Wem gehört das Parlament?

Vom ganz legalen „Schmieren“ der PolitikerInnen
Fabian Lehr

In National- und Bundesrat sollen, so die Theorie, die MandatarInnen für das Interesse der Allgemeinheit arbeiten. Tatsächlich stehen sie aber nicht selten in gut bezahlten Diensten einzelner KapitalistInnen. 8.306€ plus bis zu rund 500€ Sonderzahlungen kassieren österreichische Nationalratsabgeordnete für ihre Tätigkeit monatlich (bzw. 14 120€ als Klubobmann/frau). Zum Vergleich: Das durchschnittliche Monatseinkommen der österreichischen Bevölkerung liegt unter 2.000€ pro Mensch und Monat. Man sollte meinen, die auch im internationalen Vergleich üppigen österreichischen Abgeordnetengehälter wären mehr als ausreichend, den ParlamentarierInnen einen komfortablen Lebensstandard zu sichern, der sie in ihrer politischen Tätigkeit unabhängig von anderen GeldgeberInnen macht. Offensichtlich ist dem nicht so - die Mehrheit der Nationalratsabgeordneten bezieht Nebeneinkünfte, die teilweise über ihrem Grundgehalt liegen.

Wenn man sich anschaut, welche Abgeordneten wie hohe Nebenverdienste einstreichen, fällt vor allem ein pikanter Umstand ins Auge: Die VertreterInnen keiner Partei cashen nebenher mehr ab als die der FPÖ, der selbsternannten Partei des "kleinen Mannes". In der höchsten Kategorie der Nationalratsabgeordneten, jener mit Nebeneinkünften über 10.000€ (monatlich), finden sich vier FPÖ-, drei ÖVP- und zwei SPÖ-MandatarInnen. Unter ihnen befindet sich Herbert Kickl, der gern den volksnahen Sprecher der einfachen Leute gibt, der gegen die korrupten und abgehobenen Eliten zu Felde zieht. Mit einem Monatseinkommen von mindestens rund 20.000€ lässt sich anscheinend recht komfortabel für die Interessen der Armen streiten. Johannes Hübner bezieht 7.001-10.000€ unter anderem von einer "Venus Privatstiftung" aber auch aus diversen Funktionen als Gesellschafter und Aufsichtsrats- bzw. Vorstandsmitglied. Aber auch SPÖlerInnen und ÖVPlerInnen lassen sich nicht lumpen, wenn es darum geht, fette Zusatzeinkommen aus der Wirtschaft für die MandatarInnen zu angeln. Die ÖVP macht ihrem Ruf als Raiffeisen-Partei alle Ehre. In der Spitzengruppe mit über 10.000€ monatlichen Extraeinkommen steht Michaela Steinacker auf der Raiffeisen-Gehaltsliste (sowie zumindest zeitweise auch während ihrer Abgeordnetentätigkeit auf der von EVN, Collegialitäts-Versicherungsverein und ARE Austrian Real Estate development GmbH). Dazu kommt Andreas Zakostelsky, der über 10.000€ von einer Valida Holding AG bezieht, die - Überraschung - Raiffeisen und Uniqua Versicherungen untersteht. Hermann Schultes (Kategorie 7.001-10.000€ mtl.) steht ebenfalls auf der Raiffeisen-payroll, ebenso wie Johannes Schmuckenschlager (1.001-3.500€).

Auch die SPÖlerInnen (aka "Partei der Arbeit") lassen sich nichts durch die Lappen gehen. Über 10.000€ monatlich bezieht Johannes Jarolim von der Ells Bank AG, in der Kategorie 7.001-10.000€ finden sich Peter Wittmann (ATB Austria Antriebstechnik AG) oder Christoph Matznetter (Vizepräsident der Wirtschaftskammer, zwei Aufsichtsratsposten, tlws Geschäftsführer der "Merkur Unternehmensbeteiligung" bzw. anderer Firmen). Von den 29 MandatarInnen mit Nebeneinkünften von 7.001-10.000€ monatlich gehören 14 der SPÖ an. Anders als bei der ÖVP, deren MandatarInnen fast durchweg von Privatunternehmen bezahlt werden, ziehen die meisten SPÖ-Abgeordneten ihre Extraeinnahmen aus Parteieinrichtungen (oo Josef Cap aus dem Renner Institut) und den Gewerkschaften. Einige werden allerdings auch von privaten KapitalistInnen gesponsert, so beispielsweise Maximilian Unterrainer (s Real Tirol), Wolfgang Knes (Mondi AG), Franz Kirchgatterer (OÖ Versicherungs AG) oder Harry Buchmayr (Amag Casting GesmbH) oder in der Kategorie 1.001-3.500€ monatlich Markus Vogl (MAN Bus&Truck Österreich AG) oder Anton Heinzl (NAF Werbegesellschaft mbH).

