Perspektiven für Wirtschaft und Politik in Österreich 2014/2015

Dokument beschlossen auf der Konferenz der Sozialistischen LinksPartei im Oktober 2014

Der Kapitalismus dominiert und kontrolliert unser aller Leben - zum Nutzen Weniger, zum Schaden Vieler!

Die Wirtschaftskrise, die 2007/8 begonnen hat, prägte die vergangenen Jahre und wird das auch in Zukunft tun. Österreich ist Teil der Weltwirtschaft, der europäischen Wirtschaft und des Kapitalismus - eines Systems, das aufgrund seiner inneren Widersprüche immer wieder zu Krisen führt. Die Krise von 2007/8 war kein vorübergehender Einbruch, sondern eine tiefgreifende, systemische Krise, mit letztlich auch dramatischen politischen Folgen. Das Dogma von der Überlegenheit des Kapitalismus ist längst gebrochen. Tatsächlich ist die politisch relativ ruhige Periode, die auf den Zusammenbruch des Stalinismus folgte, spätestens seit der Jahrtausendwende vorbei. Proteste brechen immer wieder an unterschiedlichen Punkten der Welt auf. Oft geht es anfangs um scheinbar nebensächliche Fragen oder spezielle Themen. Die Proteste werden dann aber rasch zu grundlegenden politischen Konflikten, die die Herrschaft der jeweiligen politischen Elite erschüttern und das dahinter stehende kapitalistische System zumindest in Frage stellen (z.B. Acta, Jugendarbeitslosigkeit in Tunesien, Occupy, Gezi-Park). Die Krise ist nicht nur nicht vorbei, wir sind im besten Fall mit einer langanhaltenden Stagnation konfrontiert. Immer wahrscheinlicher wird ein weiterer Einbruch der Wirtschaft mit dramatischen sozialen und politischen Folgen.

Aber weil diesen Bewegungen die Führung fehlt, sie weder eine klare Strategie noch ein Programm haben, sehen wir auch das Wachstum rechter und reaktionärer Kräfte und Nationalismus. Das gibt Kapital und Imperialismus die Chance, ihre Interessen durchzusetzen.
Österreich ist von diesen Bewegungen noch nicht voll erfasst. Doch auch hierzulande ist das Vertrauen in das politische Establishment und das Wirtschaftssystem erschüttert, die Stimmung hat sich in den letzten Jahren grundlegend geändert. Überall spürt man unter der Oberfläche die Wut und den Frust über die herrschenden Missstände und die Arroganz und Unfähigkeit der Herrschenden. Und diese Entwicklung wird sich noch intensivieren. Ob sich endlich eine relevante Linke auch in Österreich entwickelt, wird dafür ausschlaggebend sein, wo und wie sich der wachsende Unmut zeigt. Zur Zeit ist die FPÖ die zentrale Kraft, die vom Unmut profitiert. Doch das ist kein Naturgesetz. Viele internationale und historische Beispiele zeigen, dass die zunehmende Radikalisierung in der Gesellschaft auch zur Zunahme linker und sozialistischer Ideen führt. Erfolgreiche Offensivkämpfe für 15 Dollar Mindestlohn in den USA, die Massenproteste in Brasilien, die Klassenkämpfe in Südafrika - all das sind Beispiele dafür, dass die ArbeiterInnenklasse auch trotz massiver Propaganda und Repression ihren Kopf erhebt und kämpft. Auch in Österreich müssen wir uns auf stürmischere Zeiten vorbereiten; die letzten Jahre waren bereits etwas bewegter als die Vergangenheit, doch größere Kämpfe sind noch ausgeblieben. Der Grund dafür ist nicht der fehlende Wunsch nach Veränderung, sondern die fehlende politische Kraft, die diesem Wunsch auch organisierten Ausdruck verleiht. Die SLP sieht ihre Aufgabe nicht nur darin, Ereignisse zu kommentieren, sondern Teil der kommenden Bewegungen und Kämpfe zu sein, Vorschläge für Programm und Strategie einzubringen und so zum Wiederaufbau der ArbeiterInnenbewegung beizutragen.

Wirtschaftlicher Rahmen

Österreich ist Teil der kapitalistischen Weltwirtschaft und erlebt alle Höhen und Tiefen entsprechend mit. Die 2007 begonnene Krise ist nicht vorbei: Das ist der zentrale Punkt aller wirtschaftlichen Analysen und muss immer mitbedacht werden. Die SLP und das CWI haben sich in zahlreichen Dokumenten mit der Situation der Weltwirtschaft beschäftigt. Hier ist nicht der Platz, um diese Punkte zu wiederholen, wir verweisen aber auf Texte auf ww.slp.at bzw. www. socialistworld.net.

Glaubt man der Propaganda der Regierung, ist die wirtschaftliche Situation in Österreich im Vergleich zu anderen Ländern besser. Das ist nichts anderes als ein Versuch der Beschönigung durch einen Verweis darauf, dass es woanders noch katastrophaler ist. Die tagtägliche Lebensrealität passt immer weniger zur Wohlfühlpropaganda der Herrschenden - und das macht wütend. Tatsächlich befürchten 2/3, dass es der kommenden Generation schlechter gehen wird (Generali-Umfrage August 2014).

Die noch relativ besseren Wirtschaftsdaten liegen aber nicht in einer besonders guten Wirtschaftspolitik der Regierung, sondern haben im Wesentlichen zwei Gründe: erstens die starke Verflechtung der heimischen mit der deutschen Wirtschaft (v.a. durch Exporte), die noch relativ stark ist. Zweitens wurde der Sozialabbau von einem relativ hohen Level aus begonnen (das die ArbeiterInnenbewegung v.a. in den 1950er bis 70er Jahren erreicht hatte). Da dauert es einfach länger, bis man unten ankommt.

Der Prozess der Deindustrialisierung findet auch in Österreich statt - seit dem Jahr 2000 ist die Zahl der IndustriearbeiterInnen um 8 % zurückgegangen; betroffen waren davon bisher eher die schlechter bezahlten und weniger qualifizierten Industriejobs (mit höherem Frauenanteil) in den Bereichen Elektro- und Textil- bzw. Bekleidungsindustrie. Umstrukturierungen, Flexibilisierungen bei der Arbeitszeit und geänderte Beschäftigungsverhältnisse (Stichwort „Neue Selbstständige“) haben keine neuen Jobs geschaffen, sondern bestenfalls existierende verschlechtert. Dieser Trend wird sich durch Einbrüche bei den Exporten beschleunigen und auf die männerdominierten und besser bezahlten Bereiche wie Maschinenbau und Autozulieferung ausdehnen und zu Personalabbau und auch Werksschließungen führen. Die Schließung auf Raten beim Papiermaschinenhersteller KBA, Personalabbau und Kurzarbeit bei MAN, zeigen, wohin die Reise geht. Die Gewerkschaft steht dieser Entwicklung hilflos gegenüber, da sie keine Kampfstrategie und keine politische Perspektive hat. Sie ist daher nicht in der Lage, die Kampfbereitschaft, die es in den Belegschaften durchaus gibt, zu bündeln und offensive Forderungen zu stellen (z.B. Übernahme der Betriebe durch die öffentliche Hand und Weiterführung der Produktion unter Kontrolle und Management der Beschäftigten), sondern beschränkt sich auf moralische Appelle und zahnlose Proteste und setzt auf Sozialpläne. Auch wenn der Anteil der Beschäftigten in der Industrie (11 %) bzw. in Großbetrieben - 47,7 % aller Beschäftigten arbeiten in Betrieben mit mehr als 100 Beschäftigten, rund 40 % aller Beschäftigten im Bau-, Bergbau- und Industriesektor in Betrieben mit über 250 Beschäftigten - verhältnismäßig gering ist, kommt ihnen doch eine überproportionale Bedeutung für Stimmung und Bewusstsein der ArbeiterInnenklasse zu. Kämpfe in diesen Bereichen treffen das Kapital härter, sind leichter zur organisieren, werden von in der Regel selbstbewussteren und auch klassenbewussteren ArbeiterInnen durchgeführt und haben mehr Chancen auf Erfolg. Die SLP beobachtete die Entwicklungen in der Industrie daher mit besonderem Interesse und unterstützt jeden Protest gegen Kündigungen, Schließungen bzw. rund um Lohnfragen aktiv.

