Marx aktuell: Der Verrat der Sozialdemokratie 1914

Fabian Lehr

Als der 1. Weltkrieg ausbrach, galt die deutsche Sozialdemokratie als größte, am Besten organisierte und theoretisch bestgeschulte Massenorganisation von ArbeiterInnen weltweit. Entsprechend groß waren die Erwartungen, die bei Proklamation des Krieges SozialistInnen überall in sie setzten.

Das war der große Krieg, den linke SozialdemokratInnen seit Jahren als sichere Folge der wirtschaftlichen Konkurrenz und des Wettrüstens zwischen den Großmächten vorhergesagt hatten. Noch 1912 hatten deutsche und österreichische SozialdemokratInnen auf dem Internationalen Sozialistenkongress in Basel feierlich geschworen, im Fall des Kriegsausbruchs alles zu tun, um den Krieg durch energischen Protest, Streiks und Demonstrationen zu ersticken.
Als nun der Ernstfall eintrat, blieben nur leere Phrasen. Nicht nur, dass die Sozialdemokratie nichts tat, um die ArbeiterInnen zum Widerstand gegen den Krieg aufzurufen. Nein, sie trat offen auf die Seite der imperialistischen Kriegsfraktion über: Die SPD bewilligte im Reichstag die für den Angriffskrieg notwendigen Kredite, und deutsche wie österreichische Sozialdemokratie stimmten dem "Burgfrieden" zu, der beide Länder für die Dauer des Krieges in eine Militärdiktatur verwandelte, in der Streiks, Demonstrationen und Agitation für den Frieden verboten waren. Begleitet wurden diese Maßnahmen von einem scharfen Kurswechsel der sozialdemokratischen Presse: Sie fiel in nationalistische Kriegsbegeisterung und rief die Arbeiter zu den Schlachtfeldern um für die Profitinteresse ihrer AusbeuterInnen gegen französische, englische und russische Arbeiter zu kämpfen.
Die sozialdemokratische Bürokratie hatte sich in den Jahren zuvor immer mehr in den bürgerlichen Staat eingefügt und auf dessen Erhalt und Reformierung statt revolutionäre Veränderung gesetzt. Das führte in Konsequenz zur Opferung von Millionen ArbeiterInnen.
So groß war das alte Ansehen der SPD, dass Lenin die Meldung von ihrer Bewilligung der Kriegskredite nicht glauben wollte und für Propaganda hielt.
Aber es regte sich bald Widerstand. Parteilinke wie Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und Clara Zetkin prangerten den beispiellosen Verrat ihrer Parteispitze scharf an, und 1915 versammelten sich auf dem Zimmerwalder Kongress linke SozialistInnen aus ganz Europa, um sich der sozialdemokratischen Kriegspolitik entgegenzustellen, darunter Lenin und Trotzki, der den ArbeiterInnen Europas zurief: "Proletarier! Seit Ausbruch des Krieges habt ihr eure Tatkraft, euren Mut, eure Ausdauer in den Dienst der herrschenden Klassen gestellt. Nun gilt es, für die eigene Sache, für die heiligen Ziele des Sozialismus, für die Erlösung der unterdrückten Völker wie der geknechteten Klassen einzutreten durch den unversöhnlichen proletarischen Klassenkampf."
Die 2. Internationale zerbrach an der Frage, doch es entstanden oder erstarkten bald linke ArbeiterInnenparteien, die mit der Sozialdemokratie brachen, sich in der 3. Internationale zusammenfanden. Sie traten (bis zu ihrer stalinistischen Degeneration) für den Sturz des Kapitalismus ein, der immer wieder den Krieg bringt: Die Bolschewiki in Russland, in Deutschland erst die USPD, dann die KPD, die die ArbeiterInnen 1917 bzw. 1918 in der Revolution führten.

 

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