Es ist klar, dass diejenigen GewerkschaftsvertreterInnen, die neben ihrem üppigen Gehalt von der Gewerkschaft auch noch das Abgeordnetengehalt einstreichen, kaum noch einen persönlichen Bezug zur Lebenssituation der ArbeiterInnen entwickeln können, deren Interessen sie doch als GewerkschafterInnen vertreten sollen. Wie sollen ein Rainer Wimmer oder ein Walter Schopf, die neben ihren 8.306€ als Abgeordnete monatlich noch 7.000-10.000 vom ÖGB für ihre Tätigkeit bei der PROGE beziehen, sich noch in die Lage Arbeitsloser oder prekärer ArbeiterInnen hineinversetzen, die nicht wissen, wie sie das Geld für alltägliche Ausgaben zusammenkratzen sollen? Wie fern muss einem Erwin Spindelberger (Monatlich 3.500-7.000€ extra vom ÖGB) die Situation einer arbeitslos gewordenen Zielpunkt-MitarbeiterIn sein, die jetzt nicht mehr den Schulausflug ihrer Kinder bezahlen oder die Kreditraten fürs Auto bedienen kann?

Noch seltener sind "unabhängige" MandatarInnen im Bundesrat (Grundgehalt 3.952€ brutto monatlich): Von den 61 Bundesratsabgeordneten beziehen ganze sieben keine Nebeneinkünfte. An der Spitze steht hier Markus Brunner von der ÖVP, der über 10.000€ monatlich von der OeMag Abwicklungsstelle für Ökostrom AG (!) bezieht. Spitzenreiterin der SPÖ in Sachen Nebeneinkünfte im Bundesrat ist Ilse Fetik, die unter anderem auf der Gehaltsliste der Erste Group Bank AG steht. In der Kategorie 7.001-10.000€ monatlich dominiert die ÖVP, die in dieser Gruppe drei der fünf MandatarInnen stellt (die anderen zwei gehören der SPÖ an).

Man fragt sich bei diesen ganzen Nebenverdiensten – meist sind es gleich mehrere, teilweise ein halbes Dutzend Nebenjobs pro Person! – wie eigentlich das Argument haltbar sein soll, die MandatarInnen müssten ein so üppiges Grundgehalt beziehen, damit man erstens die „besten“ Leute für die Politik statt für die Wirtschaft gewinne, und sie zweitens einen so hohen Arbeitsaufwand hätten. Nur werden in diesem System die „besten“ Leute eben einfach doppelt bezahlt, einmal vom Staat und ein zweites Mal von der Privatwirtschaft. Und so außerordentlich kann die Arbeitsbelastung auch nicht sein, wenn sich noch fünf und mehr Nebenjobs ausgehen.

Diese kleine Auflistung (die unvollständig und vielleicht auch schon wieder unaktuell ist, weil sich die Nebenjobs natürlich auch ändern) zeigt schön, wie weit es in bürgerlich-kapitalistischen Staaten mit der behaupteten "Unabhängigkeit" der ParlamentarierInnen her ist. Der bürgerliche Staat agiert in seiner Politik nicht nur als "ideeller Gesamtkapitalist", der für die Sicherstellung der dem kapitalistischen System nötigen Rahmenbedingungen sorgt, sein höheres politisches Personal steht meistens auch ganz direkt im Lohn einzelner KapitalistInnen, die von ihnen entsprechend loyale Entscheidungen erwarten.

In Deutschland machte erst kürzlich der Fall Stephan Harbarth Schlagzeilen, bei dem sich in besonders krasser Deutlichkeit zeigte, wie solches Lobbying funktioniert. Stephan Harbarth ist CDU-Bundestagsabgeordneter und kassiert als solcher monatlich ca. 13.000€ Abgeordnetengehalt und Sonderzahlungen. Da dieses magere Salär offensichtlich nicht ausreicht, steht er dazu noch im Dienst der Anwaltskanzlei Zutt&Anschütz, die Klienten aus dem Großkapital betreut und Harbarth jährlich über 250.000€ "Nebenverdienst" zahlt. Das Pikante dabei: Einer der Hauptklienten von Zutt&Anschütz heißt VW. Als nun im Bundestag ein Untersuchungsausschuss über die kriminellen Manipulationen von VW bei den Abgaswerten einberufen werden sollte, wurden dessen Zusammentreten verhindert durch die Intervention eines Abgeordneten namens - Stephan Harbarth. Als die LINKE diesen besonders offensichtlichen Fall als Anlass nehmen wollte, eine grundsätzliche Debatte über eine Befangenheitsregelung für Abgeordnete anzustoßen, die über Themen abstimmen, die direkt die Interessen ihrer Geldgeber betreffen, wurde das vom restlichen Parlament abgeblockt.

In Österreich wurde u.a. die Tatsache bekannt, dass ÖVP-Ex-Bundeskanzler und dann Nationalratsabgeordneter allein 2010 knapp 100.000 beim deutschen Energie- (und Atom-)konzern „verdiente“. Meister des sich-was-zahlen-lassen war aber wohl der ehemalige FPÖ/ÖVP-nahe Finanzminister Grasser. In Deutschland wie in Österreich und anderswo bleibt es dabei: Parlamentsabgeordnete, die so abstimmen, wie ihre Geldgeber es sich wünschen, handeln damit völlig legal. Die Unabhängigkeit des bürgerlichen Parlamentariers ist nicht zuletzt die Unabhängigkeit bei der Suche nach dem lukrativsten Sponsor.