Seit Jahren sehen wir eine ähnliche Entwicklung: Die verschiedenen Wirtschaftsforschungsinstitute geben eine relativ optimistische Prognose ab, müssen diese dann aber im Laufe der Zeit wieder nach unten korrigieren. Das liegt nicht nur an ihrem Nicht-Verstehen politisch-ökonomischer Zusammenhänge, sondern auch an ihrer Propagandafunktion für die herrschende Klasse. Aussagekräftiger sind da im Regelfall die Untersuchungen über Stimmung und Erwartungen der Unternehmen. Hier sticht in den letzten Jahren die schwache, oft sogar rückläufige, Investitionstätigkeit der heimischen Unternehmen hervor. Auch im Bausektor (und zwar auch im Nicht-Wohnbau) gingen die Investitionen seit 2009 um real 1 % zurück. Die Konjunkturpakete der Regierung dienten v.a. der Propaganda, haben aber real wenig bewirkt. Ein weiteres Indiz für die pessimistischen Perspektiven ist die Tatsache, dass die Banken bei der Kreditvergabe vorsichtig sind - offensichtlich weil sie davon ausgehen, dass ihre Rückzahlung fraglich sein könnte. Bemerkenswert dabei, dass gerade die Kreditvergabe an Großbetriebe restriktiver wird. Ein weiteres Indiz ist die "sinkende Zahlungsmoral", also das verspätete Begleichen von Rechnungen. Am meisten Zeit lässt sich dabei übrigens die Öffentliche Hand. All das spiegelt schon existierende Probleme bzw. die düsteren Erwartungen der Unternehmen wider, die im Gegensatz zum Schönreden von Regierung und "ExpertInnen" stehen. Die SLP weist seit Jahren auf die wackelige Basis der heimischen Wirtschaft hin. Das ständige Nach-unten-Korrigieren der Prognosen gibt uns recht.

Ein weiterer potenzieller Krisenherd ist das Bankenwesen. Österreich ist trotz seiner Kleinheit und dem Fehlen einer großen Armee ein imperialistisches Land. Das drückt sich u.a. im starken Engagement österreichischer Banken in Südost- und Osteuropa aus. Seit dem Zusammenbruch des Stalinismus haben die heimischen Banken (im internationalen Schnitt überproportional) den Finanzsektor der jungen kapitalistischen Staaten entdeckt, um jenes überschüssige Kapital, das aufgrund der kapitalistischen Widersprüche im Westen brach lag, zu investieren. In den wenigsten Fällen wurde das Geld zum Aufbau einer eigenen Wirtschaft in diesen Staaten verwendet. Viel Geld floss in Korruption, Prestigeprojekte bzw. in Konsumkredite zum Kompensieren fallender Löhne. Da in Südost- und Osteuropa aber eben keine funktionierenden, stabilen, eigenständigen, kapitalistischen Ökonomien aufgebaut wurden, kriselt es dort gewaltig. Mit allen Konsequenzen für das österreichische Bankensystem. Eine Reihe heimischer Banken ist von den Zusammenbrüchen bzw. der Häufung fauler Kredite in diesen Ländern betroffen. Die Hypo war hier nur der Anfang. Die teilverstaatlichte Volksbanken AG muss in Folge der rumänischen Bankenkrise herbe Verluste hinnehmen. Ergänzt werden kann das durch künftige Probleme von Raiffeisen bzw. RBI in Folge des starken Engagements in Russland. Die Kosten sollen wohl in Folge wieder den SteuerzahlerInnen umgehängt werden. Zu den hohen Folgekosten der Hypo nun wohl auch jene der ÖVAG und evtl. der RBI auf uns zukommen.

Insgesamt sind auf dem heimischen Bankensektor größere Umbauten zu erwarten (Fusionen, Übernahmen, Ausgliederungen etc.), die auch mit negativen Folgen für die Beschäftigten verbunden sein werden, wie Stellenabbau oder Zwangswechsel in einen schlechteren KV (wie bei der Bawag, die aber vom ÖGB noch immer als "unsere Bank" hofiert wird). Im Bankensektor gab es schon in den letzten Jahren immer wieder Proteste bei den KV-Verhandlungen, mehr ist hier also zu erwarten. Wir werden - wie in den meisten Bereichen der Wirtschaft - wieder mit einer Propagandawelle über die angeblichen Privilegien der Bankangestellten zu rechnen haben. Hier ist es - abgesehen davon, dass die jüngeren Bankbeschäftigten längst nicht mehr soviel besser gestellt sind - notwendig, wie bei jeder Debatte über angebliche Privilegien von Beschäftigen darauf hinzuweisen, dass die Probleme in einem Wirtschaftsbereich nicht an besseren Arbeitsbedingungen liegen, sondern letztlich systemimmanent sind und bessere Arbeitsbedingungen für alle das Ziel sein müssen, und nicht eine Anpassung nach unten.

Ein weiteres Problem der heimischen Wirtschaft ist die schwache Inlandsnachfrage. Dazu gehören nicht nur die niedrigen Investitionen, sondern auch der schwache Konsum. Einmal mehr zeigt sich daran die Widersprüchlichkeit des Kapitalismus. Der ständige Druck auf Arbeitszeiten und Löhne zur Erhaltung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit führt zu steigender Arbeits-losigkeit und sinkenden Löhnen und damit zum Konsumrückgang und damit dann wieder zu Problemen für die Wirtschaft. Armut, Verschuldung, steigende Preise und Mieten sind ständig wiederkehrende Themen. Die Strategie der Gewerkschaft, an Regierung und Unternehmen zu appellieren, die Löhne zu erhöhen, um "die Kaufkraft" zu steigern, funktioniert nicht. Erstens hat die Krise ihre Ursachen eben nicht nur in einer sinkenden Kaufkraft, zweitens wird jeder Unternehmer das Argument natürlich unterstützen, aber nicht für den eigenen Betrieb, der muss ja konkurrenzfähig bleiben. Für die Beschäftigten aber hat diese Argumentation auch eine weitere negative Signalwirkung: ihr Lebensstandard wird als Instrument zur Wirtschaftsankurbelung präsentiert, nicht als Menschenrecht, mit dem sich die ArbeiterInnenklasse ohnehin nur einen kleinen Teil der von ihr erschaffenen Werte zurückholt Die SLP unterstützt jede Forderung und jeden Kampf für höhere Löhne - weil es die Beschäftigten sind, die die Werte schaffen und die ArbeiterInnenklasse das Recht auf ein "Einkommen zum Auskommen" hat! Und weil diese Kämpfe auch ein Zusammenbringen und ein Ansatzpunkt für den Aufbau einer organisierten gewerkschaftlichen Opposition sein können.

Arbeitslosigkeit ist eines der zentralen Probleme der österreichischen ArbeiterInnenklasse. In immer kürzeren Abständen gibt es Berichte über neue Negativrekorde: höchste Arbeitslosigkeit seit 1945; höchste Jugendarbeitslosigkeit; höchstes Wachstum der Arbeitslosigkeit; höchste Anzahl von Menschen in Schulungen etc. Betroffen sind auch - trotz des "Facharbeitermangels" - Beschäftigte in der Industrie (so stieg z.B. die Arbeitslosigkeit im Maschinenbau im Jahresvergleich um fast 23 %). Frauen wie Männer, Jung wie Alt: Arbeitslosigkeit wird zum Massenphänomen. Von der Politik getroffene Maßnahmen und Lösungen helfen bestenfalls vorübergehend - so wurde z.B. die Alpine-Krise letztlich nicht aufgefangen. So steigt die Arbeitslosigkeit am Bau nun mit Verzögerung, aber im Jahresvergleich um weit über 15 %. Bemerkenswert auch der Anstieg der Arbeitslosigkeit im Sommer, wo die Beschäftigung am Bau höher ist. Ein Warnsignal ist der Anstieg bei der Verweildauer in der Arbeitslosigkeit. Über 110 Tage ist der/die durchschnittliche Arbeitslose ohne Job, viele fallen letztlich aus der Statistik, weil sie sich erst gar nicht melden oder nicht mehr bereit sind, die immer härteren Schikanen zu akzeptieren. Die Chance, einen Job zu finden, ist gering, kommen doch auf jede beim AMS gemeldete offene Stelle 13 arbeitslos gemeldete Personen (August 2014). Interessant auch die Entwicklung, dass Ausbildung nicht vor Arbeitslosigkeit schützt. Der relative Anstieg der Arbeitslosigkeit von Menschen mit hohem Ausbildungsniveau lag mit Sommer 2014 über dem Anstieg der Arbeitslosigkeit von Menschen, die nur einen Pflichtschulabschluss haben. Weil es mehr Menschen mit niedrigem Ausbildungsniveau gibt, werden hier auch in absoluten Zahlen mehr arbeitslos, aber der Prozentsatz von arbeitslosen Menschen mit hohem Ausbildungsniveau steigt stärker als jener von Menschen mit niedrigerem Ausbildungsniveau. Angesichts dieser Zahlen sind alle Vorstöße in Richtung Verlängerung der Arbeitszeit, Anhebung des Pensionsantrittsalters bzw. verstärkter Repression gegen Arbeitslose offensichtlich als reine Kürzungsmaßnahmen zu werten - durch Mehrleistung der Beschäftigten sollen die Profite der Unternehmen erhöht werden, durch Repression gegen Arbeitslose sollen diese aus dem ohnehin niedrigem Bezug gedrängt werden. Jobs wurden und werden mit diesen Maßnahmen keine geschaffen.

