Internationaler Feministischer Kampftag 2024: “Trauern wir um die Toten und kämpfen wir um die Lebenden!” (Mother Jones)

von Sarah Moayeri

ROSA am 8. März 2024 in Irland

ROSA am 8. März 2024 in Mexiko

"Hier sitze ich nun auf der Straße in einem Zelt, ohne das Nötigste zum Leben. Kein Wasser, kein Strom, keine Toilette, keine sanitären Anlagen. Nichts. Die Frauen in Gaza haben die Hauptlast des Krieges getragen. Unsere Lasten haben sich vervielfacht, und unsere Privatsphäre ist verschwunden. Ich habe vergessen, was es bedeutet, eine Frau zu sein. Ich fühle mich Jahrzehnte älter als mein tatsächliches Alter.” (Nada Abdelsalam in einem Interview mit Al Jazeera, veröffentlicht am 8.3.2024. Ihr Haus wurde bombardiert, sie musste mit ihren Kindern aus einem Flüchtlingslager ins Zentrum des Gazastreifens fliehen.)

Wir sind den diesjährigen internationalen feministischen Kampf mit einem anderen Gefühl von Trauer und Wut und einer anderen Dringlichkeit begangen als sonst - in Gedanken beim anhaltenden Massaker in Gaza an 2.3 Millionen belagerten Palästinenser*innen.

"Ich bin nicht frei, solange noch eine einzige Frau unfrei ist, auch wenn sie ganz andere Fesseln trägt als ich” (Audre Lorde) - Die Bilder und Videos von den Protesten, Streiks und Demonstrationen am 8. März aus der ganzen Welt zeigen immer wieder dieses oder ähnliche Zitate. Sie beziehen sich auf die unerschütterlichen feministischen Kämpfe unter den schwierigsten Bedingungen wie in Afghanistan, Kurdistan, Pakistan, Kenia, Somalia. 

Die Botschaft ist klar: Der Kampf gegen das Massaker, gegen Besatzung, Krieg und Imperialismus und jede Form der Unterdrückung und Ausbeutung weltweit ist integraler Bestandteil der feministischen Bewegung. Diese Bewegung steht an einem entscheidenden Punkt in der Geschichte, zehn Jahre nach den Anfängen von #metoo und „Ni una menos“: Der Aufstieg rechter und rechtsextremer Kräfte und ihre rassistische, queerfeindliche und antifeministische Agenda, zunehmende geschlechtsspezifische Gewalt, Armut, Hunger und soziale Not als Auswirkungen der kapitalistischen Krise.

Die Zehntausenden, die am 8. März auf die Straßen von Buenos Aires strömten, nachdem Ende Jänner schon ein Generalstreik gegen Milei organisiert worden war, forderten unter anderem in ihrem Aufruf “den Kampf gegen Hunger und Kürzungspolitik, die Verteidigung des Rechts auf legale, sichere und kostenlose Abtreibungen, gegen Übergriffe und Macho-Kultur”. Daten der argentinischen Regierung selbst zeigen, dass monatlich 1 Millionen Menschen in die Armut rutschen. Milei hat sich Angriffe auf Abtreibungsrechte ganz zentral auf die Fahnen geschrieben, gerade weil der Kampf um körperliche und sexuelle Selbstbestimmung in den letzten Jahren entschlossen und erfolgreich in einer ganzen Reihe von Ländern geführt wurde.

In Frankreich verankerte die Regierung Macrons aus Angst vor dem angekündigten feministischen Streik am 8. März kurz zuvor “Die Freiheit zur Abtreibung” [nicht das Recht!] in der Verfassung. Ein historischer Schritt, der die Proteste nur befeuerte: Mindestens 90 Initiativen im ganzen Land, weit über 200.000 Menschen, allein 100.000 in Paris, schlossen sich dem Streiktag an, zu dem auch die Gewerkschaften von unten gezwungen worden waren aufzurufen.

In einigen Ländern, so auch in Österreich, fand der 8. März nach schockierenden Fällen von Femiziden und geschlechtsspezifischer Gewalt und Mobilisierungen als Antwort darauf statt. In Italien löste der herzzerreißende Mord an einer jungen Frau namens Giulia Ende 2023 eine riesige Welle von Protesten aus. Die Schwester von Giulia sagte in einem Interview: “Es sind nie ‘krankhafte’ Einzeltäter. Männer, die so etwas tun, sind tatsächlich sehr gesunde Söhne einer patriarchalen Gesellschaft”. 

Dieses System der geschlechtsspezifischen Gewalt erfordert eine systematische Antwort: Das ist bei den 8. März-Demos in Österreich deutlich geworden, die mit geschätzt über 17.000 Teilnehmer*innen, wahrscheinlich die größten Mobilisierungen seit den 70er Jahren, eine entschlossene Antwort, unter anderem auf den Versuch der rassistischen Instrumentalisierung dieser Gewalt waren.

Auf der Wiener Demonstration trugen wir mit ROSA das Banner “Das nennt ihr Gleichberechtigung?!” (Slogan des feministischen Streiks in Island 2023) und “Feministischer Streik! Gegen Rechtsruck, Kapitalismus und jede Unterdrückung”. Die Betriebsversammlungen aus dem Sozialbereich, die am Nachmittag stattfanden und die den Kampf für bessere Arbeitsbedingungen im Care-Sektor mit dem Kampf gegen geschlechtsspezifische Übergriffe und Gewalt verbanden, haben das Potential genau in diese Richtung gezeigt: Der 8. März hat seine Wurzeln in der Geschichte feministischer Streiks und im Kampf um eine sozialistische Gesellschaft, für Brot und Rosen - also nicht nur für das Grundlegendste, was wir zum Überleben brauchen, sondern auch für vollständige Freiheit, für ein Leben in Würde, um es in vollen Zügen genießen zu können.

 

 

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