Der Besenstiel-Effekt

Kommentar
Sonja Grusch

Die Realität der österreichischen Innenpolitik ist absurder als jedes Kabarett: Ein Parteivorsitzender, der in der schrumpfenden Parteibasis um Zustimmung fleht, ein anderer, der über ein 5-Minuten-Umfrage-Hoch jubelt. Eine (ex) Klubchefin, die gar nicht genug Bezüge kassieren kann. Ein Parteichef, der Kastanien besingt. Eine Partei, wo eine besoffene Funktionärin durch den Ort schwankt, ein anderer auf Leute schießt und ein weiterer mit Nazi-Postings auffällt. Sie alle beweisen: PolitikerInnen verdienen sicher nicht deshalb so viel, weil sie besonders intelligent oder qualifiziert wären.
Und dennoch werden sie gewählt. Wir haben das schon vor Jahren als „Besenstiel-Effekt“ bezeichnet. Selbst ein Besenstiel wird gewählt, aus Protest über die anderen Parteien. Die Wahl von neuen, häufig eigenartigen Personen und Listen ist kein österreichisches Phänomen. Ihre Kurzlebigkeit auch nicht. Dass sie sich nicht halten werden können, liegt nicht daran, dass die etablierten Parteien irgendwie inhaltlich oder personell besser wären. Bei den „Neuen“ sind die Inhalte allerdings noch schwammiger. Sie können nicht einmal auf die Tradition einer Ideologie zurückgreifen, sondern nur auf ein paar Schlagwörter. Die etablierten Parteien haben außerdem mehr Übung, einen etablierten Apparat, sind bekannter und haben „Verbindungen“. Doch gewählt werden sie bestenfalls noch als kleineres Übel.
Der Wunsch nach etwas wirklich Neuem ist groß. Hier könnten jene Teile der Linken ansetzen, die ernsthaft den Aufbau einer echten sozialistischen ArbeiterInnenpartei anstreben: ein sozialistisches Programm, GewerkschafterInnen und BetriebsrätInnen, die für ihre Kampfbereitschaft und nicht für faule Kompromisse bekannt sind, AktivistInnen in den Protesten der letzten Jahre – das sind die Zutaten für etwas wirkliches, etwas langlebiges Neues.
 

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