Alles in allem eine weitere Bestätigung der Analyse der SLP, dass die österreichische Wirtschaft alles andere als stabil ist. Der genaue Verlauf kann nicht vorhergesehen werden, doch eine lange Stagnation, aber auch plötzliche Einbrüche sind mögliche Szenarien mit all ihren negativen Folgen für die ArbeiterInnenklasse. Die VertreterInnen der herrschenden Klasse, die Regierung und Institutionen wie Wirtschaftskammer (WKÖ) und Industrieellenvereinigung (IV) versuchen hier, gegenzusteuern. Doch sie stehen vor den selben Problemen, wie sie auch bei den diversen Krisengipfeln auf europäischer und internationaler Ebene deutlich werden: Das Kapital türmt sich mit jeder Rettungsmaßnahme schon die nächsten Probleme auf, weil eben die zugrundeliegenden Widersprüche bestehen bleiben. Pumpt die Öffentliche Hand Geld in die Wirtschaft, um diese anzukurbeln oder auch nur aufzufangen, wird die Staatsverschuldung erhöht. Durch die zwangsweise nachfolgenden Veränderungen beim Rating steigen die Zinsen, die Zinslast wird noch höher, und zahlen soll das die ArbeiterInnenklasse. Wird ein Sparkurs angesetzt, um die Schulden zu reduzieren, lähmt das die Wirtschaft weiter - und zahlen soll auch das die ArbeiterInnenklasse.

Als weiterer Unsicherheitsfaktor kommt die offene Frage der Zukunft des Euro. Ein Ausstieg Österreichs aus dem Euro ist unwahrscheinlich und würde an den Problemen der heimischen Wirtschaft auch nichts ändern. Die aus der FPÖ und von diversen rechten (aber auch linken) Schilling-Nostalgikern geforderte Rückkehr zum Schilling würde an keinem der der Krise zugrunde liegenden Problemen etwas ändern und ist damit auch nur eine vermeintliche Lösung. Sehr wohl möglich ist allerdings ein Zusammenbruch des Euro in der jetzigen Form und das Überbleiben eines Kerneuroraumes rund um Deutschland (und damit auch Österreich), die Beneluxstaaten und einiger weiterer Länder. Ein solcher Prozess könnte die Reaktion von Staaten wie Italien, Griechenland, Spanien und eventuell auch Frankreich auf die sich weiter zuspitzenden Widersprüche zwischen den verschiedenen europäischen Kapitalfraktionen sein. Ein solcher Prozess hätte natürlich Auswirkungen auf die österreichische Wirtschaft, insbesondere die Exporte, weil dann die Exporte von Konkurrenten billiger werden könnten, wenn deren Mutterländer aus dem Euro ausscheren und die Währung abwerten. Doch abgesehen von davon findet ein solcher Prozess dann statt, wenn die Krise insgesamt zuschlägt, d.h. die österreichische Wirtschaft wäre nicht nur von der dann billigeren Exportkonkurrenz getroffen, sondern v.a. auch den Auswirkungen der Krise insgesamt.

Auch in Österreich sehen wir das Lavieren zwischen den verschiedenen Taktiken des Kapitals beim Versuch, auf die Krise zu reagieren. Da werden neben Kürzungen und Angriffen auf den Lebensstandard der ArbeiterInnenklasse Maßnahmen zur Stimulierung der Nachfrage angekündigt und gefordert. Die teilweise widersprüchlichen Maßnahmen (wobei jene zur Nachfragesteigerung ohnehin eher im propagandistischen Ankündigungsbereich bleiben) zeigen sowohl die Unsicherheit der herr-schenden Klasse über etwaige wirkungsvolle Schritte als auch den Druck, unter dem die Regierung steht. In den letzten Jahren haben wir bei den Kürzungsmaßnahmen eine Salamitaktik (scheibchenweise, ein bissi hier, ein bissi dort) gesehen, was verallgemeinerte Proteste erschwert hat. Die regelmäßig wiederkehrende Hetze von Regierung und Medien gegen angeblich "privilegierte" Beschäftigtengruppen hat das noch verstärkt. Doch die Frage ist, ob bei einem "Triple Dip", also einem neuerlichen Eintreten der österreichischen Wirtschaft in die Rezession, nicht tiefgreifendere und v.a. umfassendere Angriffe auf den Sozialstaat, die Rechte von Beschäftigten und ihre Familien zu erwarten sind. Der neue Finanzminister Schelling steht für einen aggressiveren - auch offensiver gegen die Gewerkschaften und die Sozialpartnerschaft  gerichteten - Kurs. Angriffe sind hier in den kommenden Monaten zu erwarten. Die Regierung ist bestrebt, generalisierte Angriffe bis nach die nächsten Wahlen - insbesondere jenen in Wien und der Steiermark - hinauszuzögern bzw. diese auf die Ebene der Länder und Gemeinden zu verlagern. Die dramatischen Sozialkürzungen in der Steiermark haben gezeigt, was auch in anderen Bundesländern zu erwarten ist. Aber die Entscheidung darüber, ob oder eher wann Generalangriffe aus kapitalistischer Sicht notwendig sind, hängt v.a. von der wirtschaftlichen Entwicklung ab. Die Regierung wird den von der Wirtschaft als "unbedingt notwendig" erklärten Maßnahmen kaum etwas dagegenhalten, populistischer Widerstand ist nicht zu erwarten, da die Parteien letztlich als verlängerter Arm der Wirtschaftsinteressen agieren.

Doch generalisierte Angriffe können auch generalisierten Widerstand nötig, aber eben auch möglich, machen. Der unbefristete Streik bei KBA Anfang 2014 und die wilden Streiks der Salzburger Landesbeschäftigten 2012 sind nur einige der Beispiele, die zeigen, dass auch in Österreich Streiks möglich sind und die Beschäftigten dabei oft weiter gehen, als es der Gewerkschaftsführung lieb ist. In diesen Kämpfen wurden auch bereits existierende Spaltungslinien zwischen Frauen und Männern, Arbeit-ern und Angestellten, "In"- und "Aus"länderInnen, die durch den steigenden Druck am Arbeitsplatz noch verstärkt wurden, zumindest vorübergehend überwunden. Die Kampagnen "Sozial aber nicht blöd" und das "Aktionsbündnis gegen den 12-Stunden-Tag" zeigen, dass es den Wunsch nach einer Zusammenarbeit zwischen linken Gruppen gibt und auch an unorganisierte KollegInnen ein ernsthaftes und attraktives Angebot zur Mitarbeit gemacht werden kann. Für SozialistInnen wird es in der kommenden Periode besonders wichtig sein, sich in den Betrieben zu verankern und die kommenden Proteste nicht nur zu unterstützen, sondern sich v.a. auch in der Entwicklung von Kampfstrategien, wie die Proteste erfolgreich sein können, einzubringen. 

Krise der bürgerlichen Demokratie

Das wahrscheinlich prägendste Element der aktuellen Situation ist die tiefe politische Krise, zu der die wirtschaftliche Krise geführt hat. Sinkende Wahlbeteiligung, Vertrauenswerte von PolitikerInnen irgendwo im Keller und eine Halbwertszeit von PolitikerInnen, die an matschige Paradeiser erinnert. Die Unzufriedenheit mit sinkenden Löhnen/Gehältern, steigender Arbeitslosigkeit, steigenden Preisen und einer immer dramatischeren Wohn- und Mietensituation schürt Frust und Wut. Betroffen sind schon längst nicht mehr nur Randschichten, sondern große Teile der Bevölkerung. Auch immer größere Teile der Mittelschicht sehen sich ihrer Existenzgrundlage beraubt und drohen in die Armut abzusinken.

Zentrale Ursache für die zunehmende Entfremdung von der Politik ist, dass immer offensichtlicher wird, dass die Politik der verlängerte Arm der Wirtschaft ist und die Interessen und selbst die lebensnotwendigsten Bedürfnisse der "normalen" Menschen den Profitinteressen untergeordnet werden. Die Dominanz der Wirtschaft über die Politik wird immer deutlicher. Das Wirtschaftsministerium fragt z.B. die Unternehmen, welche bürokratischen Hürden abgebaut werden sollen. Damit werden aber auch die Wirkungsweise und systemimmanente Ungerechtigkeit des Kapitalismus offensichtlicher und die Unterstützung für dieses System sinkt. Wir sehen also eine Krise des Kapitalismus, die auch eine "Krise der bürgerlichen Demokratie" zur Folge hat - das wird sich auch in der kommenden Periode wie ein roter Faden durch die politischen Entwicklungen und die Entwicklung von Protesten ziehen.

