Manifest des Zentralkomitees der Russischen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei über den imperialistischen Krieg. (September 1914)

Der europäische Krieg, der jahrzehntelang von den Regie­rungen und den bürgerlichen Parteien aller Länder vorbereitet wurde, ist ausgebrochen. Die zunehmenden Rüstungen, die außerordentliche Verschärfung des Kampfes um die Absatzmärkte im jüngsten, imperialistischen Stadium der kapitalistischen Ent­wicklung der fortgeschrittenen Länder, die dynastischen Interessen der rückständigen osteuropäischen Monarchien endlich mussten zu diesem Kriege führen und führten auch zu ihm. Besetzung fremder Gebiete und Unterwerfung fremder Nationalitäten, Zerschmetterung der konkurrierenden Nation, Plünderung ihrer Reichtümer, Ablenkung der werktätigen Massen von den inneren politischen Krisen in Russland, Deutschland, England und an­deren Ländern, die Zersplitterung und nationalistische Irre­führung der Arbeiter und die Vernichtung ihrer Avantgarde zur Schwächung der revolutionären Bewegung des Proletariats, ­das ist der einzige wirkliche Inhalt, der Sinn und die Bedeutung des jetzigen Krieges.

Der Sozialdemokratie fällt vor allem die Pflicht zu, diese wahre Bedeutung des Krieges aufzudecken und schonungslos die Lügen, die Sophismen und die „patriotischen“ Phrasen zu ent­larven, die von den herrschenden Klassen, den Gutsbesitzern und der Bourgeoisie zugunsten des Krieges verbreitet werden.

An der Spitze der einen Gruppe der kriegführenden Nationen steht die deutsche Bourgeoisie. Sie prellt die Arbeiterklasse und die werktätigen Massen, indem sie behauptet, dass sie den Krieg führe zum Schutz der Heimat, der Freiheit und der Kultur, zur Befreiung der vom Zarismus unterdrückten Völker, zur Zerschmetterung des reaktionären Zarismus. In Wirklichkeit aber war namentlich diese Bourgeoisie, die den preußischen Junkern und Wilhelm II. den Stiefel leckt, stets die treueste Verbündete des Zarismus und ein Feind der revolutionären Bewegung der Arbeiter und Bauern in Russland. In Wirklichkeit wird diese Bourgeoisie gemeinsam mit den Junkern alle ihre Bemühungen darauf richten, wie der Krieg auch ausgehen mag, die Zarenmonarchie gegen die Revolution in Russland zu unterstützen.

Tatsächlich hat die deutsche Bourgeoisie einen Raubzug gegen Serbien unternommen, um es zu erobern und die nationale Revolution der Südslawen zu erdrosseln. Zugleich hat sie die Hauptmasse ihrer militärischen Kräfte gegen freiere Länder, gegen Belgien und Frankreich gerichtet, um die reicheren Kon­kurrenten auszuplündern. Die deutsche Bourgeoisie, die ihrer­seits die Märchen vom Verteidigungskrieg verbreitet, hat in Wirklichkeit den von ihrem Standpunkt aus günstigsten Kriegsmoment gewählt, indem sie sich die letzten Vervollkommnungen ihrer kriegstechnischen Ausrüstung zunutze machte und den neuen Rüstungen, die von Russland und Frankreich bereits vor­gesehen und bewilligt waren, zuvorkam.

An der Spitze der anderen Gruppe der kriegführenden Nationen steht die englische und die französische Bourgeoisie, die das Proletariat und die werktätigen Massen prellen, indem sie beteuern, dass sie den Krieg führen für Heimat, Freiheit und Kultur, gegen den Militarismus und die Despotie Deutschlands. In Wirklichkeit aber hatte diese Bourgeoisie schon längst für ihre Milliarden die Truppen des russischen Zarismus gedungen, der reaktionärsten und barbarischsten Monarchie Europas, und sie zum Losschlagen gegen Deutschland vorbereitet. In Wirklich­keit bezweckt der Kampf der englischen und französischen Bour­geoisie die Annexion der deutschen Kolonien und die Vernichtung einer konkurrenzfähigen Nation, die über eine raschere wirt­schaftliche Entwicklung verfügt. Und zu diesem edlen Zweck helfen die „fortgeschrittenen“ demokratischen Nationen dem bar­barischen Zarismus, Polen, die Ukraine usw. noch mehr zu wür­gen, noch mehr die Revolution in Russland zu drosseln.

