Crunch ist kein Spiel!

In der schönen neuen Welt der Videospielindustrie wächst der Widerstand gegen die Arbeitsbedingungen.
Moritz Erkl

Ein Rekord jagt den nächsten: Videospiele, ganz gleich ob auf der Konsole oder am PC, sind längst den Lan-Parties jugendlicher Kinderzimmer entwachsen. Ganz gleich ob im „Core-Gaming“ (GTA5 hat sechs Milliarden Dollar eingespielt) oder auf den Smartphones dieser Welt. Parallel dazu wächst logischerweise auch die Gameindustrie. So hatte die Spieleschmiede „Sony Group“ zu ihren höchsten Zeiten 180.500 Beschäftigte, große Publisher wie Electronic Arts, Ubisoft, Activision-Blizzard oder Rockstar unterhalten global dutzende Studios.

Wenig verwunderlich kommt es so in regelmäßigen Abständen zu Berichten über die Horrorzeit des „Crunch“ wie z.B. aktuell bei Rockstar kurz vor der Fertigstellung des Mega-Hits Red Dead Redemption 2. Als Crunch bezeichnet man jenen Zeitraum vor der Veröffentlichung oder dem Erreichen eines wichtigen internen Meilensteins, in welchem noch besonders effektiv an dem Produkt gearbeitet wird. Um die letzten Stellschrauben zu optimieren, die letzten „Bugs“ zu „fixen“ und das Spiel zu „polishen“, werden die Beschäftigten zu 60-100 Wochenstunden gebeten, gedrängt und im schlimmsten Fall genötigt. Dies kritisierte beispielsweise ein Brief von Lebensgefährt*innen von Rockstarentwickler*innen, die ihre Angehörigen wochenlang nicht zu Gesicht bekamen. Ein ehemaliger Mitarbeiter von Rockstar-Vienna erinnert sich: "Crunchen heißt, das eigene Leben unter das notwendige Mimimum zu drücken: Nebenbei essen & trinken, wenig schlafen. Mehr nicht. Am Ende sitzt du da und schaust eine Wand an."

Basis dieser Ausbeutung ist der sogenannte „horizontale“ Arbeitsplatz. Die dem Kapitalismus innewohnenden Grenzen zwischen den Eigentümer*innen und den Angestellten einer Firma werden durch modern klingende Schlagworte (Teamleiter*in, Partner*in, etc…) verschleiert. Die Leidenschaft der Beschäftigten für ihr Produkt wird ausgenutzt, um sie noch effektiver auszubeuten.

Zu Recht regt sich hier Widerstand. So haben sich bereits in den USA, Australien und Europa lokale Ortsgruppen der Basisgewerkschaft „Game Workers Unite“ (GWU) gegründet. Die international vernetzten Gruppen greifen lokale Kämpfe auf, unterstützen Streiks in der Computerspielindustrie und bekämpfen die tagtägliche Ausbeutung der Beschäftigten. Dabei stellen sich ihre Aktivist*innen auch klar gegen reaktionäres Gedankengut und sind aktiv gegen Sexismus, Rassismus und Homophobie in der stark männerdominierten Branche. Widerstand zahlt sich aus: Die Synchronsprecher*innen der „Screen Actors Guild“ haben über ein Jahr gegen elf Unternehmen gestreikt. 2017 erkämpften sie transparentere Gehaltsverhandlungen und das Recht auf Bonuszahlungen. Anders als der CEO von CD Projekt RED (The Witcher), Marcin Iwiński kundtut, ist Crunch kein „notwendiges Übel“, es ist ein kapitalistisches. Die Organisierung der Beschäftigten in GWU kann ein erster Schritt dagegen sein. Abschaffen lässt sich Crunch jedoch nur, wenn wir es mit dem Endboss aufnehmen – dem Kapitalismus.

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