Die Regierungsparteien sind in einer Krise. Bei der ÖVP drückt sich das in häufigem Wechsel bei Regierungsmannschaft und Obmann aus. Der Druck aus den unterschiedlichen Flügeln verlangt bei einer schwierigeren wirtschaftlichen und politischen Situation unterschiedliche Antworten, denen die Partei als Ganzes kaum gerecht werden kann. Dass die ÖVP offensichtlich unter einem stärkeren Druck ihrer Basis steht als die SPÖ, sagt letztlich mehr über die SPÖ aus, als über die ÖVP - es zeigt, wie weit der Verbürgerlichungsprozess der Sozialdemokratie bereits fortgeschritten ist, dass die zentralisiertere Struktur heute ausschließlich dazu verwendet wird, die Opposition ruhig zu halten und dass sich Stimmungen in der ArbeiterInnenbewegung und soziale Bewegungen nicht mehr in dieser Partei widerspiegeln und der stärkste Druck auf die Parteiführung durch die Interessen des Kapitals kommt.

Mit den Neos ist eine neue Konkurrenz für die ÖVP entstanden, auf die Teile der Partei zu reagieren versuchen. Wie lange das Bild von den Neos als moderne, andere Partei anhalten wird, hängt zentral davon ab, wie rasch sie in Regierungsverantwortung, auch auf lokaler Ebene, eingebunden wird. Denn tatsächlich ist kaum etwas neu an dieser Formation, die nach LiF, zeitweise dem BZÖ etc. einen neuen Versuch darstellt, versteckt hinter liberalem Auftreten bezüglich gesellschaftspolitischer Fragen wie gleichgeschlechtliche Partnerschaften etc. eine wirtschaftsliberale Partei, verschleiert mit rosa coolness-Faktor, zu etablieren. Die Neos könnten nach der nächsten Nationalratswahl in eine Koalition eintreten und dort als Rammbock für das Durchsetzen neoliberaler Angriffe auf z.B. den Öffentlichen Dienst, im Bildungswesen oder bei Privatisierungsvorhaben dienen.

Wie die Neos versuchen sich auch die Grünen als moderne Partei zu präsentieren und argumentieren gegen "den Stillstand". Angesichts der Tatsache, dass "Reformen" heute gleichbedeutend mit Angriffen auf die ArbeiterInnenklasse sind, wird eine Beschleunigung allerdings weniger attraktiv als eine Bedrohung. Auch insgesamt sind die Grünen alles andere als eine echte Alternative. Sie sind auf dem besten Weg sich als eine stabile Basis für das urbane Bürgertum und wachsende Teile des Kapitals zu etablieren, das schon seit längerem nicht mehr so viele Parteien, die tatsächlich in eine Regierung gehen könnten, zur Auswahl hatte wie jetzt. In den zentralen Fragen der letzten Jahre - Zustimmung zum EU-Rettungsschirm, zu Nulllohnrunden und letztlich auch zu einer rigideren Migrationspolitik - haben die Grünen ihre Regierungsfähigkeit und ihre Bereitschaft, im Sinne der Wirtschaftsinteressen zu agieren, unter Beweis gestellt. Als links werden sie eher von den Medien (und der FPÖ) präsentiert; ihre WählerInnen sehen sie zu Recht weniger so.

Die SPÖ ist zur Zeit die stabilere Partei für das österreichische (und internationale) Kapital. Daran ändern auch kleinere interne Reibereien wie die rund um Sonja Ablinger und vermeintlich "linke" Teile in der Partei wie die Sektion 8, die v.a. von den Medien massiv gehypet werden, nichts. Die SPÖ ist inzwischen eine vollständig verbürgerlichte Partei, die verbliebenen Linken kämpfen auf verlorenen Posten. Dass Faymann gegenüber Gusenbauer wieder mehr GewerkschafterInnen in Regierung und Parlament gebracht hat, ändert nichts an der Tatsache, dass die SPÖ eine bürgerliche Partei ist die Wirtschaftsinteressen umsetzt. Die Verbindung zwischen SPÖ und Gewerkschaft ist formal eine starke. Sie nützt aber im Gegensatz zu früher nur einer Seite. Früher wurden Ziele und Forderungen der ArbeiterInnenbewegung durch die Verbindung zur SPÖ auf die politische Ebene getragen und durch die SPÖ auch umgesetzt. Heute wirkt die Verbindung nur mehr in der Gegenrichtung. Die Gewerkschaftsspitze wird mit hoch bezahlten Jobs für ihr Schweigen und ihre Kooperation bezahlt. Für die ArbeiterInnenbewegung bedeutet die Verbindung der Gewerkschaft zur SPÖ allerdings, dass diese von der SPÖ als Waffe gegen die Gewerkschaftsbasis und ihre Forderungen eingesetzt wird. Denn die SPÖ setzt nicht die zentralen Forderungen der Gewerkschaftsmitglieder um, sondern sie nützt ihren Einfluss durch die ÖGB-Führung, um Widerstand gegen die Angriffe auf die ArbeiterInnenklasse zu verhindern.

Die SLP beobachtet die Arbeit der Linken in der SPÖ mit Sympathie. In Partei und Jugendorganisation finden sich vereinzelte Linke, doch die SPÖ ist schon längst keine ArbeiterInnenpartei mehr. Der Kampf der Linken gleicht der Sisyphusarbeit aus der griechischen Mythologie (Sisyphus muss einen Stein den Berg hinaufrollen, doch jedesmal, knapp bevor er oben ankommt, rollt der Stein wieder herunter) - mit dem Unterschied, dass die Linken in der SPÖ mit ihrem Stein niemals auch nur in die Nähe der Parteiführung kommen und wenn doch, dann sind sie durch den "Gang durch die Institutionen" angepasst worden. Ein Grund dafür ist die Tatsache, dass es zwar Linke in der SPÖ gibt, aber keine Parteilinke. Es gibt außer einigen kleineren Zusammenschlüssen keine organisierte Zusammenarbeit von Linken in der SPÖ. Es gibt keine programmatische Arbeit und keinen Willen, die Machtfrage zu stellen - also z.B. eine Polarisierung in der SPÖ und einen sichtbaren linken Flügel zum Andocken für andere Linke rund um inhaltliche Fragen, die in Person eines Gegenkandidaten bei parteiinternen Wahlen zugespitzt werden könnte. Kein linkes Aufblitzen der letzten Jahre ist über ein bisschen Medienarbeit wirklich hinausgekommen. Ein wichtiger Schritt wäre das entschlossene Organisieren eines linken Flügels rund um ein gemeinsames Programm und in Verbindung mit der Beteiligung an gesellschaftlichen Kämpfen, die in der Praxis auch häufig gegen die Politik der SPÖ gerichtet wären. Die SLP würde GenossInnen in der SPÖ, die sich für einen solchen Schritt entscheiden, unterstützen, indem sie mit ihnen gemeinsam politische Kämpfe führt. Gleichzeitig wird sie ihnen gegenüber die Notwendigkeit einer neuen ArbeiterInnenpartei betonen und versuchen, sie zu deren Aufbau zu bewegen. Ein solcher organisierter linker Flügel würde rasch von der Parteiführung bekämpft und aus der Partei entfernt werden. Er könnte ein wichtiger Ansatzpunkt für den Aufbau einer neuen ArbeiterInnenpartei sein. Eine solche Entwicklung ist aber nicht wahrscheinlich. Viel eher ist zu befürchten, dass die verbliebenen Linken in der SPÖ, wie z.B. Daniela Holzinger, sich einbinden lassen und nach rechts gehen bzw. resignieren und sich aus der aktiven Arbeit zurückziehen.

Der Aufbau einer neuen ArbeiterInnenpartei ist in Österreich gerade angesichts der Stärke der FPÖ von zentraler Bedeutung. Die FPÖ ist die wichtigste Oppositionspartei - doch wie lange noch? In den letzten Jahren hat Strache bewusst daran gearbeitet, die FPÖ als Regierungspartner akzeptabel zu machen. Ultrarechte Aushängeschilder wie Graf, Rosenkranz und Mölzer wurden in die 2. Reihe verbannt. Das bedeutet nicht, dass die FPÖ sich von deren Inhalten verabschiedet hat. Doch man hat sehr bewusst versucht, sein Image zu verändern. Gleichzeitig sind die Signale aus der ÖVP in Richtung Populismus und aus der SPÖ gegen Fraueninteressen auch ein Indiz dafür, dass eine Koalition mit der FPÖ nicht mehr als No-Go gesehen wird. SPÖ und ÖVP ist klar, dass eine Große Koalition sich rechnerisch immer schwerer ausgeht. Auch fühlen sich beide mit der Situation, keine anderen Regierungspartner zu haben, alles andere als wohl. Durch das gemäßigtere Auftreten von Strache und die Tatsache, dass die FPÖ eine gewisse Stabilität erreicht hat, wird sie auch für die Wirtschaft wieder verstärkt eine Option. Durchaus geschickt laviert sie zwischen Populismus (Eigenpräsentation als soziale Heimatpartei) und Präsentation als verlässlichem Partner (z.B. durch die immer wieder wiederholte Ablehnung einer Vermögensteuer). Das zeigt sich auch in regionalen Unterschieden, wo in Vorarlberg mit dem Schielen auf eine Regierungsbeteiligung der Euro verteidigt wird, während in Wien, wo eine Koalition mit der SPÖ nach der nächsten Wahl sehr unwahrscheinlich ist, viel stärker auf sozialen Populismus gesetzt werden kann. Punktuelle Aufreger (wie die Polarisierung um die Bundeshymne, den Wiener Stadtschulratsvize etc.) ändern nichts an ihrer längerfristigen Strategie als "Wolf, der Kreide gefressen hat" und dem Schielen auf eine Koalition. Doch darf dieser Schwenk zur Harmlosigkeit nicht darüber hinwegtäuschen, dass die FPÖ brandgefährlich ist und eine Regierungsbeteiligung das Tempo von Sozialabbau, Rassismus und Repression erhöhen würde.