Keine der Gruppen der kriegführenden Länder steht hinter der anderen zurück an Plünderungen, Brutalitäten und endlosen Kriegsgräueln, aber um das Proletariat irrezuführen und es von dem einzig wirklichen Befreiungskrieg abzulenken, nämlich dem Bürgerkrieg gegen die Bourgeoisie, sowohl des „eigenen“, als der „fremden“ Länder, zu diesem hohen Ziel sucht die Bour­geoisie eines jeden Landes mit verlogenen Phrasen über Patriotis­mus die Bedeutung „ihres“ nationalen Krieges zu glorifizieren, und behauptet, sie wolle den Gegner besiegen, nicht um der Ausplünderung und der Annexionen willen, sondern im Namen der „Befreiung“ aller Völker - mit Ausnahme ihres eigenen.

Aber je eifriger die Regierungen und die Bourgeoisie aller Länder bemüht sind, die Arbeiter zu trennen und sie aufein­anderzuhetzen, je brutaler zu diesem edlen Zweck ein System von Kriegsverordnungen und Kriegszensur gehandhabt wird (die jetzt, während des Kriegs, den ,,inneren“ Feind viel mehr ver­folgt als den äußeren), - umso mehr muss es die Pflicht des klassenbewussten Proletariats sein, seinen Klassenzusammenhang, seinen Internationalismus, und seine sozialistischen Überzeugun­gen gegen die Exzesse des Chauvinismus der patriotischen bürgerlichen Clique aller Länder zu verteidigen. Auf diese Auf­gabe verzichten, würde für die klassenbewussten Arbeiter be­deuten, auf alle befreienden und demokratischen, und vor allem sozialistischen Bestrebungen verzichten.

Mit einem Gefühl der tiefsten Bitternis muss man konstatieren, dass die sozialistischen Parteien der wichtigsten europäischen Länder dieser ihrer Aufgabe nicht gerecht wurden; das Ver­halten der Führer dieser Parteien - insbesondere derjenigen der deutschen Partei - grenzt an direkten Verrat an der Sache des Sozialismus. In einem Moment von höchster welthistorischer Wichtigkeit versuchen die meisten Führer der jetzigen, II. sozia­listischen Internationale (1880-1914) den Sozialismus mit Na­tionalismus zu vertauschen. Es ist ihrem Verhalten zu verdanken, dass die Arbeiterparteien dieser Länder sich dem verbrecherischen Wirken der Regierungen nicht entgegengestemmt, sondern die Arbeiterklasse aufgerufen haben, sich auf die Seite der imperia­listischen Regierungen zu stellen. Die Führer der Internationale haben am Sozialismus Verrat geübt, indem sie die Kriegskredite bewilligten, in die chauvinistischen („patriotischen“) Parolen der Bourgeoisie „ihrer“ Länder einstimmten, den Krieg rechtfertigten und verteidigten, in die bürgerlichen Regierungen der krieg-führenden Länder eintraten usw. usw. Die einflussreichsten sozia­listischen Führer und die einflussreichsten Organe der sozialisti­schen Presse des heutigen Europa nehmen jetzt einen chauvi­nistisch-bürgerlichen und liberalen, aber keineswegs sozialisti­schen Standpunkt ein. Die Verantwortung für diese Schändung des Sozialismus fällt vor allem auf die deutschen Soizaldemokraten, die stärkste und einflussreichste Partei der II. Internationale. Man darf aber auch die französischen Sozialisten nicht in Schutz nehmen, die Ministerposten annehmen in der Regierung derselben Bourgeoisie, die ihr Vaterland preisgab und sich mit Bismarck zur Niederwerfung der Kommune vereinigte.

