Der zweite imperialistische Weltkrieg

Das 3. Reich als brutalste Form des Kapitalismus führte Krieg gegen andere imperialistische Staaten
Fabian Lehr

Bald jährt sich die Entfesselung des 2.Weltkriegs durch das Naziregime zum 75. mal. Bürgerliche Medien werden dabei nicht müde werden zu betonen, dass es sich beim Krieg und den Verbrechen der Nazis um Wahnsinnsakte Hitlers gehandelt habe, die nichts mit dem kapitalistischen System zu tun hätten, auf dem die Gesellschaft NS-Deutschlands unvermindert basierte. Doch der Krieg folgte ganz den Profitinteressen des deutschen Kapitals, wie überhaupt das 3.Reich nicht den Bruch mit der bürgerlichen Gesellschaft darstellte, von dem viele bürgerliche HistorikerInnen sprechen. Im Gegenteil war es deren härteste, extremste Form.

Die Nazis waren an die Macht gekommen, als die ArbeiterInnen sich angesichts des katastrophalen Scheiterns des Kapitalismus in der Weltwirtschaftskrise ab 1929 politisch radikalisierten und zunehmend der Kommunistischen Partei zuströmten. Worauf das Bürgertum, das seine kapitalistische Ordnung bedroht sah, zur Abwehr der roten Gefahr auf die NSDAP setzte. Diese wurde vom deutschen Großkapital großzügig finanziert und wuchs schnell von einer obskuren Kleinpartei zur größten politischen Kraft des Landes heran. Einmal mit Regierungsgewalt ausgestattet, erfüllten die Nazis die Wünsche ihrer Sponsoren zur vollsten Zufriedenheit: Ermordung oder Inhaftierung aller bekannten Linken, Zerschlagung aller linken Parteien und Medien, hart durchgesetztes Streik- und Demonstrationsverbot für ArbeiterInnen, Auflösung der Gewerkschaften, polizeiliche Überwachung der Betriebe, um oppositionelle Bewegungen gegen Staat und Kapital gleich im Keim zu ersticken.

Die staatlichen Investitionen in kriegswichtige Infrastruktur und die gewaltige Aufrüstung der damals noch kleinen Reichswehr hatten den für die Nazis stabilisierenden Nebeneffekt, die Arbeitslosigkeit zu senken. Den Raubkrieg in Osteuropa hatte Hitler schon zehn Jahre zuvor in "Mein Kampf" herbeifantasiert, aber möglich wurde seine konkrete Vorbereitung erst durch die Unterstützung des Großkapitals, das sich davon zweierlei versprach: einerseits Riesengewinne durch Rüstungsaufträge und Plünderung der eroberten Gebiete, andererseits Niederhaltung revolutionärer Strömungen durch Vollbeschäftigung. Sechs Jahre nach der Machtergreifung besaß der NS-Staat die schlagkräftigste Armee Europas – und war so gut wie bankrott: Die gigantische Aufrüstung war auf Pump finanziert. Entweder mussten die Nazis bald den Staatsbankrott erklären, die Rüstungsindustrie drastisch reduzieren, somit die Arbeitslosigkeit wieder wachsen lassen und neue Unruhen der ArbeiterInnen befürchten – oder sie mussten ihre neue Riesenarmee einsetzen, um die Reichtümer Europas auszurauben.

Ein Beispiel für die Bereicherung des Staates durch territoriale Expansion ist die Beschlagnahmung des österreichischen Goldschatzes nach dem "Anschluss" von 1938: Die Nazis konfiszierten dabei größere Währungsreserven als Deutschland selbst besaß. Das deutsche Kapital applaudierte der kriegerischen Expansion: Die Ausschaltung der Konkurrenz durch die Bourgeoisien anderer europäischer Länder, Billigrohstoffe und Heerscharen von ZwangsarbeiterInnen aus den eroberten Ländern versprachen goldene Zeiten für ihre Klasse. Dabei war der deutsche Raubzug auf dem Kontinent in seiner Brutalität und Heftigkeit einzigartig, nicht aber in der Sache selbst – alle europäischen Großmächte der Zeit suchten ihre wirtschaftlichen Probleme durch Ausplünderung fremder Länder zu lindern, wozu besonders Großbritannien und Frankreich riesige Kolonialreiche erobert hatten.