Neue ArbeiterInnenpartei wird immer dringender notwendig

Gegenwärtig sind vorgezogene Neuwahlen eher unwahrscheinlich, da beide Regierungsparteien dabei nur verlieren würden. Doch kann durch unerwartete Ereignisse oder eine weitere Krise insbesondere der ÖVP nicht ausgeschlossen werden, dass Wahlen doch vor dem vorgesehen Termin 2018 stattfinden. Die Wahrscheinlichkeit für eine Regierungsbeteiligung der FPÖ steigt, je tiefer die Krise der etablierten Parteien wird und solange eine linke kämpferische Alternative fehlt.

Vor der nächsten Nationalratswahl stehen aber noch Wahlen in einigen Bundesländern an - 2015 in Burgenland, Steiermark, Oberösterreich und Wien. Die größte Bedeutung kommt den Wahlen in der Steiermark und in Wien zu. Gelingt es der KPÖ in der Steiermark, wieder Mandate zu erringen? Die Existenz einer linken Alternative ist ein unbestreitbarer Vorteil der Situation in der Steiermark. Sollte die Wiederwahl nicht gelingen, so ist der Grund dafür bei den Fehlern der KP Steiermark zu suchen. Die objektive Situation bietet gute Voraussetzungen für eine linke Alternative, alle Umfragen zeigen den Wunsch nach etwas Anderem, auch linkem. Die Schwäche der KP Steiermark ist, dass es ihr nicht gelungen ist (und es ist die Frage, inwieweit das überhaupt Ziel ist), die Unterstützung auf der Wahlebene in AktivistInnen und Mitglieder umzuwandeln. Es besteht die reale Gefahr, dass die KP Steiermark am selben Fehler scheitert, den so viele Linksprojekte international gemacht haben: eine inhaltliche Verwässerung, um damit eine vermeintliche Breite zu erzielen sowie einen Schwerpunkt in die Arbeit auf der Wahlebene zu setzen, ohne gleichzeitig treibende Kraft in gesellschaftlichen und v.a. in gewerkschaftlichen und betrieblichen Kämpfen zu sein. Im Fall der steirischen KP kommt noch das Unterschätzen der Gefahr, die von der FPÖ und ihrem Rassismus ausgeht bzw. die mangelnde Bereitschaft für den Kampf gegen die FPÖ und ihren Rassismus, hinzu. Eine Wiederwahl von VertreterInnen der KP Steiermark wäre eine Stärkung für die gesamte Linke. Der KP Steiermark kommt damit aber auch eine spezielle Verantwortung im Prozess der Bildung einer neuen ArbeiterInnenpartei zu.

Die zweite zentrale Wahl 2015 wird die Wiener Landtagswahl sein. Wieder wird die SPÖ zur Schlacht aller Schlachten aufrufen und wieder wird die Linke in der SPÖ (und um sie herum) zur Wahl der SPÖ als "kleineres, aber gegen die FPÖ notwendiges Übel" aufrufen. Sie wird dabei völlig ignorieren, dass gerade die Politik der Wiener SPÖ die Grundlage für den weiteren Aufstieg der FPÖ darstellt, denn ihre Arroganz und das Schönreden von Problemen, kombiniert mit realem Sozialabbau, treibt Viele in die Arme der FPÖ. Auch bei der Wiener Gemeinderatswahl stellt sich, wie auch bei evtl. vorgezogenen Nationalratswahlen, die Frage einer Alternative auch auf der Wahlebene. Der Wunsch nach etwas Neuem ist groß, eine ernsthafte linke Kraft kann das Vakuum füllen, das die etablierten Parteien offen lassen. Das viele der zu Recht Enttäuschten eben keine Rechten sind (und im übrigen auch viele der FPÖ-WählerInnen nicht einfach nur als rechts eingestuft werden können, sondern viele die FPÖ - fälschlicherweise - als "sozial" wählen), zeigt sich an der immer weiter steigenden Zahl von Nicht- bzw. UngültigwählerInnen.

Tatsächlich deuten die Zahlen aber auf bestenfalls Stagnation, vielleicht sogar einen neuerlichen Einbruch hin. Denn die Ausgangssituation der österreichischen Wirtschaft ist, wie die SLP immer wieder betont hat, risikobelastet. Hohe Tourismus- bzw. Exportabhängigkeit und starke Involviertheit in Osteuropa bergen ein Problempotenzial, das immer offensichtlicher wird. Die Exportabhängigkeit nützt, solange die Weltwirtschaft floriert. Wenn sich aber billigere Produzenten herausbilden bzw. krisenbedingt Länder sich auf den heimischen Markt zurückziehen, kann das zum Problem werden. Österreich wird hier zum Opfer der kapitalistischen Propaganda vom ewigen Wachstum des Kapitalismus. Seit 1980 hat sich die Exportquote fast verdoppelt, eine Tatsache, die nun, mit schrumpfenden Exportmärkten, fatale Folgen haben kann. Rund 40 % des BIP macht der Export von Waren aus, Waren und Dienstleistungen zusammen kommen auf 57 % des BIP. Rund 80 % davon gehen in den krisengeschüttelten europäischen Markt. Rund 15 % der Exporte gehen nach Ost- und Südosteuropa. In einige dieser Staaten, die mit massiven Problemen zu kämpfen haben, gehen 2-3 % der Gesamtexporte. Russland und die Ukraine z.B. machten bisher 3,3 % der Exporte aus. Ein Wegbrechen dieser Märkte kann sich im BIP empfindlich niederschlagen, wobei die Russland-Embargos von der heimischen Wirtschaft auch genutzt werden, um die Nachfrage zu steigern (Äpfel) bzw. - wie ohnehin geplant - Kürzungen als Embargo-Folgen zu verkaufen (MAN-Kurzarbeit). Auch der Wachstumsrückgang in den BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) macht sich bemerkbar. Jedes einzelne der betroffenen Länder könnte noch irgendwie ausgeglichen werden, doch wenn die Exporte nach Russland (die Prognosen sprechen bereits von einer Halbierung des Wachstums), Ukraine, Brasilien, China, auf den Balkan, nach Rumänien, Ungarn etc. gleichzeitig zurückgehen, dann hat das spürbare Auswirkungen auf die Wirtschaft. Zusätzlich schwächelt die deutsche Wirtschaft und der Konjunkturchef des Deutschen Institutes für Wirtschaftsforschung (DIW) spricht im August 2014 von einer ernstzunehmenden "Gefahr einer Rezession". Ein Rückgang bei der deutschen Wirtschaft aber wird dramatische Folgen für die österreichische Wirtschaft haben.

Was in Österreich seit Jahren fehlt, ist eine neue ArbeiterInnenpartei. Grund ist die Tatsache, dass die SPÖ inzwischen eine bürgerliche Partei ist, die Grünen und ähnliche Projekte ebenfalls bürgerliche Parteien sind und daher die ArbeiterInnenklasse (Beschäftigte, Arbeitslose, PensionistInnen, Jugendliche, MigrantInnen, sozial Schwache etc.) keine politische Vertretung und keine Kampforganisation mehr hat. In vielen Ländern hat es bereits Schritte in Richtung der Neuformierung einer solchen neuen Partei gegeben. Wo immer die Versuche ernsthaft waren, sind sie auf großes Interesse und Unterstützung getroffen. Aufgrund zahlreicher Fehler (siehe dazu die Broschüre der SLP zur Neuen ArbeiterInnenpartei) konnten sie die Unterstützung oft nicht halten, doch das Potenzial für eine solche neue Formation wurde und wird immer deutlicher. Österreich hinkt in dieser Entwicklung stark hinterher. Der Hauptgrund liegt im historisch gewachsenen Alleinvertretungsanspruch der Sozialdemokratie, der fast schon wie ein Naturgesetz postuliert wird. Tatsächlich gibt es in der ArbeiterInnenbewegung wahrscheinlich ebenso viele Beispiele für das erfolgreiche Existieren mehrerer ArbeiterInnenparteien wie für nur eine. Die Kombination Alleinvertretungsanspruch plus Verbürgerlichung der Sozialdemokratie aber bedeutet eine weitgehende Entwaffnung der österreichischen ArbeiterInnenklasse. Durch ihren - einseitigen - Einfluss auf die Gewerkschaften lähmt die SPÖ auch die Gewerkschaftsbewegung. Das Fehlen einer gewerkschaftlichen Linken, und auch der Tradition einer solchen, erschwert den Neuformierungsprozess weiter.

