1. Weltkrieg: „Weihnachten sind wir wieder zu Hause!“

Das Attentat in Sarajewo - beim Finden für „Gründe“ von Kriegen waren sie schon immer erfinderisch
Albert Kropf

Im Juni 1914 bricht der 1. Weltkrieg aus. Ein schrecklicher, noch nie dagewesener Krieg überzieht Europa und schließlich die Welt. Eine Überraschung war der Kriegsausbruch trotzdem nicht. Schon seit Ende des 19. Jahrhunderts standen die Zeichen ganz offensichtlich auf Sturm. Die Politik bemühte sich auch gar nicht um Geheimhaltung. Ganz im Gegenteil, die Diplomatie der Großmächte versuchte offen, sich durch Bündnisse in eine möglichst günstige Ausgangssituation zubringen. Im deutschen Reichstag wurde über mögliche Kriegsziele diskutiert. 1897 forderte Bernhard von Bülow (später Kanzler im Reichstag): „(…) wir verlangen unseren Platz an der Sonne.“ Das hieß Kolonien, Absatz- und Rohstoffmärkte. Auf der Gegenseite mobilisierte die internationale Sozialdemokratie mit eigenen Kongressen gegen den kommenden Krieg. Überraschend sieht anders aus.

Im Nachhinein und bis heute allerdings wird versucht die Geschichte umzuschreiben. Der Ausbruch des Krieges sei ein riesiges Missgeschick gewesen, das mehr oder minder zufällig passiert sei. Niemand hätte wirklich einen Krieg gewollt. Also quasi ein Ausrutscher. Dabei wird die Ermordung des österreichischen Thronfolgers in Sarajewo zu dem einschneidenden Ereignis schlechthin hochstilisiert nach dem kein Frieden mehr möglich war. In Wirklichkeit aber gab es die Jahre zuvor mit den Marokko-Krisen oder der Annexion Bosniens durch Österreich bedeutendere Ereignisse. Dass der Krieg aber dann wirklich 1914 ausgebrochen ist, war eine bewusste Entscheidung. In Wien, Berlin, Paris, London und Moskau wollte man den Krieg – notfalls auch durch einen nebensächlichen Auslöser wie eben das Attentat in Sarajewo. Unterschiedlicher Meinung waren die herrschenden Eliten dabei lediglich bei der Intensität, der Ausbreitung und des jeweils bestmöglichen Zeitpunkts.

Das finden von Auslösern und „Gründen“ für Kriege beschäftigt Politik und Diplomatie bis heute. Hitler hat einen polnischen Überfall auf einen Radiosender vorgetäuscht, die USA einen Angriff auf ihre Kriegsschiffe „Maddox“ und „Turner Joe“ um Vietnam und Indochina „in die Steinzeit zurück zu bomben“. Und beim Krieg gegen den Irak schließlich präsentierte der britische Premier Tony Blair bewusst offensichtlich gefälschte Beweise über Massenvernichtungswaffen im Irak. Von damals bis heute – alles Lüge, auch im Fall von Sarajewo.

Belogen aber wurden auch die Menschen in den jeweiligen Ländern. Schließlich musste erklärt werden, warum „der Russe“ jetzt ein Feind „des Deutschen“ sei. Mit der Hochrüstung ging eine unglaubliche nationalistische Propaganda einher. Den Nationen wurden Charaktereigenschaften zugeschrieben. In der Schule wurde den Kindern eingebläut, dass der Russe halt unkultiviert und wild sei, der Franzose ein weintrinkender Nichtstuer. Sich selbst aber sollten die Deutschen als das große Kulturvolk der großen Dichter sehen. Briten und Franzosen hingegen präsentierten die Deutschen als die barbarischen Hunnen. Mit der wirklichen Lebensrealität der Menschen quer über alle Grenzen hinweg hatte das aber nichts zu tun. Hier herrschten die gleichen Interessen nach einem besseren Leben, höheren Löhnen und weniger Arbeitszeit.

Deutsche und Franzosen zogen aufgestachelt durch die Propaganda jubelnd in den Krieg. Zu Weihnachten wollten sie wieder siegreich zuhause sein. Dieser Jubel ist schnell dem Grauen des Krieges in den Schützengräben gewichen. Zu Hause waren sie zu Weihnachten nicht, dafür aber gibt es Weihnachten 1914 die ersten verbrieften Verbrüderungen unter den Soldaten.

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