Michi und das rosa Wien

Helga Schröder

An der Spitze der Wahlkampf-veranlassten Selbstbeweihräucherung steht Wiens Bürgermeister Häupl mit dem Slogan „Wir bauen wieder Gemeindewohnungen“. Die SPÖ führt sich damit in Wien selbst ad absurdum: Bislang haben sich die Regierenden in Wien stets für einen angeblich vorhandenen „sozialen Wohnbau“ bejubelt. Wo der sein sollte, wurde nicht dazugesagt. Auf Nachfrage wurde dann immer auf die geförderten Genossenschaftswohnungen verwiesen, die sich viele nicht leisten können. Dass seit fast 15 Jahren keine Gemeindewohnungen mehr gebaut werden, wurde möglichst verschwiegen. Jetzt wird das quasi zugegeben, aber wieder übergangen, warum zuerst die SPÖ, jetzt die rot-grüne Stadtregierung, sozialen Wohnbau bis jetzt offenbar nicht für nötig hielt.

Wer in Wien eine Wohnung braucht, dem wird sogar von den zuständigen Stellen ganz offen empfohlen, sich an eineN BezirkspolitikerIn zu wenden (darf auch die FPÖ sein), um zu einer Gemeindewohnung zu kommen und es wird unumwunden Rassismus geschürt. Die am meisten unter der Wohnmisere leidenden müssen also noch als Sündenböcke herhalten, um von Versäumnissen und Selbstbereicherung der etablierten Politik abzulenken. So kommen Rechtsextreme mit Hilfe der Wohnmisere zu Wahlstimmen von verzweifelt Wohnungssuchenden, ohne jemals eine Alternative für die Lösung sozialer Probleme anzubieten. Und die SPÖ ist dabei nicht die Lösung, sondern wesentlicher Teil des Problems.

Dass die etablierte Politik jetzt die Wohnmisere für Wahlkampfpropaganda entdeckt, zeigt, dass die Misere wirklich groß ist und die PolitikerInnen unter einem gewissen Druck stehen. Es sei aber davor gewarnt, sich von diesen Leuten eine Lösung zu erwarten. Denn der erfolgreichere, gut organisierte Druck auf die Politik kommt von der Wirtschaft, von den Unternehmen. Das ist an den vorgeschlagenen „Lösungen“ der PolitikerInnen (egal ob schwarz, rosa, grün oder pink) gut erkennbar. Der Unmut bei ArbeitnehmerInnen, Armen, Wohnungssuchenden, beengt und prekär Wohnenden ist groß, doch es fehlt an organisiertem Druck, weil wir keine Organisation und vor allem keine Partei zur Verfügung haben, die einen solchen Druck organisiert. ImmobilienbesitzerInnen, Bauunternehmen und Banken hingegen haben sämtliche etablierte Parteien und andere starke Organisationen mit reichlich Ressourcen im Rücken. Prekäre Lebenssituationen, Niedriglöhne und Armut machen es auf der anderen Seite für MieterInnen unmöglich, auch nur die grundlegendsten Rechte geltend zu machen.

Sozialer Wohnbau muss von uns erkämpft werden.

Häupls Gemeindewohnungen „neu“ sind außerdem maximal ein neoliberaler Abklatsch von sozialem Wohnbau. Geplant ist (wieder mal) die Gründung einer eigenen privatwirtschaftlich organisierten Gesellschaft, die Wohnungen errichten soll. Die Stadt selbst baut also nichts. Sie ist nur über ein Konstrukt von mehreren Kapitalgesellschaften beteiligt. In diesen Gesellschaften gibt es immer gutdotierte Posten und Verdienstmöglichkeiten für KarrieristInnen und FreundInnen, die bedient werden wollen. Ein „Sondertopf“ von 25 Millionen soll dafür zur Verfügung stehen, es gibt aber keine Information darüber, woraus sich dieser Topf speisen soll. Und ob das reicht ist ohnehin zu hinterfragen. Zu befürchten ist also, dass durch Erhöhung von Massensteuern und v.a. Gebühren (auch wenn die momentan aus Wahlkampfgründen in Wien nicht erhöht werden sollen, die aber in den letzten Jahren kräftig gestiegen sind) und durch Kürzungen von Sozial-, Bildungs- und Gesundheitsleistungen wir selbst zur Kasse gebeten werden und nicht Reiche, Banken, Immobilienkonzerne und SpekulantInnen.

Wenn Häupl sagt, man lebe nicht in der Vergangenheit, deshalb brauche es die Gemeindewohnung neu, dann heißt das: Während im „roten Wien“ wirklich innovative und soziale Wohnungen gebaut wurden und das mit Reichensteuern finanziert wurde, also eine Umverteilung von reich nach arm stattfand, so hat man sich von einer solchen Umverteilung weit entfernt. „Neu“ heißt also: Das Geld wird nicht von den Superreichen geholt, wir müssen uns die Wohnungen (plus der Gewinne der daran verdienenden) selbst bezahlen. Auch erfolgen Ausgliederungen über privatwirtschaftliche Gesellschaften und es ist völlig unklar, wie sich das mit 25 Millionen ausgehen soll. Bei den durchschnittlichen Baukosten würde jede der versprochenen 2.000 Wohnungen weniger als 7 Quadratmeter Nutzfläche haben. Auch die Miete ist über dem Richtwert. Die Miete in den 2.000 versprochenen Gemeindewohnungen „neu“ soll max. 7,50 Euro betragen. Der Richtwert für Wien beträgt derzeit 5,39 Euro/m². Das ist der gesetzlich erlaubte Mietzins für eine „Normwohnung“ in einem Altbau, von dem dann nach verschiedenen Austattungen und Qualitätskriterien Zu- oder Abschläge gerechnet werden. Daran hält sich freilich fast kein Vermieter und so gut wie immer werden nur Aufschläge, nie Abschläge gemacht. Die Höchstmiete im Gemeindebau „neu“ ist also schon mal über dem Richtwert. Gutverdienende PolitikerInnen, FunktionärInnen und UnternehmerInnen mögen 7,50/m² als „niedrige Miete“ empfinden. Die meisten Menschen, auf deren Rücken die Unternehmen die Krise abwälzen wollen, leiden aber unter Niedriglöhnen, Arbeitslosigkeit und prekärer Beschäftigung. 14,4 % der Bevölkerung sind einkommensarm, dh sie müssen mit weniger als 1.104 Euro monatlich auskommen. MindestsicherungsbezieherInnen in Wien wird gar ein Leben mit 827,82 Euro monatlich zugemutet. Eine winzige 40 m²-Gemeindewohnung „neu“ würde sich mit 300 Euro (nur Miete!) monatlich zu Buche schlagen. Nach Zahlung der Energiekosten bleibt dann für Nahrung nicht viel übrig. Von Teilnahme an der Gesellschaft brauchen wir da nicht mehr sprechen (Telekommunikation wird zum Luxus). Von sozialem Wohnbau ist das also recht weit entfernt. Doch abgesehen davon, wäre auch Bau von echten Sozialwohnungen noch viel zu wenig, solange Immobilienspekulation und Mietwucher nicht durch Enteignung verhindert wird und Wohnkosten nicht effektiv, überall und für alle eingedämmt werden. Das aber wollen Häupl & Co genauso wenig wie die rechten rassistischen HetzerInnen. Denn sie alle vertreten die andere Seite. Uns bleibt deshalb keine andere Wahl, als uns zu organisieren.