Lenin und Trotzki hatten bereits nach dem 1.Weltkrieg festgestellt, dass der nächste Weltkrieg unvermeidlich sei, solange sich am kapitalistischen, und damit auf Expansion angewiesenen, System der Großmächte nichts ändert. Die Kriegsführung der Nazis entsprach im Wesentlichen den Interessen des deutschen Großkapitals: Die französische, belgische und niederländische Konkurrenz wurde ausgeschaltet. Aus den ausgedehnten eroberten Gebieten flossen ihm Rohstoffe in einem Ausmaß und zu Spottpreisen zu, dass die deutschen Industriellen hoffen konnten, bald unabhängig von Importen zu sein. Besonders aus Osteuropa wurden ihm Millionen ZwangsarbeiterInnen zugeführt, die man nahezu ohne Lohn und unter grausigen Bedingungen für sich schuften lassen konnte. Für die produzierten kriegswichtigen Güter konnten die Industriellen sich vom Staat praktisch bezahlen lassen, was sie wollten. Die SS ließ von ihren Konzentrationslagern aus durch regionale Unternehmen Nebenlager errichten, in denen JüdInnen, Kriegsgefangene und Andere als SklavInnen arbeiten mussten und umgebracht wurden, wenn sie gegen irgendeine Forderung des Betriebes aufmuckten. Wie überhaupt die Konzentrationslager mit ihren zahlreichen Lagerbetrieben betriebswirtschaftlich organisiert waren – ein KZ-Kommandant musste in der Bilanz seines Lagers ein Plus vorweisen können. Während des industriellen Massenmordes an JüdInnen, Sinti und Roma herrschte ein ständiges Gerangel zwischen den verschiedenen Strömungen im NS-Staat: Während die reinen NS-IdeologInnen alle JüdInnen und „ZigeunerInnen“ sofort ermorden wollten, plädierte der pragmatische Wirtschaftsflügel dafür, die Arbeitsfähigen erst bis zum Letzten in Zwangsarbeit für die deutsche Industrie auszupressen und erst dann zu ermorden, wenn sie körperlich so ruiniert waren, dass sie nicht mehr arbeiten konnten. Die Vision der von den Nazis geförderten GroßkapitalistInnen war die kontinentale, wenn nicht die Weltherrschaft des deutschen Großkapitals. Dieses hätte aus einem unerschöpflichen Reservoir an Rohstoffen und SklavenarbeiterInnen zehren und sich den Luxus erlauben können, die deutschen ArbeiterInnen ruhigzustellen, indem man die unangenehmsten Arbeiten den SklavInnen der SS zuwies. Der Raubkrieg der Nazis ist also nicht ein Bruch mit der bürgerlich-kapitalistischen Tradition, sondern im Gegenteil der bewaffnete Versuch, diese zu stabilisieren.

„Müsste ich zwischen Kommunismus und Faschismus wählen, tue ich nicht so, als ob ich mich für Kommunismus entscheiden würde.“ (Churchill)

Der Widerstand, den die Nazis seitens der Westmächte fanden, basierte nicht auf moralischem Idealismus, sondern auf der Angst der französischen, britischen und amerikanischen Bourgeoisie, immer mehr Rohstoffe, Einflussgebiete und Marktanteile an die übermächtig werdende deutsche Bourgeoisie zu verlieren. Die glühenden Antikommunisten Churchill und Roosevelt hätten den drohenden Untergang der Sowjetunion sicher gefeiert, waren aber auf das Zweckbündnis mit der Sowjetunion angewiesen um die Interessen der eigenen Bourgeoisien gegenüber der Deutschen abzusichern. Churchill hatte empfohlen, Kolonialaufstände durch Massenvergasung von Rebellen zu brechen und die "Degenerierung der britischen Rasse" durch Zwangssterilisierungen und Einweisung in Lager zu bekämpfen. Er hat nicht aus Empörung über die NS-Verbrechen in den Krieg eingegriffen, sondern weil Deutschland die Weltstellung der britischen Bourgeoisie und ihres Kolonialreiches bedrohte. Was im Krieg zwischen den Nazis und den Westmächten auf dem Spiel stand, war nicht die bürgerlich-kapitalistische Ordnung selbst, sondern die Frage, ob sich deren ungemein brutalisierte NS-Variante oder die subtilere westliche Variante durchsetzen würde.

 

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