jahres erlebte Frankreich Massenbewegungen gegen Pensionskürzungen und Bildungsklau der Regierung Raffarin. Trotz Großdemonstrationen und Streiks konnten die Angriffe nicht gestoppt werden. Es gab von vielen Menschen den Wunsch nach Generalstreik. Die Führer der wichtigsten Gewerkschaftsverbände (CGT und FO) wichen diesem Druck aus. FO-Chef Blondel argumentierte, man "dürfe" keinen Generalstreik machen, da es dazu eine politische Alternative brauche (die er nicht hat). Vor diesem Hintergrund gewinnen linke Organisationen wie LCR und LO an Sympathien. Viele ArbeiterInnen und Jugendliche sehen LO-LCR als Möglichkeit, ihre Unzufriedenheit auszudrücken. Ein Denkzettel von links wird von ca. 20 % in Erwägung gezogen. Über 10 % könnten LO und LCR als relativ solides Potential für die kommenden Regionalwahlen auf sich vereinen.
Wie gegen die extreme Rechte kämpfen?
Die letzten Präsidentenwahlen haben die Gefahr der rechtsextremen ‚Front National' (FN) klargemacht. Le Pens (FN) damaliger Erfolg fiel nicht vom Himmel: 1995 wurde die Regierung Juppé nach einer dreiwöchigen Streikwelle des Öffentlichen Diensts in die Knie gezwungen. Die Rechte war in der Defensive. In Folge kam 1997 eine sogenannte "pluralistische Links"-Regierung um die PS (‚Parti Socialiste'), KP und Grünen an die Macht. Diese setzte den neoliberalen Kurs unbeirrt fort, was unter großen Teilen der Bevölkerung zur Ablehnung von PS und KP führte. Die Folge waren historische Niederlagen für die PS und vor allem die KP. In der ersten Runde war der Rechtsextreme Le Pen aufgrund der enormen Verluste der PS schließlich sogar zum direkten Gegenkandidat Chiracs aufgestiegen. Ein Ruck ging durch das Land: Le Pen hätte damals durch die Massenbewegungen auf den Strassen ein für alle mal gestoppt werden können. LCR und LO ließen damals - noch dazu nach einem historischen Wahlerfolg ihrer beiden Kandidaten - die Chance für den Aufbau einer neuen Massenkraft verstreichen. Die LCR rief sogar zur Wahl Chiracs auf. Eine Aktivistin von ‚Gauche Révolutionnaire' (CWI in Frankreich) dazu: "Das Dramatische ist, dass LO und LCR so viel Einfluss bei der Gründung einer neuen ArbeiterInnenpartei hätten haben können. Sie hätten jene organisiert, die sich wehren wollten gegen Le Pen und die Politik der PS-Koalition, die großteils für Le Pens Erfolg verantwortlich war."
Perspektiven für eine neue Partei
Noch existiert keine neue Partei für ArbeiterInnen und Jugendliche in Frankreich. Es ist völlig offen, wie weit und in welche Richtung der momentane Prozess vorangetrieben wird. Eine neue ArbeiterInnenpartei müsste neben Antikapitalismus in der Theorie die Frage nach einer konkreten Alternative zur Regierung stellen. Es gibt mehrere Möglichkeiten, wie eine solche neue Kraft aussehen könnte. Eine der wichtigsten Fragen wird sein, ob innerhalb einer breiten Partei eine starke sozialistische Strömung für Sinn und Notwendigkeit einer solchen Position eintreten wird. Ein führendes Mitglied der LCR hat kürzlich in einem Interview gemeint, dass der Gegner der LCR die Regierung sei und nicht die PS. Nun ist die PS zwar derzeit nicht in der Regierung, aber ebenso pro-kapitalistisch. Das eigentliche Problem ist der Kapitalismus, in dessen Interesse die Regierung und die parlamentarische Opposition Politik macht. Es ist möglich, dass rund um das Wahlbündnis LO-LCR unter vielen Menschen und speziell Jugendlichen AktivistInnen der Sozial- und Antikriegs-Bewegungen Begeisterung entstehen kann. Um all diese Menschen auf die kommenden und unausweichlichen Auseinandersetzungen vorzubereiten, sind klare Alternativen nötig.