Die SLP hat sich in einer eigenen Broschüre genauer mit Geschichte und Zustand der Gewerkschaften in Österreich beschäftigt. Zentral für die Zukunft ist die Frage, wo sich Bruchlinien auftun können. Die Anpassung an die Bedürfnisse von SPÖ/Regierung bzw. dem Kapital in seiner Standortlogik bringen auch mit sich, dass sich der ÖGB selbst seiner Existenzberechtigung beraubt. Denn in Krisenzeiten bedeutet diese Anpassung die Unterordnung unter die Notwendigkeiten des Kapitalismus und das bedeutet dann sinkende Abschlüsse und längere Arbeitszeiten. In der Folge treten Mitglieder aus, fehlt es an KollegInnen, die bereit sind, Betriebsratsarbeit zu machen und sinkt die Kontrolle der Gewerkschaften über die Beschäftigten (die ohne diese Kontrolle auch eigenständig Proteste organisieren könnten, was der Gewerkschaftsführung unangenehm ist). Teilen der Gewerkschaftsführung - v.a. in den Fachgewerkschaften (jenen, die unter Druck und auch finanzieller Abhängigkeit der Basis stehen, nicht jenen, die aufgrund ihrer Position tiefer in Staat bzw. Parlament eingebunden sind) ist diese Entwicklung bewusst. Die Kampagne des ÖGB zur Lohnsteuer zeigt, dass auch die Gewerkschaftsbürokratie (also die hohen FunktionärInnen) erkannt hat, dass sie "etwas tun" muss, um der Abstimmung mit den Füßen (also Passivität bzw. Austritten in Folge der schlechten Abschlüsse der letzten Jahre) entgegenzuwirken. Es ist möglich, dass dem ÖGB hier ein kleiner Sieg gelingt, es also eine (letztlich aber ungenügende) Steuerreform geben wird. Doch angesichts der Lage des österreichischen Kapitalismus wird dieser Sieg mit großen Zugeständnissen in anderen Bereichen (Arbeitszeit, Verträge etc.) kompensiert werden. Ein eventueller Propagandaerfolg des ÖGB wird daher spätestens nach den nächsten miesen KV-Abschlüssen von der Mitgliedschaft durchschaut werden. Schon jetzt wissen wir von heftigen Debatten, von Unmut und Kritik innerhalb der Gewerkschaften. Bisher gelingt es noch, KritikerInnen mundtot zu machen. Das Fehlen der Tradition einer relevanten, auch fraktionsübergreifenden, gewerkschaftlichen Linken verschärft das Problem. Denn die vielen unzufriedenen BetriebsrätInnen und kleinen und mittleren FuntkionärInnen haben keinen Ansatzpunkt, an den sie sich wenden, mit dem sie sich organisieren können. Die SLP tritt für den Aufbau einer kämpferischen Gewerkschaftsopposition ein - MitstreiterInnen dafür werden sich in den linken Fraktionen ebenso finden wie bei bisher nicht-fraktionell gebundenen BetriebsrätInnen und GewerkschafterInnen. Wir unterstützen aber auch Entwicklungen in der Gewerkschaft bzw. der FSG, die in Richtung stärkerer Unabhängigkeit von der SPÖ führen. Eine solche Unabhängigkeit ist notwendig, um die Gewerkschaften wieder zu Kampforganisationen der ArbeiterInnenklasse zu machen. Denn Kämpfe für Verbesserungen für ArbeiterInnen bzw. gegen Verschlechterungen bedeuten in der Praxis Kämpfe gegen die SPÖ.

Aufgrund der angespannten wirtschaftlichen Lage und der Offensive von Unternehmensseite gegen Forderungen hinsichtlich Löhne, Arbeitszeit und Rechte von Beschäftigten sowie der Notwendigkeit für die Gewerkschaft, "Erfolge" zu präsentieren, damit ihr die Mitglieder nicht weglaufen, sind Kollektivvertragsverhandlungen in der letzten Periode immer wieder Ansatzpunkt für Proteste gewesen. Aufgrund des Drucks von unten musste die Gewerkschaftsführung Aktionen organisieren, sogar mit Streik drohen. Der Druck aus den Betrieben und Fachgewerkschaften steigt; in der letzten Periode wurde auf den Bundesvorständen des ÖGB regelmäßig eine Streikfreigabe beschlossen. Es wird in der kommenden Periode - wegen des steigenden Drucks von unten und aus einem Legitimationszwang der Bürokratie heraus - auch noch verstärkt zu "Dampfablassaktionen" kommen - letztlich zahnlose Proteste, die den Unternehmen keinen wirtschaftlichen Schaden zufügen. Die Mit-gliedschaft ist hier in einer Zwickmühle - sie erkennt vermehrt, dass diese Aktionen nichts bringen, sieht aber auch, dass es die einzigen Angebote sind, "etwas zu tun". Die Beschäftigen sind den Aufrufen zu Protesten  trotz Frust über deren zu frühes Abbrechen und in dessen Folge die miesen Abschlüsse - als einzige Angebote zum Widerstand immer gefolgt. Das zeigt den Wunsch nach einer echten kämpferischen Gewerkschaftspolitik und das Potenzial auch für Offensivkämpfe. Wenn sich im ÖGB oder wahrscheinlicher in den Fachgewerkschaften einzelne Personen oder Strukturen zu einem kämpferischeren Kurs entschließen, wird das zu Interesse, Sympathie und aktiver Unterstützung auch aus anderen Bereichen der Gewerkschaftsbewegung führen.

Echte betriebliche und gewerkschaftliche Kämpfe, aber auch solche Dampfablassaktionen sind ein Bereich, in dem SozialistInnen mit kritischen GewerkschafterInnen in Kontakt kommen können, ein Bild von der Stimmung in der Gewerkschaft erhalten können. Zentral wird es sein, hier auch Angebote zu formulieren, die über den Kauf einer Zeitung hinausgehen. Die Kampagne "Sozial aber nicht blöd" und das "Aktionsbündnis gegen den 12-Stunden-Tag" können solche Angebote sein, wenn es gelingt, sie über den Kreis der organisierten Linken hinaus zu erweitern und zu lebendigen Strukturen von AktivistInnen zu machen.

Neben der Arbeit in den Gewerkschaften ergibt sich für SozialistInnen in der nächsten Periode die Aufgabe, alle möglichen Ansatzpunkt für eine solche Neuformierung einer ArbeiterInnenpartei aufzugreifen, zu unterstützen und für ein sozialistisches Programm und eine kämpferische Ausrichtung einzutreten.

Kaum noch Vertrauen in das System

Die Stimmung für ein solches neues Projekt ist vorhanden. Bei einer Umfrage 2006 erklärten nur 16 % der Nichtwähler als Grund fürs Nichtwählen, dass sie "Politik nicht so interessiert". Ebenso viele gingen aus Protest nicht, 42 % erklärten "Keine der Parteien und Kandidaten spricht mich an". Auf- und Abstieg von Parteien wie Stronach, Piraten, künftig auch Neos etc. zeigen den Wunsch nach etwas Neuem (an dem die ÖVP mit Kurz ebenfalls zu arbeiten versucht), aber auch, wie rasch solche Projekte an Glanz verlieren. Für die Linke ist das Projekt von etwas Neuem schwieriger -  hier reicht ein Etikett "Anders" nicht aus (siehe das schwache Abschneiden von "Europa Anders" bei den EU-Wahlen. Die SLP tritt seit Langem für den Aufbau einer neuen ArbeiterInnenpartei in Österreich ein. Doch wollen künftige linke Projekte erfolgreich sein, brauchen sie eine Orientierung auf Bewegungen und Kämpfe, insbesondere auf der betrieblichen Ebene. Mehr dazu in unserer Broschüre zu Neuen ArbeiterInnenpartei. Zu den wohl wütendsten Schichten gehören die HauptverliererInnen der kapitalistischen Krise: Jugendliche und Frauen.

Frauen sind durch die Krise nicht nur ökonomisch und sozial, sondern auch in Bezug auf ihre Rolle in der Gesellschaft betroffen. Über Jahrzehnte mühsam erreichte Verbesserungen in den Bereichen Arbeit, Familie, Sexualität werden im Zuge der Krise zunichte gemacht. Im Zuge einer Wirtschaftskrise erleben konservative Frauenbilder stets ein Revival als ideologische Stärkung der ökonomischen Notwendigkeit, Frauen aus dem Arbeitsmarkt zu drängen, um noch mehr unbezahlte, aber gesellschaftlich notwendige, Arbeit bei Pflege, Kinderbetreuung etc. zu leisten. Die Kürzungspläne der Regierungen finden sich überproportional in Bereichen, die Frauen betreffen: Bildungswesen - hier arbeiten viele Frauen; Frauen müssen Mängel im Bildungswesen durch das Lernen zuhause auffangen; Frauen müssen fehlende Ganztagsschulen durch Nicht-Erwerbsarbeit kompensieren; Gesundheitswesen - fehlende Pflege durch die Öffentliche Hand wird fast ausschließlich von Frauen geleistet und Öffentlicher Dienst - hier arbeiten viele Frauen und es war jener Sektor, in dem die Unterschiede in der Bezahlung am geringsten waren.