Die deutschen und österreichischen Sozialdemokraten ver­suchen ihre Unterstützung des Krieges dadurch zu rechtfertigen, dass sie angeblich damit gegen den russischen Zarismus kämpfen. Wir russischen Sozialdemokraten erklären, dass wir eine der­artige Rechtfertigung für ein Sophisma halten. Die revolutio­näre Bewegung gegen den Zarismus hatte in unserem Lande in den letzten Jahren wieder gewaltige Dimensionen angenommen. An der Spitze dieser Bewegung marschierte die ganze Zeit hin­durch die russische Arbeiterklasse. Die politischen Millionenstreiks der letzten Jahre verliefen unter der Parole des Sturzes des Zarismus und der Forderung der demokratischen Republik. Noch am Vorabend des Krieges konnte der Präsident der fran­zösischen Republik, Poincaréé während seines Besuchs bei Nikolaus II. selbst auf den Straßen von Petersburg Barrikaden sehen, die von den Händen der russischen Arbeiter errichtet worden waren. Das russische Proletariat macht vor keinen Opfern halt, um die Menschheit von der Schmach der Zarenmonarchie zu befreien. Doch wir müssen sagen: wenn etwas dazu angetan ist, unter gewissen Umständen den Untergang des Zarismus hinauszuschieben und dem Zarismus in seinem Kampf gegen die ganze russische Demokratie zu Hilfe zu kommen, so ist es gerade der jetzige Krieg, der den Geldsack der englischen, der französischen und der russischen Bourgeoisie in den Dienst der reaktionären Ziele des Zarismus gestellt hat. Und wenn etwas den revolutionären Kampf der russischen Arbeiterklasse gegen den Zarismus erschweren kann, so ist es namentlich die Stellungnahme der Führer der deutschen und österreichischen Sozialdemokratie, die uns vorzuhalten die chauvinistische Presse in Russland nicht müde wird.

Selbst zugegeben, dass der Mangel an Kräften bei der deut­schen Sozialdemokratie so groß war, dass er sie zwingen konnte, auf jegliche revolutionäre Aktion zu verzichten, - so darf man sich auch dann dem chauvinistischen Lager nicht anschließen und darf nicht Schritte unternehmen, von denen die italienischen Sozialisten mit Recht meinten, dass die Führer der deutschen Sozialdemokraten das Banner der proletarischen Internationale entehrt haben.

Unsere Partei, die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Russlands, hat infolge des Krieges gewaltige Verluste erlitten und wird noch solche erleiden. Unsere gesamte legale Arbeiterpresse ist eingestellt. Die meisten Verbände sind inhibiert, viele un­serer Genossen sind verhaftet und in der Verbannung, aber un­sere parlamentarische Vertretung, die Fraktion der Sozialdemo­kratischen Arbeiter Russlands in der Staatsduma, hielt es für ihre unbedingte sozialistische Pflicht, die Kriegskredite nicht zu bewilligen und sogar den Sitzungssaal zu verlassen, zur ener­gischeren Bekundung ihres Protests; sie hielt es für ihre Pflicht, die Politik der europäischen Regierungen als imperialistische zu brandmarken. Und ungeachtet des verzehnfachten Drucks der zaristischen Regierung geben unsere Genossen, die Arbeiter in Russland, bereits die ersten illegalen Aufrufe gegen den Krieg heraus und erfüllen somit ihre Pflicht vor der Demokratie und der Internationale.

Wenn die Vertreter der revolutionären Sozialdemokratie in Gestalt der Minorität der deutschen Sozialdemokraten und der besten Sozialdemokraten der neutralen Länder ein brennendes Schamgefühl über den Zusammenbruch der II. Internationale empfinden; wenn sozialistische Stimmen sowohl in England als auch in Frankreich gegen den Chauvinismus der sozialdemo­kratischen Majorität laut werden; wenn Opportunisten wie z. B. in Gestalt der „Sozialistischen Monatshefte“, die schon längst auf einem nationalliberalen Standpunkt angelangt sind, durchaus mit Recht ihren Sieg über den europäischen Sozialismus ver­künden, - so erweisen den allerschlimmsten Dienst dem Prole­tariat jene Schwankenden zwischen Opportunismus und revo­lutionärer Sozialdemokratie (wie das „Zentrum“ der deutschen sozialdemokratischen Partei), die bemüht sind, den Zusammen­bruch der II. Internationale zu verschweigen oder mit diplomati­schen Fragen zu vertuschen.

Im Gegenteil, es gilt diesen Zusammenbruch offen anzu­erkennen und seine Ursachen zu verstehen, um einen neuen festeren sozialistischen Zusammenschluss der Arbeiter aller Län­der aufbauen zu können.

