Syriens Desaster fordert globale Antikriegs-Bewegung

Welche Zukunft hat der Nahe Osten in einem Kapitalismus, der nur mehr Horror produziert?
Franz Neuhold

In der öffentlichen Debatte zu Syrien wechseln Ohnmacht und Zynismus. So titelt 'Die Zeit': „Syrien ist nicht mehr zu retten“. Die Darstellung des Nahen Ostens ist geprägt von imperialistischer Überheblichkeit und rassistischen Klischees über „un-moderne“ AraberInnen. Dabei sind gerade die Interventionen des Imperialismus verantwortlich für die Katastrophen. Die französische Herrschaft führte in den 1920ern zur Aufsplittung entlang ethnischer und konfessioneller Linien in fünf Rumpfstaaten. Teile und herrsche! Der Unabhängigkeit 1946 folgten Aufschwung in der Textilindustrie und Wachstum der ArbeiterInnenklasse. Starke Gewerkschaften erkämpften mit beachtlichem Tempo den 8h-Tag. Auch prägten soziale Konflikte die Landwirtschaft. Die Lage war explosiv, die Sowjetunion nach dem Weltkrieg gestärkt – also unterstützten die USA den Militärputsch gegen die junge Demokratie.

Die bedeutendsten politischen Kräfte Syriens waren Baath-Nationalismus bzw. Kommunistische Partei. Letztere behauptete in stalinistischer Manier „warten“ zu müssen, bis sich bürgerliche Demokratie und Kapitalismus voll entwickelt haben und wurde in Folge bedeutungslos, und die Baath konnte ab den 60ern ihre Herrschaft festigen. Zwar stützte sie sich auf eine Spielart des schiitischen Islam, dennoch spielte Religion in Syrien keine grundsätzlich andere, dominantere, Rolle als in Europa oder Amerika. Jede Lösung im Nahen Osten braucht einen Umgang mit Religion im folgenden Spannungsfeld: Die Verteidigung des Rechts auf freie Religionsausübung, das Recht, Religion abzulehnen und die Notwendigkeit, dass Religion kein Hindernis im Ringen um sozialen Fortschritt sein darf.

Die aktuelle imperialistische Kriegsführung aber verstärkt religiöse Spaltung. Da die Interventionen imperialistischer und regionaler Mächte immer entlang ethnischer/religiöser Grenzen verlaufen, werden die jeweiligen Opfer dem entsprechenden Fanatismus zugetrieben. Mit Bomben, die laufend die Zivilbevölkerung treffen, wird der IS gestärkt, die Elemente von Ernüchterung und Desertion sogar zurückgedrängt.

Vom Imperialismus ist keine Lösung zu erwarten. Der aktuell organisierteste positive Ansatz ist die kurdische PYD und ihre bewaffneten Einheiten, die einen nicht-ethnischen Kampf zu führen. In die militärische Enge getrieben suchte sie aber nicht das Bündnis mit der internationalen ArbeiterInnenbewegung, sondern setzt auf eine Kooperation mit den US-Streitkräften sowie die Unterstützung Assads. Die Gefahr ist, dass bald auch die PYD/YPG von Teilen der sunnitischen Bevölkerung als Teil der ethnisch-geprägten Kriegsführung gesehen wird. Dies könnte wiederum den IS stärken.

Für den Wiederaufbau Syriens braucht es eine multi-ethnische Kraft mit Massenanhang, die den Weg zu einer sozialistischen Gesellschaftsveränderung zeigt. Das mag auf die Schnelle wenig greifbar klingen, doch kann sich die einzig realistische Chance nur als Folge des Bruchs mit dem Kapitalismus entwickeln. Hier gilt es bei den kämpferischen Traditionen der ArbeiterInnenbewegung in der Region ebenso anzusetzen, wie bei Protesten der jüngsten Zeit: die größten Demonstration seit langem in Afghanistan, die sich gegen den Terror des IS richten. Massenproteste im Libanon, Irak und Kurdistan, die sich ausgehend von sozialen Problemen rasch gegen die korrupten Regierungen richteten und neue Klassenkämpfe in Ägypten. Der Wahlerfolg der linken HDP in der Türkei… Eine neue Welle des arabischen Frühlings ist die beste Grundlage im Kampf gegen den IS.

Und es braucht einen Frieden, der jegliche imperialistischen Ansprüche zurückweist und den Schutz aller Minderheiten umfasst. Eine Voraussetzung dafür ist auch eine internationalistisch ausgerichtete Anti-Kriegs-Bewegung, die genügend Druck auf „ihre“ Regierungen ausüben kann. Der Imperialismus wird diesen Frieden nicht schaffen. Imperialistische Staaten und Konzerne machen Geschäfte mit dem IS und finanzieren ihn so. Die OMV besitzt das größte türkische Öl- und Gasunternehmen, in der Türkei wird ein großer Teil des IS-Öls verkauft. Unternehmen wie die OMV müssen gezwungen werden, die Finanzunterlagen offenzulegen. Falls Geschäfte mit Verbrechern wie dem IS belegt werden, wird die Forderung nach vollständiger Enteignung und Verstaatlichung großen Anklang finden. Bürgerliche PolitikerInnen werden weder die Konten des IS effektiv sperren noch den IS enteignen. Auch dafür braucht es die Kontrolle von VertreterInnen der ArbeiterInnenbewegung. Denn v.a. Gewerkschaften sind gefordert; z.B. mit einer Kampagne gegen Waffenlieferungen und gegen die Zusammenarbeit von Politik und Wirtschaft mit den Regimes in der Region.

Durch Solidaritäts-Arbeit mit den Flüchtenden kann Kontakt mit jenen Menschen aufgenommen werden, die sich, nachdem ihr Überleben in Europa halbwegs gesichert sein wird, für Frieden und gegen die ethnischen Spaltungen einsetzen wollen. Ein jetzt erfolgender Austausch von (sozialistischen) Ideen sowie die gemeinsame Entwicklung einer Strategie von AktivistInnen in Europa und der syrischen Diaspora können zu einem späteren Zeitpunkt in Syrien bzw. den Folgestaaten Goldes wert sein.

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