Besondere Bedeutung kommt aktuell der Entwicklung der Pensionen zu. Durch Teilzeit, Kindererziehung und niedrigere Löhne können Frauen kaum noch auf eine Pension hoffen, mit der ein menschenwürdiges Leben möglich ist. Die aktuelle Post von der Pensionsversicherungsanstalt PVA führt v.a. bei Frauen zu Frust, Schock und Zynismus. "Wozu arbeite ich mein Leben lang hart und werde dann doch keine ordentliche Pension bekommen?" Wahrscheinlich kein anderer Bereich zeigt aktuell so deutlich, dass der Kapitalismus für die Meisten keine gute Zukunft zu bieten hat. Der Hinweis auf die Notwendigkeit einer privaten Pensionsvorsorge muss für die Meisten bestenfalls zynisch wirken - abgesehen davon, dass deren Erträge alles andere als positiv sind. Viele können sich eine solche private Pensionsvorsorge schlicht nicht leisten. Besonders dramatisch ist die Situation von Frauen: Ein Drittel der Frauen geht davon aus, sich mit der künftigen Pension nicht mal das Nötigste leisten zu können (Umfrage der Wiener Städtischen); 52 % sagen auch, dass sie sich eine private Vorsorge nicht leisten können; ein Drittel der Frauen geht davon aus, dass am Ende ihres Lebens nur Armut auf sie wartet - das bietet Raum für Wut. Aktuell gibt es keinen Ansatzpunkt, um diese Wut in Widerstand zu verwandeln. Doch bei weiteren Vorstößen der Regierung zu Angriffen auf das Pensionssystem (Anhebung des Pensionsantrittsalters, weitere Verschlechterungen bei Durchrechnungszeiten, Anrechnungen etc.) kann es hier einen Ansatzpunkt für Proteste geben.

Bei jungen Frauen kommt noch die wachsende Perspektivlosigkeit hinzu. Diese drückt sich zum Teil in einem Revival konservativer Lebensmodelle aus: Wozu einem miesen Job hinterherrennen, den man letztlich eh nicht kriegt, wenn es die Möglichkeit gibt, sich als Ehefrau und Mutter eine soziale Absicherung zu besorgen. Doch wäre es falsch, daraus zu schließen, das alle Veränderungen im Bewusstsein, was Rechte und Möglichkeiten von Frauen angeht, einfach wieder zunichte gemacht wurden. Gerade bei jungen Frauen ist das Bewusstsein widersprüchlich und komplex, es findet sich der Wunsch nach einem selbstbestimmten Leben, neben dem Pragmatismus dessen, was für eine soziale Absicherung notwendig ist, nach einer selbstbewussten Sexualität neben der Übernahme von gesundheitsgefährdenden Körperidealen. Wir haben bei vielen Bewegungen der letzten Jahre gerade junge Frauen gesehen, die sich massiv beteiligt haben - dann aber nicht bereit waren, längerfristig politisch aktiv zu werden. Das reflektiert auch den gestiegenen Druck, der auf Jugendlichen insgesamt, auf jungen Frauen aber ganz besonders, lastet. Der Großteil der Energie wird auf die Ausbildung verwendet in der Hoffnung, damit wenigstens irgendeine Chance in der Zukunft zu haben. Diese Hoffnungen werden aber in weiten Teilen enttäuscht. Job weg nach der Lehrabschlussprüfung, oder gar keine Lehrstelle gefunden. Jahrelange un- oder mies bezahlte Praktika nach dem Studium. Das frustriert, macht aber auch wütend. Wenn dann noch Angriffe auf das Privatleben dazukommen, kann es zu einer Explosion unter jungen Frauen kommen. Sollte z.B. eine künftige schwarz-blaue Regierung den Zugang zu Verhütungsmitteln oder Schwangerschaftsabbruch erschweren, könnte das ein Ansatzpunkt v.a. für Frauen in ihren 20ern und 30ern sein, politisch aktiv zu werden.

Jugendliche insgesamt erhalten von der herrschenden Politik v.a. ständige Beteuerungen, wie wichtig die Jugend und ihre Ausbildung sei - in der Praxis geschieht nichts. Das Vertrauen in "die Politik" wird damit weiter untergraben. 73,8 % der Jugendlichen haben kein Vertrauen in die Parteien (2013), 64,7 % kein Vertrauen in die Regierung. Nur 32,6 % haben Vertrauen ins Parlament. Kein Vertrauen gibt es auch in Banken (62,7 %), Medien (68,7 %), Pensionssystem (63,4 %) und Religionsgemeinschaften (67,7 %) (Quelle: Heinzlmaier/Ikrath 2013). Immerhin 54 % geben aber an, sich etwas oder sehr für Politik zu interessieren.

Zwar gab es in den letzten Jahren keine massiven Jugendbewegungen, doch immer wieder ein Aufflackern - gegen Acta, gegen die Zentralmatura und immer wieder gegen Rassismus. Solange das Level von Klassenkämpfen relativ gering ist, wird sich die Wut über "das System" in anderen Bereichen ausdrücken. Dazu gehört auch eine Zunahme von Konflikten zwischen "Bürger" und "Staat". Vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise setzt der Staat vermehrt auf Repression. Überwachung ist allgegenwärtig - im Alltag, aber auch im Berufsleben. Gerade Jugendliche sind in ihrer Freizeit und wenn sie protestieren oft mit einem Ausmaß staatlicher Gewalt konfrontiert (brutale Polizeiübergriffe, aber auch Strafen), das in seiner Häufung eine neue Qualität darstellt. Verschärft wird das noch durch das hohe Gewicht von Freiheitlichen im Polizeiapparat. Um die staatliche Gewalt (und insbesondere ihren teuren Umfang) zu rechtfertigen, wird ein Bedrohungsszenario erfunden. Doch die absurden Ausmaße, die solche Einsätze annehmen (WKR-Ball, Polizei bei Demo der Identitären, Räumung der Pizzeria Anarchia), sind auch über ein linkes Publikum hinaus offensichtlich und führen dazu, dass das Agieren des Staates wenig Unterstützung findet. In vielen Ländern war die Wut über massive Polizeirepression der Tropfen, der das Fass zum überlaufen gebracht hat. Auch wenn es in Österreich noch nicht so weit ist, so sinkt doch die Unterstützung für Polizei und Justiz - die Rolle des bürgerlichen Staates als Instrument der herrschenden Klasse wird (nicht in diesen Worten, aber gefühlsmäßig) von immer mehr Menschen wahrgenommen.

Gerade in Antikriegsbewegungen haben Jugendliche immer eine wichtige Rolle gespielt. Mit dem Konflikt in/um die Ukraine ist der Krieg endgültig wieder nach Europa zurückgekehrt. Sollte sich dieser zu einem längeren bewaffneten Konflikt entwickeln, evtl. unter Einflussnahme des Westens, so ist eine Antikriegsbewegung nicht ausgeschlossen. Auch die Flüchtlingskatastrophen in Zusammenhang mit den Kriegen in Syrien, Irak etc. sind ein Thema, das gerade Jugendliche auch in der nächsten Periode bewegen wird. Das Thema Flüchtlinge hat in der Vergangenheit polarisiert, aber auch zur Solidarisierung mit Flüchtlingen v.a. auf lokaler Ebene geführt. Die Flüchtlingsbewegung war ein großartiges Zeichen für den Widerstand aus den am stärksten unterdrückten Schichten der Bevölkerung. Sie hat Teilerfolge erzielt, v.a. auch in der Frage der Bewusstseinsbildung, ist aber an der realen Weigerung der Gewerkschaftsbewegung, sich aktiv einzubringen, gescheitert. Um jene Solidarität, die am effektivsten dabei war, Abschiebungen zu verhindern, künftig zu erschweren, versucht die Politik, Flüchtlinge stärker zu isolieren. Doch das ist nur in beschränktem Umfang möglich. Gerade der Umgang mit jugendlichen Flüchtlingen, die MitschülerInnen sind, war und ist auch ein Ansatzpunkt für künftige Proteste von Jugendlichen. 

