#boymath: Männer in der Krise?

von Christoph Glanninger

Am 23.2. wurden innerhalb von 24 Stunden 5 Frauen durch Männergewalt ermordet - insgesamt sind 84% aller Tatverdächtigen bei Morden an Frauen Männer. Anfang des Jahres zeigte eine Studie der “Financial Times" eine Kluft zwischen Männern und Frauen in der Gen Z in verschiedensten Ländern - die Tendenz: Junge Männer gehen nach rechts, junge Frauen nach links. Das Gleiche zeigt sich auch bei Phänomenen wie dem TikToker Andrew Tate oder bei Wahlen. Aber es gibt eine wachsende Schicht von Männern, die daraus ausbrechen wollen und ihr Verhalten und ihre Sozialisierung hinterfragen. Bücher, die eine feministische Auseinandersetzung mit der eigenen Männlichkeit liefern, werden neu entdeckt - z.B. die neue deutsche Übersetzung von bell hooks’ “Männer, Männlichkeit und die Liebe”. Das alles zeigt die Notwendigkeit einer sozialistisch feministischen Auseinandersetzung mit Männlichkeit und was diese für unseren Kampf gegen jede Unterdrückung bedeutet. 

Männlichkeit im Kapitalismus

Die Gewalt und ein gewisser Rechtsruck unter Männern hängen mit dem dominierenden Männerbild zusammen. Hier macht bell hooks viele wichtige Punkte und arbeitet heraus, wie Männern von Kindheit an durch Familie, Gesellschaft und Medien beigebracht wird, Stärke zu zeigen, keine anderen Emotionen außer Wut zuzulassen und wie sich das in Gewalt entlädt. Dabei ist es auch wichtig zu betonen, dass dieses Männerbild nicht klassenneutral, sondern ein bürgerlich-kapitalistisches Ideal ist. Es ist das Ideal von einem männlichen Versorger, der wirtschaftlichen Erfolg hat und alleine die Familie ernähren kann. Auch heute sieht man bei Andrew Tate und seinen Sportwagen wie eng die Propaganda von Männlichkeit mit kapitalistischer Propaganda von Erfolg, Reichtum, Konkurrenz verbunden ist. Für die meisten Männer aus der Arbeiter*innenklasse (und vor allem für die nicht weißen Teile) war dieses Ideal aber nie realistisch, weil sowohl Männer und Frauen arbeiten mussten und dort brutaler Ausbeutung ausgesetzt waren. Gleichzeitig haben Frauen und Queere Personen in den letzten Jahrzehnten durch die feministische Bewegung, durch eine größere Beteiligung am Arbeitsmarkt  und höhere Bildungsabschlüsse an Selbstvertrauen gewonnen und lassen sich dieses sexistische System immer weniger gefallen. Sie werden dadurch aber auch als Konkurrent*innen am Arbeitsmarkt wahrgenommen (obwohl Gender Pay Gap und Co. zeigen, dass es bei weitem keine gleichen Chancen gibt). In diesem Widerspruch führt die kapitalistische Krise zu einer Krise der Männlichkeit. Männer merken, dass sie das Ideal männlicher Rollenbilder nicht erfüllen können und eben nicht der Boss in ihrem eigenen Leben sind. Dieser Widerspruch entlädt sich in Frustration, Depression oder sogar Gewalt gegen andere oder sich selbst. Es ist kein Zufall, dass in Zeiten kapitalistischer Krisen Femizide und Gewalt ansteigen. Gleichzeitig bauen Andrew Tate, FPÖ und Co. genau darauf auf und verstärken diesen Trend auch noch mit ihrer reaktionären Ideologie. 

Männer und Feminismus

Männer haben in diesem Sinn eine große Verantwortung im Kampf gegen männliche Gewalt und tatsächlich, im Gegensatz zur Propaganda der Rechten, durch feministische Politik auch selbst viel zu gewinnen. bell hooks beschreibt, wie wichtig es für die persönliche Entwicklung von Männern sein kann, toxische männliche Sozialisierung zu überwinden, sich emotional zu öffnen und echte Verantwortung für die eigenen Gefühle und Menschen im eigenen Umfeld zu übernehmen. Und das Interesse von Männern an der feministischen Bewegung geht noch deutlich weiter: Es ist dasselbe sexistische System, das zu der Epidemie von Femiziden führt, das Männer zu Tätern macht, immer mehr Menschen in die Armut stürzt und unseren Planeten zerstört. Ein gemeinsamer Kampf für Systemveränderung - auf den bell hooks leider nicht wirklich eingeht - benötigt den Kampf gegen Sexismus und Queerfeindlichkeit innerhalb der Arbeiter*innenklasse. Dabei ist es auch die Aufgabe von männlichen Sozialisten, Gewerkschaftern und Aktivisten, die Auswirkungen unserer Sozialisierung zu hinterfragen - im Interesse unseres Umfeldes, im Interesse von uns selbst - aber vor allem, um den Kampf gegen dieses unterdrückende und ausbeuterische System gemeinsam aufzubauen.

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