Die Opportunisten hatten die Beschlüsse der Kongresse in Stuttgart, Kopenhagen und Basel niedergestimmt, die den Sozia­listen aller Länder die Pflicht auferlegten, unter allen Umständen gegen den Chauvinismus zu kämpfen, die die Sozialisten ver­pflichteten, jeden Krieg, der von der Bourgeoisie und den Regie­rungen begonnen werden sollte, mit einer intensiven Propagie­rung des Bürgerkriegs und der sozialen Revolution zu beant­worten. Der Zusammenbruch der II. Internationale ist ein Zu­sammenbruch des Opportunismus, der gezüchtet wurde auf dem Boden der Eigentümlichkeiten der vergangenen (sogenannten „friedlichen“) historischen Epoche und in den letzten Jahren fak­tisch die Oberhand in der Internationale erlangt hat. Die Oppor­tunisten bereiteten längst diesen Zusammenbruch vor dadurch, dass sie die sozialistische Revolution leugneten und sie mit bürger­lichen Reformen vertauschten; dass sie den Klassenkampf mit seinem in bestimmten Momenten notwendigen Übergang in den Bürgerkrieg leugneten und das Zusammengehen der Klassen predigten; dass sie den bürgerlichen Chauvinismus predigten unter dem Namen des Patriotismus und der Vaterlandsverteidigung und die Grundwahrheit des Sozialismus, die schon im Kommunistischen Manifest dargelegt ist, leugneten, nämlich, dass die Arbeiter kein Vaterland haben; dass sie im Kampf mit dem Militarismus sich auf einen sentimental-kleinbürgerlichen Stand­punkt beschränkten, anstatt die Notwendigkeit des revolutio­nären Kampfs der Proletarier aller Länder gegen die Bourgeoisie aller Länder anzuerkennen; dass sie die notwendige Ausnutzung des bürgerlichen Parlamentarismus und der bürgerlichen Legali­tät zum Fetisch erhöben und die Notwendigkeit der illegalen Formen der Organisation und Agitation in Zeiten der Krise ver­gaßen. Die natürliche „Ergänzung“ des Opportunismus, die anarcho-syndikalistische Strömung, die bürgerlich und dem proletarischen, d. h. dem marxistischen Standpunkt feindlich ist, tat sich ebenso schmachvoll hervor, durch ihre selbstzufriedene Wiederholung der chauvinistischen Parolen während der jetzigen Krise.

Man kann den Aufgaben des Sozialismus in der gegen­wärtigen Zeit nicht gerecht werden, man kann den wirklichen internationalen Zusammenschluss der Arbeiter nicht verwirk­lichen, ohne entschlossen mit dem Opportunismus zu brechen, ohne den Massen die Unvermeidlichkeit seines Fiaskos klar­zumachen.

Die Aufgabe der Sozialdemokratie jedes Landes muss in erster Linie im Kampf mit dem Chauvinismus dieses Landes be­stehen. In Russland hat dieser Chauvinismus den ganzen bürger­lichen Liberalismus (Kadetten) und einen Teil der Narodniki bis zu den Sozialrevolutionären und den „rechten“ Sozialdemokraten erfasst. (Zu brandmarken sind besonders die chauvinistischen Kundgebungen der E. Smirnow, P. Maslow und G. Plechanow, die von der bürgerlich-“patriotischen“ Presse aufgegriffen und großzügig ausgenutzt wurden.)

Unter der gegebenen Sachlage kann man vom Standpunkt des internationalen Proletariats nicht bestimmen, ob die Nieder­lage der einen Gruppe der kriegführenden Nationen das kleinere Übel für den Sozialismus sein würde oder die Niederlage der anderen. Es kann für uns russische Sozialdemokraten keinem Zweifel unterliegen, dass vom Standpunkt der Arbeiterklasse und der werktätigen Massen aller Völker Russlands das kleinste Übel die Niederlage der Zarenmonarchie wäre, dieser reaktionärsten und barbarischsten Regierung, die die meisten Nationen und den größten Teil der Bevölkerung Europas und Asiens in Unterdrückung hält.

Die nächste politische Losung der Sozialdemokratie Europas muss die Bildung der republikanischen „Vereinigten Staaten“ Europas sein, wobei die Sozialdemokraten, zum Unterschied von der Bourgeoisie, die bereit ist, alles, was man will zu „ver­sprechen“, um nur das Proletariat in den allgemeinen Strudel des Chauvinismus mit fortzureißen, die ganze Verlogenheit und Sinnlosigkeit dieser Losung ohne die revolutionäre Niederwerfung der deutschen, der österreichischen und der russischen Monarchie erklären müssen.(1)

In Russland muss die Aufgabe der Sozialdemokratie in An­betracht der Rückständigkeit dieses Landes, das seine bürger­liche Revolution noch nicht vollendet hat, nach wie vor in den drei Grundbedingungen der konsequenten demokratischen Umgestaltung bestehen: Demokratische Republik (bei völliger Gleichberechtigung und Selbstbestimmung aller Nationen), Be­schlagnahme des Großgrundbesitzes und Achtstundentag. In allen fortgeschrittenen Ländern aber setzt der Krieg die Losung der sozialistischen Revolution auf die Tagesordnung, die umso dringender wird, je mehr die Bürden des Krieges dem Proletariat zur Last fallen, je aktiver seine Rolle bei der Wiederaufrichtung Europas werden soll nach all den Gräueln der jetzigen „patrio­tischen“ Barbarei unter den gewaltigen technischen Mitteln des Großkapitalismus.