Doch die Panikmache über angebliche Terrornetzwerke in Österreich führt auch zu einem Anstieg realer Übergriffe auf MigrantInnen bzw. Moslems/Muslimas. Wenn in den Zeitungen ständig über IS/Isis-Leute in Österreich berichtet wird (real im wesentlichen immer wieder über dieselben paar Personen), findet die rechte Hetze mehr Unterstützung. Der Staat denkt eine verstärkte Überwachung an und es kommt in Medien und Politik zu einer Vorverurteilung von Moslems/Muslimas als (potenzielle) Dschihadisten, die das Klima weiter vergiftet. Schon jetzt nehmen organisierte Angriffe auf islamische Einrichtungen sowie eher spontane gewalttätige Übergriffe gegen Moslems/Muslimas zu. Die FPÖ wird diese neue Welle von Rassismus aufgreifen, doch aufgrund ihrer Versuche, sich moderater zu geben, nicht überall in vollem Umfang. Das öffnet auch ein Fenster, das von noch weiter rechts stehenden Neonazi-Strukturen gefüllt werden kann. Die SLP war und ist Teil des Widerstandes gegen die faschistische Gefahr, ohne die Bedrohung, die aus diesem Bereich kommt, aktuell zu überschätzen.

Auch der Bildungsbereich ist im wesentlichen eine Baustelle, auf der alle wirklich beteiligten - nämlich SchülerInnen und LehrerInnen - extrem unzufrieden sind. Kommende wirtschaftliche Probleme werden hier zu weiteren Kürzungen und in der Praxis zu einem weiteren Auseinanderklaffen von aufgrund von Geldmangel sich verschlechternden öffentlichen Schulen und Universitäten und durch das Geld wohlhabender Eltern finanzierten Privatschulen/-unis kommen. Die Kürzungen werden häufig über die Ebene der "Autonomie" an die jeweiligen Bildungseinrichtungen ausgelagert werden. Das macht zwar verallgemeinerte Proteste schwerer, dafür kann es aber zu konzentrierten, punktuellen Protesten rund um einzelne Schulen/Unis kommen.

Besonders groß ist das Frustpotenzial bei Jugendlichen mit migrantischem Hintergrund. Nicht nur dass sie sozial noch weniger Möglichkeiten haben, wird ihnen auch von Staat und Politik ständig vermittelt, nicht willkommen, nicht akzeptiert, nicht gleichwertig zu sein - und zwar unabhängig davon, ob sie österreichische StaatsbürgerInnen sind. V.a. unter türkischstämmigen Jugendlichen führt das zu einer höheren Identifikation mit der Türkei bzw. dem Islam. Doch die Propaganda über eine angebliche fundamentalistische Welle in Österreich, die "die islamischen Jugendlichen" der Isis/IS in die Arme treiben würde, ist eben das - rassistische Propaganda. Einzelfälle von Jugendlichen (und Erwachsenen), die sich dem religiösen Fundamentalismus zuwenden - im Nahen Osten zum Islam, in den USA zum Christentum, in Sri Lanka zum Buddhismus etc. - gibt es immer. Aber auch wenn es hier eine Zunahme gibt, ist der Fundamentalismus die Ausnahme, ist bei den meisten die Religiosität v.a. eine Rebellion gegen die herrschenden Missstände. Die Zunahme von Religiosität ist auch das Ergebnis der Fehler der Gewerkschaft und der österreichischen Linken, denen es bisher nicht gelungen ist, bei migrantischen Jugendlichen auch nur einen "Fuß in die Tür" zu bekommen. Das liegt daran und führt aber auch dazu, dass die größten Teile der Linken stark verkopft sind - also sich gerne akademisch-abstrakt geben und eine Sprache benützen, die für weite Teile der Bevölkerung unverständlich ist - und die generell keinen Zugang zu Lehrlingen und bildungsferneren Schichten haben. Und es liegt daran, dass auch die Gewerkschaft bei Jugendlichen schon längst keinen Auftrag mehr hat (kaum eine Fachgewerkschaft hat noch Jugendstrukturen, die ÖGJ ist de facto nicht existent) und MigrantInnen bis heute von den Gewerkschaften bestenfalls als Mitglieder, nicht aber als MitstreiterInnen gesehen werden. Das Problem der Spaltung in in- und ausländische Jugendliche kann sich noch weiter verschärfen, wenn keine Brücke für einen gemeinsamen Kampf für gemeinsame Interessen gefunden wird. Doch durch ein entsprechendes Angebot an Jobs und Wohnungen, von Gleichberechtigung und einer neuen ArbeiterInnenpartei, die für all das kämpft, könnte der Trend umgekehrt und die Spaltung überwunden werden. Auch deshalb ist die Verbindung von antirassistischen mit sozialen Protesten so dringend notwendig. Ein Antirassismus, der sich auf moralische Empörung beschränkt, wird die Betroffenen kaum erreichen. Den einzigen Berührungspunkt zwischen Linker und migrantischen Jugendlichen gibt es in der Praxis bei Protesten gegen die FPÖ - hier gilt es anzusetzen und auch ein soziales Programm gegen die FPÖ und ihre Wahlhelfer SPÖ und ÖVP in den Vordergrund zu stellen. Eine neue ArbeiterInnenpartei hat das Potenzial und die Möglichkeit, dem Aufstieg konservativer und fundamentalistischer Strömungen unter Jugendlichen entgegenzuwirken.

Ein prägendes Element der kommenden Periode wird die gestiegene Wahrscheinlichkeit einer Regierungsbeteiligung der FPÖ sein. In Teilen der Gewerkschaft kann das sogar als Hoffnung gesehen werden, die SPÖ wieder "nach links" zu rücken, wieder sozialer zu machen. Doch das wird sich rasch als Illusion herausstellen, da die FPÖ eine Partei der Gewerkschaftsfeinde und letztlich der neoliberalen Kürzungspolitiker ist - das hat sich immer dann gezeigt, wenn sie auf lokaler, regionaler oder auch Bundesebene (mit)regiert hat. Proteste gegen die FPÖ werden auch in Zukunft ein wichtiger Brennpunkt sein. Eine Koalition der SPÖ mit der FPÖ wird zu Konflikten in der SPÖ führen und für einen Teil, v.a. im Bereich der Jugend, auch zu einem Bruch. Für eine gewisse Zeit können die Grünen von so einer Entwicklung profitieren, wenn sie sich als einzige Parlamentspartei präsentieren, für die eine Zusammenarbeit mit der FPÖ nicht infrage kommt. Doch ihre Angepasstheit in der Methode und ihre inhaltliche Orientierung auf Wirtschaftsinteressen macht sie längerfristig nicht zu einem Attraktionspool für Kräfte, die ernsthaft gegen die FPÖ und ihren Rassismus auftreten wollen. Mit einer Regierungsbeteiligung wird die FPÖ ihr arbeiterInnenfeindliches, unternehmerfreundliches, und ganz und gar nicht "soziales" Gesicht noch deutlicher zeigen und einen Teil ihrer WählerInnen enttäuschen. Eine simple Wiederholung von Knittelfeld und der FPÖ-Spaltung ist nicht zu erwarten, doch kann sich ein Fenster für eine Partei rechts der FPÖ öffnen. Der Kampf gegen die FPÖ und etwaige rechte Abspaltungen wird auch in den kommenden Jahren ein zentraler Bestandteil der Arbeit der SLP sein. Er muss mit sozialen Themen verknüpft werden und kann insofern auch einer der Ansatzpunkte für eine neue ArbeiterInnenpartei sein.

Die Bildung einer neuen ArbeiterInnenpartei wird im Kampf um soziale Rechte von zentraler Bedeutung sein. Sie muss aus AktivistInnen der ArbeiterInnenklasse, der Gewerkschaft und sozialen Bewegungen bestehen. Sie wird dazu beitragen, dass sich ArbeiterInnen organisieren, koordinieren und vereint gegen die Politik der Herrschenden kämpfen. Sie muss dafür sorgen, dass die einzelnen aufflammenden Proteste auf dauerhafter Basis geführt werden und ihnen einen politischen Ausdruck verleihen. Dies kann auch der pseudosozialen Propaganda von FPÖ und Konsorten das Wasser abgraben. Die SLP wird sich innerhalb einer solchen Partei als revolutionäre Kraft engagieren und dafür kämpfen, dass eine neue ArbeiterInnenpartei auch ein revolutionäres Programm vertritt und versucht, das Grundübel aller sozialen Probleme, den Kapitalismus, durch eine demokratische sozialistische Gesellschaft zu ersetzten. 

Die SLP bereitet sich mit ihrer Konferenz im Oktober 2014 auf die kommenden Kämpfe und Bewegungen vor. Wir haben keine Kristallkugel, können also nicht genau vorhersagen, in welchen Feldern Proteste zuerst aufbrechen werden. Doch die Wut einer enttäuschten Jugend, der Frust von ArbeiterInnen, die um ihre Zukunft kämpfen, der Ärger über die rassistische Sündenbockpolitik von Staat und Politik werden in der kommenden Periode zu einer Reihe von Protesten führen. Es entstehen immer mehr Wutblasen, die nur kleine Auslöser brauchen, um auszubrechen. Diese Ausbrüche können individuell und destruktiv sein (Drogenmissbrauch, Gewalt etc.), doch sie können bei entsprechenden Angeboten auch zu großen sozialen Bewegungen, zu Klassenkämpfen und revolutionären Ereignissen führen - und die SLP wird sich an diesen beteiligen, sie initiieren und organisieren.