Die Doppelmoral des Staates

Wie die Demokratie mit Füssen getreten wird
Moritz Erkl

„Das wird man ja noch mal sagen dürfen…“! Dieser Satz scheint heutzutage in aller Munde zu sein. Im bürgerlichen Staat an und für sich kein Problem, wir haben ja schließlich „Meinungsfreiheit“. Ähnlich verhält es sich in der Theorie auch beim Versammlungsrecht, in der Frage der Auslebung der eigenen Sexualität oder schlicht der Wahl des Berufs. All dies steht uns „frei“ zur Verfügung. Muss es ja auch, denn bereits im 2. Artikel der Österreichischen Verfassung steht geschrieben: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“!

Und genau das ist sie nicht. Nicht nur, dass die oben genannten „Freiheiten“ im Kapitalismus mit Füßen getreten werden und Menschen Tag ein, Tag aus nicht von ihnen selbst entworfenen oder beschlossenen „Wert–“ und „Verhaltensregeln“ unterworfen werden, der bürgerliche Staat legt diese Regeln auch immer wieder neu aus. So wie es eben gerade ins Konzept passt. Die vergangenen Wochen waren vor diesem Hintergrund wieder einmal ein Paradebeispiel für die Doppelmoral, die hier gilt.

Viele der Menschen, die gegen Pegida und Burschenschaften auf die Straße gehen, werden kriminalisiert und diffamiert. Repression seitens der Polizei ist allgegenwärtig und (nichtgeahndete) Gewalt von Nazis auch. Der bürgerliche Staat, der von sich behauptet gegen Faschismus vorzugehen, schaut zu. Und geht gleichzeitig oft gegen jene vor, die versuchen, die rechten Hetzer (und oft auch Schläger) zu stoppen. Während in rechten Kreisen offen auf der Straße Hitler- und Kühnengrüße gezeigt werden, MigrantInnen und linke AntifaschistInnen sich nicht mehr sicher durch die Wiener Innenstadt bewegen können (alles während der Proteste gegen Pegida) steht eine Hundertschaft von PolizistInnen daneben und „deeskaliert“: nicht. Auf Hilfegesuche von Opfern der rechten Gewalt wurden nicht reagiert, rechten „Recken“ wurde die Straße überlassen. Bei AntifaschistInnen reicht teilweise schon das Tragen einer Sonnenbrille als Vorwand, um zu kesseln, einzuschüchtern und Personalien aufzunehmen.

Diese Beispiele zeigen anschaulich, auf wessen Seite die etablierten Parteien, die Konzernchefs und Bankenvorstände, die Finanzhaie und ihre Lakaien stehen: nicht auf jener der arbeitenden Bevölkerung (und schon gar nicht wenn sie migrantischen Background hat!), sondern auf jener des Kapitals (das von der Spaltung in "In-" und "Ausländer" profitiert). So sehen sie keinen Nutzen in der Verteidigung demokratischer Rechte, im konsequenten Kampf gegen Arbeitslosigkeit (wie es nur durch eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich erreicht werden kann), im Schützen der „Würde des Menschen“. Während verbal in den Medien oft große Töne gespuckt werden (auch das immer seltener) wird der moralische Standpunkt der Bürgerlichen spätestens auf der Straße, im Betrieb oder in der Schule sonnenklar. Der laufende Abbau demokratischer Rechte durch die Herrschenden (oft unter dem Vorwand der "Terrorbekämpfung") dient v.a. zum Schutz der Interessen und der Reichtümer der herrschenden Klasse.

Profit schlägt Moral, Moral wird sehr selektiv. Als MarxistInnen ist uns schon lange klar, dass Moral stets eine Frage von sozialen und Klasseninteressen ist. „Eine Moral über den Klassen führt unvermeidlich … zur Anerkennung von irgendetwas Absolutem,… Solche Vorschriften existieren unzweifelhaft, aber ihr Aktionsradius ist äußerst begrenzt und unstabil. Je schärferen Charakter der Klassenkampf annimmt, desto wirkungsloser werden die Normen, die 'für alle bindend sind'.” (Leo Trotzki, „Ihre Moral und unsere“).

Nun wird über Demonstrationsverbote für Pegida-Aufmärsche nachgedacht. Dieselben Parteien, die verantwortlich für die Abschiebung von Flüchtlingen sind und über Koalitionen mit der FPÖ nachdenken, wollen nun diese Aufmärsche verbieten. Ja, die Pegida-Aufmärsche gehören gestoppt. Doch ein scheinheiliges Verbot wird solche Aufläufe von Rechtsextremen nicht verhindern. Nicht vergessen werden darf auch, dass die Regierung Maßnahmen, die sie gegen "Kriminelle" oder "Rechte" erlässt, dann oft binnen kürzester Zeit gegen AntifaschistInnen verwendet (so wie bei der Demonstration von NOWKR bereits geschehen). Der Kampf gegen antimuslimischen Rassismus, Sexismus, Homophobie und Kapitalismus kann nur durch die große Mehrheit der Menschen, durch die ArbeiterInnenklasse geführt werden. Moralische Appelle des bürgerlichen Staates ändern daran nichts. Pegida & Co. gehören gestoppt: Durch Massenmobilisierungen von Linken, AntifaschistInnen und insbesondere aus der ArbeiterInnenklasse und Gewerkschaftsbewegung. Ob man etwas sagen darf oder nicht, entscheiden im Kapitalismus nicht wir. Dieses Recht müssen wir uns erkämpfen!