Dadurch, dass die Bourgeoisie die Gesetze der Kriegszeit dazu benutzt, das Proletariat vollkommen mundtot zu machen, erwächst der Arbeiterklasse die unbedingte Aufgabe, illegale Formen der Agitation und Organisation zu schaffen. Mögen die Opportunisten die legalen Organisationen „behüten“ um den Preis der Preisgabe ihrer Überzeugungen! Die revolutionären Sozialdemokraten werden die organisatorischen Fähigkeiten und Verbindungen der Arbeiterklasse ausnutzen, um der Periode der Krise entsprechende illegale Kampfformen für den Sozialismus zu schaffen, und um die Arbeiter nicht mit der chauvinistischen Bourgeoisie ihres Landes, sondern mit den Arbeitern aller Länder zu verbünden. Die proletarische Internationale ist nicht unter­gegangen und wird nicht untergehen. Durch alle Hindernisse hindurch werden die Arbeitermassen eine neue Internationale schaffen. Der jetzige Triumph des Opportunismus wird nicht langlebig sein. Je mehr Opfer der Krieg kosten wird, desto klarer wird den Arbeitermassen der Verrat der Opportunisten an der Arbeitersache werden und die Notwendigkeit, die Waffen gegen die Regierungen und die Bourgeoisie des eigenen Landes zu kehren.

Die Überleitung des jetzigen imperialistischen Krieges in den Bürgerkrieg ist die einzig richtige proletarische Losung, die von den Erfahrungen der Kommune diktiert wird, die in der Basler Resolution (1912) vorgezeichnet ist und die sich aus den ganzen Verhältnissen des imperialistischen Krieges zwischen den hochentwickelten bürgerlichen Ländern ergibt. So groß auch in diesem oder jenem Moment die Schwierigkeiten einer solchen Überleitung erscheinen mögen, die Sozialisten werden niemals auf die systematische, beharrliche, unentwegte Vorbereitungsarbeit in dieser Richtung verzichten, sobald der Krieg zur voll­endeten Tatsache geworden ist.

Nur auf diesem Weg wird das Proletariat imstande sein, sich von seiner Abhängigkeit von der chauvinistischen Bour­geoisie freizumachen und in dieser oder jener Form, mehr oder weniger rasch, entschlossene Schritte auf dem Wege zur wirk­lichen Freiheit der Völker, auf dem Wege zum Sozialismus zu tun.

  • Es lebe die internationale Verbrüderung der Arbeiter gegen den Chauvinismus und den Patriotismus der Bourgeoisie aller Länder!
  • Es lebe die vom Opportunismus befreite proletarische Internationale!
  • Das Zentralkomitee der Russischen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei.

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(1) Die Forderung der Vereinigten Staaten Europas im Manifest des Zentralkomitees, das diese Forderung an einen Appell zum Sturz der Monarchie in Russland, Österreich und Deutschland geknüpft hat, unterscheidet sich von der pazifistischen Auslegung dieser Losung durch Kautsky und andere. In Nummer 44 des Zentralorgans der russischen Partei „Sozialdemokrat" war ein redaktioneller Aufsatz veröffentlicht, in dem die wirtschaftliche Unrichtigkeit der Losung „Vereinigte Staaten Europas" bewiesen wurde. Entweder ist sie eine Forderung, die unter dem Kapitalismus unrealisierbar ist, weil sie eine planmäßige Weltwirtschaft bei einer Teilung der Kolonien, der Einflusssphären usw. zwischen den einzelnen Ländern voraussetzt, oder sie ist eine reaktionäre Losung, die ein vorübergehendes Bündnis der Großmächte Europas bedeutet, zum Zweck einer erfolgreicheren Unterdrückung der Kolonien und der Ausplünderung des sich rascher entwickelnden Japan und Amerika. (Diese Anmerkung der Redaktion des „Sozialdemokrat" datiert aus der zweiten Hälfte des Jahres 1915.)